Unschuldige Täter


Allein die Umstände der Petitionen, Eingaben, der Plädoyers der Verteidiger, der Beschönigungen (Persilscheine) durch Verwandte, Bekannte, Bürgermeister, Pastoren und ehemalige Arbeitgeber der Verurteilten sind eine eigene Geschichte wert.

Für Ebsen setzten sich u.a. seine Brüder und Schwestern, ein Doktor und ehemalige Arbeitskollegen ein. Sie teilten dem Gericht mit, zu kriminellen Taten, die eine härteste Bestrafung erforderten, sei er nicht in der Lage gewesen: Er war ein freundlicher Mensch, der gar nicht kriminell werden konnte. Er sei ein weicher Junge gewesen und hätte gern mit den Puppen seiner Geschwister gespielt: Er war zutiefst religiös, unkritisch und unfähig zu eigenem Urteil und leicht zu beeinflussen.

In seinem Herzen habe er keine schlechten Vorstellungen über seine Umwelt gehegt: In der Familie war er immer das netteste Kind.
Ebsens Ehefrau sammelte in Rickling Unterschriften zugunsten ihres Mannes, der am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten war. Ihren Text: Folgende Personen erklären, dass sie Ebsen als einen anständigen und guten Mann gekannt haben. Er war immer bereit, jedem zu helfen, wo er nur konnte. – unterschrieben 32 Personen.
(Empfehlenswerte Literatur: Sutter, Peter, Der sinkende Petrus, Rickling 1933-1945)

Ohlens Rechtsanwalt schrieb ein Gnadengesuch an den englischen König mit dem Hinweis, er sei in Manchester geboren. Aufgrund seiner Tätigkeit sei er in die grausame Behandlung der Gefangenen nie verstrickt gewesen. Sein Rechtsanwalt Schmidt nahm die bevorstehende Hochzeit der englischen Prinzessin Elisabeth als Anlaß, um Gnade für seinen Klienten zu erbitten.

Wittig erhielt Unterstützung aus der Kirche. Sogar der Berliner Bischof Dibelius setzte sich für ihn ein. Ohne Kenntnis des Falles und der Person hielt er die Unterstützung eines Gnadengesuchs für gerechtfertigt, allein aus dem Grund, weil sich zwei Braunschweiger Pastoren für Wittig einsetzten.

Für Truschel, NSDAP-Mitglied seit dem 12.5.1937, setzte sich der Bürgermeister seines Heimatortes Immensen ein: Der NSDAP stand er im Anfang ablehnend gegenüber, unterlag dann aber doch der Propaganda und glaubte nun ganz besonders der arbeitenden Bevölkerung Erleichterungen bringen zu können. Diesen Irrtum wird er selbst erkannt haben.
(Vgl.: Meyer, Adolf, Erlebtes Dorfgeschehen, Fünfzig Jahre Nachkriegsgeschichten in Immensen, Seite 85 bis 103)

Da die Anklage sich auf die völkerrechtswidrige Behandlung alliierter Staatsangehöriger beschränkte, bat ein Rechtsanwalt zur Entlastung seines Mandanten Truschel, der einen Letten auf der Flucht erschossen hatte, das Gericht um Klärung, ob Letten überhaupt alliierte Staatsangehörige waren: Ich erwähne nur kurz, daß selbstverständlich das Leben eines Letten genauso schutzwürdig wie das eines jeden anderen Menschen ist. Wenn sich jedoch herausstellen sollte, daß die Letten keine alliierten Staatsangehörige sind, würde die Tötung eines Letten nicht unter die Anklage fallen.