Kritiker-Kritik

Nur halb nachgedacht, mißverständlich formuliert, forsch interpretiert oder sogar beschönigt?
Kritik eines „selbsternannten Moralapostels“.

Ich erlaube mir, meine kritischen Äußerungen zu den „Missverständlichkeiten“ anhand einiger Beispiele darzustellen. Ich verzichte darauf, sie alle zu benennen.

Es geht schon auf der ersten Textseite (Seite 7) los: Unter der anspruchsvollen Überschrift „Die Last der Vergangenheit und die Schwierigkeiten eines Neubeginns“ teilt Kiekenap mit, „selbst heute, über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ist es nicht unproblematisch, in Deutschland vorurteilsfrei über den Holocaust, über die Leiden der Bevölkerung – in den von Deutschland besetzten Gebieten, aber auch in Deutschland selbst -, der Fremdarbeiter sowie der KZ- und Zuchthausinsassen zu reden.“
Glaubt Kiekenap wirklich, es sei oder es werde irgendwann möglich, darüber „vorurteilsfrei“ reden zu können?

Wie schwierig das ist, macht er mit dem zweiten Satz seines Buches selber deutlich: „Auch die militärischen Leistungen, die deutsche Truppen aller Waffengattungen unter großen Opfern erbracht haben, werden kaum erwähnt, und vom Stolz auf unsere bedeutende, militärische Tradition, wie wir das aus Frankreich, England, Amerika, Russland oder Japan kennen, kann keine Rede mehr sein.“
Herr Kiekenap: Alle von Ihnen betrauerten „militärischen Leistungen“ haben es ermöglicht, in unseren Nachbarländern jahrelang Menschen aufzuhängen, zu erschlagen, zu erschießen, zu köpfen, lebendig zu verbrennen, sie verhungern zu lassen, sie zu vergasen.
Die Leistungen „aller Waffengattungen“ – auch der SS – auch nur zu versuchen, „stolz“ mit denen der alliierten Soldaten zu vergleichen, die dieses Land von den nationalsozialistischen Verbrechern unter Einsatz ihres Lebens befreit haben, wäre eine Verhöhnung ihrer Opfer.

Kiekenaps bedauernd klingende Anmerkungen über nicht stattfindende „Sedantage, fehlende „Lorbeerkränze“ und kein schulfrei „wie zu Kaisers Zeiten“ über die militärischen Leistungen der NS-Wehrmacht will ich übergehen. Leser können sich darüber eigene Gedanken machen. Aber kann man auch über solche Worte hinweggehen (Seite 152)?, die den einstigen Absolventen der SS-Junkerschule gelten, jenen, die „während ihrer Militärzeit schweren Belastungen und Ängsten ausgesetzt gewesen sind, die bei vielen Kameraden mit dem Tod endeten“: „Ihre Jugend, wohl die schönste Zeit im Leben eines Menschen, wurde ihnen von einem verblendeten und verbrecherischen Regierungssystem unter Vorspielung falscher Tatsachen geraubt. Sie haben für ein Volk und für ein Vaterland gekämpft, die im Nachhinein das so nicht gewollt haben und sich daher zu keinem Dank verpflichtet fühlen. „Undank ist der Welten Lohn“, sagt man dazu auf dem Lande!“

Aber, so frage ich als Leser dieses Buches die Leute auf dem Lande: Wann endlich wird dieser „Kampf für Volk und Vaterland“, der ja letztlich schlichtweg nur der Rückzug aus überfallenen, geplünderten, gebrandschatzten und mit Blut getränkten Nachbarstaaten war, endlich in die richtige Reihenfolge gesetzt: Der Krieg begann nicht als Kampf für das Vaterland, sondern als Angriff auf andere Länder, die in Frieden leben wollten – und endete als mörderisches Entweichen vor der Übermacht und den besseren Soldaten der sich rechtmäßig wehrenden gegnerischen Armeen. Dieser angebliche Kampf um unsere (deutsche) Heimat hat zur unglaublichen Zerstörung dieser Heimat geführt. Kiekenap muß das doch wissen, schließlich hat er das zerstörte Braunschweig doch erlebt. Wann beginnt sein Dorf mit realen Einsichten, wann endet die stammtischartige Heroisierung der – mich an Tucholsky erinnernden Worte „Soldaten sind Mörder“ – nicht nur auf Verblendung und Verbrechen hereingefallenen Männer?

Auf Seite sieben erwähnt der Autor die „Schutzhaft“. Wer sich etwas mit der NS- Gewaltherrschaft gegen Andersdenkende auskennt, weiß über das von der Gestapo und der SA und anderer angewandte Terror-Instrument Bescheid. Aber auch die „Schutzhaft“ war ein Mittel, dass die Nazis übernommen und für Ihre Unterdrückung instrumentalisiert und missbraucht hatten. Kiekenaps Äußerungen dazu, auch in der „Anmerkung 4“ am Ende seines Buches, genügen nicht, um sie zu verstehen.

Darum hier Ergänzungen:
„Die Schutzhaft war keine Idee Hitlers oder seiner Juristen“, sondern, so informierte die Wolfenbütteler Zeitung im April 1933 ihre Leser, „beruht auf einem während des Krieges am 4. Dezember 1916 erlassenen und noch heute geltenden Reichsgesetz betreffend Verhaftung und Aufenthaltsbeschränkung auf Grund des Kriegszustandes und des Belagerungszustandes durch die vollziehende Gewalt.“
Nach einem preußischen Gesetz vom Juli 1931 konnten Personen in polizeiliche Verwahrung genommen werden, „wenn das zu ihrem Schutz oder zur Beseitigung einer bereits aufgetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Gefahr erforderlich und die Beseitigung der Störung und die Abwehr der Gefahr auf andere Weise nicht möglich war. Allerdings mußten die Häftlinge dann spätestens im Laufe des folgenden Tages entlassen werden (Ausnahme: gemeingefährliche Geisteskranke)“. Die Nazis erweiterten die Maßnahme mit der Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes vom 4.2.1933 und gaben der Polizei die Befugnis einer längeren Inhaftierung ohne richterlichen Haftbefehl mit einer Begrenzung auf höchstens drei Monate. Nach dem Reichstagsbrand war die Inhaftierung zeitlich unbegrenzt möglich, und dem Gefangenen standen keinerlei Rechtsbehelfe mehr zur Verfügung. (Zentner/Bedürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches, München 1985)

Die WZ erläuterte etwas nebulös, worum es bei der Schutzhaft ging: „Sie soll nicht etwa zum Schutz eines Verhafteten dienen, sondern ist dann zulässig, wenn sie zur Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit, also für den Schutz des Reiches, der Regierung und der Bevölkerung erforderlich erscheint. Es kann sonach jeder in Schutzhaft genommen werden, von dem anzunehmen ist, daß er, wenn in Freiheit befindlich, entsprechend seinem bisherigen Gebaren die öffentliche Schrift, aber auch, wenn zu befürchten ist, daß er verbrecherische Taten zu verdunkeln, unerlaubte Handlungen fortzusetzen, Beweisstücke zu beseitigen suchen wird, usw.“

Immerhin machten sich Behörden um die Versorgung der Angehörigen von Schutzhäftlingen Sorgen, die aufgrund dieser Maßnahme fristlos entlassen werden konnten: Der deutsche Landkreistag bat Ende Juli 1933 den Reichsfinanzminister um die Übernahme der Kosten der „Unterstützung von Familienangehörigen von verhafteten Personen“. Er begründete diese Bitte mit der finanziellen Belastung der Fürsorgeverbände. Der Finanzminister lehnte das Begehren ab, erklärte sich jedoch bereit, den Ländern aus Reichsmitteln einen Zuschuß zu geben. Anfang 1934 berichtete die Zeitung über einen Abänderungserlaß, der aufgrund der „Stabilisierung der Verhältnisse“ erlassen worden sei: „Nach drei Monaten haben amtlicherseits Haftprüfungen stattzufinden, und endlich darf die Schutzhaft nur in staatlichen Anstalten und Konzentrationslagern durchgeführt werden.“ Aufgrund dieser Bestimmungen seien bereits Entlassungen aus allen Lagern in großer Zahl erfolgt. Klar sei aber auch, daß die Entlassenen bei erneuter Inhaftierung damit rechnen müßten, so leicht nicht wieder freigelassen zu werden.

Einige Monate später zitierte die Zeitung aus einem Aufsatz in der Zeitschrift „Deutsche Justiz“, in dem sich ein Dr. Werner Spohr mit der Schutzhaft auseinandersetzte: „Das ordentliche Gericht könne nicht angerufen werden, weil die Verhängung der Schutzhaft eine rein polizeiliche Maßnahme sei. (…) Als Maßnahme der politischen Polizei könne die Verhängung der Schutzhaft aber auch nicht vom Verwaltungsrichter nachgeprüft werden. Von maßgebender Stelle sei dargelegt, daß im nationalsozialistischen Staat Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz nicht gegeneinander ständen, so daß also die Justiz nicht politische Handlungen des Staates vom Grundgedanken einer anderen Betrachtungsweise aus verneinen könne.“
(Wolfenbütteler Zeitung, 10.4.1933, 26.7.1933, 19.4.1934, 17.12.1934)

Mir fällt es zeitweilig schwer, die Äußerungen Kiekenaps zur notwendigen „Aufarbeitung“ zu verstehen – in Verbindung mit den Verbrechen der Wehrmacht und den „Schandtaten“ der SS, die nicht „undifferenziert nur der SS und ihren Gruppierungen“ angelastet werden dürften. Kiekenap erinnert an Adenauers Haltung zur SS und der Helmut Kohls und des Gründungskommandeurs der SS Junkerschule Braunschweig, dem „Generaloberst der Waffen-SS, Paul Hausser“, bis hin zu der nun vollkommen undifferenzierten Aussage (Seite 12): „Selbstverständlich müssen sich auch die Truppen unserer Kriegsgegner schwere Kriegsverbrechen vorhalten lassen. Jedoch sind Aufzählungen oder gar eine Gegenrechnung müßig und unangebracht. Denn: Wer fragt schon einen Sieger danach! Außerdem entschuldigt uns das in keiner Weise, und die Beteiligten, betroffenen Staaten und ihre Eliten müssen das „mit sich selbst“ abmachen und entsprechend ihrer Moral und Ethik aufarbeiten und bewerten.“

Mir fällt auf, dass Kiekenap häufig SS-Männer zitiert, diese Aussagen aber selten – und dann nur kurz – aus dem Blickwinkel kritischer Autoren bewertet. Besonders Paul Hausser kommt sehr oft zu Wort, so auch auf den Seiten 124 ff. Dort findet man dann nach der Beschreibung des Leidens gefangener SS-Männer auch eins der schlimmsten Klischees aus den Versuchen, die Waffen-SS zu beschönigen: „Es darf hierdurch (durch die obige Behandlung gefangener Waffen-SS-Männer J.K) kein historisch unzutreffender Eindruck entstehen: Es ist den in Gefangenschaft überführten Soldaten der Waffen-SS von vielen alliierten Einheiten und ihren Offizieren auch mit annerkennenswerter Ritterlichkeit und Fairness begegnet worden. Sie unterschieden sich durch ihre positiven menschlichen Qualitäten wohltuend von den Hassern, Fanatisierten und Sadisten.“ (Seite 125 f)
Und: „Sie alle opferten Leben oder Gesundheit für ihr Volk, ihre Heimat, ihr Vaterland.“ Dass Kiekenap dieses Hauser-Zitat unkommentiert stehen lässt, ist eine der Schlimmheiten dieses Buches. Handelt es sich doch hierbei um eine Aussage, die in den letzten Jahren und auch aktuell gerade von Neonazis unter dem Slogan, die deutschen Soldaten hätten ehrenhaft für Deutschland gekämpft, bei fast jedem Neonazi-Auftritt propagiert wird. Dabei haben sie gar nicht für Deutschland gekämpft, sondern gegen unsere europäischen Nachbarn. Erst als die immer erfolgreicher zurückschlugen, wurde aus den Überfällen auf Polen, die Sowjetunion, Holland Frankreich, Belgien, Tschechoslowakei und all die anderen – wurde das Vaterland etwa notwendigerweise in Nordafrika verteidigt? – eine „Verteidigung“. Ein weiteres unkommentiertes Hausser-Zitat: „Dass die Waffen-SS eine Fronttruppe war und ihre soldatische Pflicht erfüllt hat, bestätigen vor allem ihre schweren Blutopfer.“ (Seite 13)

Erinnert sich Kiekenap nicht an die Braunschweiger Auseinandersetzungen um den Standort Braunschweig für die Wehrmachtsausstellung, die NPD-Demonstrationen im November 1977, im Februar 1978 und letztlich im Mai 2005?

(NPD-Demonstration in Braunschweig 2005 – Gedenkfeier für gefallene Fallschirmjäger im Juli 2001auf dem Hauptfriedhof in Braunschweig, bei der Veteranen gegen protestierende Zuschauer handgreiflich wurden – und Dank einiger besonnener Bundeswehrsoldaten eine Schlägerei vermieden werden konnte.)

Kiekenap hat keine Hinweise gefunden, die über die HIAG hinaus einen Braunschweiger Junkerschulen-Geist belegen könnte …. Wahrscheinlich habe es ihn nicht gegeben, „denn in den Jahren, in denen sich eine derartige Tradition hätte bilden können, hatten die ehemaligen SS-Absolventen andere Sorgen: Sie kämpften für ihre berufliche Existenz (über einzelne Männer berichtet Kiekenap ausführlich, J.K.) und für die Versorgung ihrer Familien“.

Trotzdem, der SS-Geist hatte sich deshalb in Braunschweig im Existenzkampf der SS-Männer nach der Befreiung (von ihnen) nicht selber eliminiert. SS-Treffen haben im ehemaligen Lande und in der Stadt dennoch stattgefunden: Im Mai 1984 erhoben sich in der Region Braunschweig heftige Proteste gegen ein geplantes Treffen von ehemaligen Angehörigen des 1. Panzerkorps der Waffen-SS in Bad-Harzburg. Natürlich meldeten sich bei der BZ gleich Leser, die sich für die Differenzierung aussprachen: „… weil sie für unser Vaterland gekämpft haben. Mir liegen zwölf Leserbriefe zur Waffen-SS vor, die Autoren stammen alle aus der Region Braunschweig. Drei Aussagen sind SS-kritisch, neun vertreten auf verschiedene Weise die Ansicht der wehrmachtgleichen Waffen-SS: „… Ich wehre mich aber ganz entschieden gegen eine pauschale Verunglimpfung von Männern, die einst in einen sinnlosen Tod gehetzt wurden und auf deren Gräber heute jedermann ungestraft sein Wasser abschlagen kann.“ (BZ, 5.4.1984)

Eine schlimme Erfahrung machten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Braunschweig am Volkstrauertag 1981 auf dem Braunschweiger Hauptfriedhof: „Ehemalige Angehörige der Waffen-SS kreuzten ihren Weg, als sie, die Opfer von einst, ihrer Toten gedachten. Ihre Stellungnahme wurde in der BZ vom 21.11.1981 veröffentlicht. Darin hieß es u.a.:

„Eigentlich ist daran nichts auffällig, wenn nicht der Kranz oder besser die Widmung desselben gewesen wäre: „Treue um Treue, die Soldaten der ehemaligen Waffen-SS, HIAG Braunschweig“, also zu Ehren der ehemaligen Waffen-SS.
Die Waffen-SS war, wie wohl bekannt, eine Teilorganisation der SS, ein Freiwilligenverband unter dem direkten Kommando des Reichsführers SS Himmler. Die Waffen-SS hatte auch besondere Aufgaben, wie z.B. die Bewachung der Konzentrationslager, Verschleppung von Menschen, die zur Zwangsarbeit gezwungen wurden und Aktionen gegen die Zivilbevölkerung, wie z.B. die Vernichtung des tschechischen Ortes Lidice nach der Ermordung Heydrichs. Es mag richtig sein, daß wehrpflichtige Soldaten später zum Eintritt in die Waffen-SS gezwungen wurden, um die Lücken zu füllen, aber dieses tat der Wirksamkeit der Waffen-SS keinen Abbruch und verhinderte auch keine Verbrechen. Vom Internationalen Gerichtshof wurde diese Organisation als eine verbrecherische verurteilt und verboten.“

Natürlich folgten auch diesem Artikel Leserbriefe (BZ, 28.11.1981) mit Überschriften wie „Nicht alle Verbrecher“, „Die Versöhnung?“ und „Auf einem Auge blind?“ Die Jüdischen Gemeindemitglieder traf der Zorn einer Zeitungsleserin: „Nun müssen die Juden aber nicht ewig andere bevormunden wollen; wenn ich einen Gefallenen oder Vermissten bei der SS habe, darf ich wohl an der Gedenkstätte einen Kranz niederlegen, ohne die Juden um Erlaubnis zu fragen. Selbst unsere ehemaligen Feinde haben lobende Worte für diese Truppe.“

Um nicht den Vorwurf vom Auseinanderreißen der von mir ausgewählten Zitate zu erhalten, bitte ich Leserinnen und Leser, Kiekenaps Buch zu lesen. Bilden Sie sich Ihre Meinung. Vielleicht stimmen Sie mir zu.

Ich übergehe weitere Unstimmigkeiten, möchte aber zu einigen noch kurz etwas bemerken: Auf Seite 36/37 läßt Kiekenap zum Thema „Die SA und die Vereinigung mit dem Stahlhelm“ in aller Weite einen früheren Kämmerer dieser Veteranenorganisation, Theodor Gruss, zu Worte kommen. Der ließ in Nürnberg u.a. verlauten: „Im Stahlhelm hatte es viele Meinungen und Ansichten gegeben. Jeder konnte eigentlich denken, was er wollte, aber einen Befehl der Bundesführung gegen Juden, den habe ich nie kennen gelernt, und er ist auch nicht gegeben worden. Das war auch ganz unmöglich, denn in der Bundesführung zum Beispiel war ja der zweite Bundesführer Duesterberg. Von ihm wussten wir, dass er jüdischer Herkunft war, und trotzdem war Duesterberg der beliebteste und populärste Stahlhelmführer.“

Auch diese Behauptungen bleiben so stehen, Kiekenap rührt sich wieder nicht. Ich möchte dafür eine kurze „Stahlhelm-Erklärung“ aus der „Stahlhelm-Zeitung“ vom 17. Juli zitieren: „Es ist richtig, daß der Stahlhelm früher ganz vereinzelt jüdische Frontsoldaten in seinen Reihen hatte. Im Landesverband Braunschweig mit seinen 205 Ortsgruppen und etwa 30… Stahlhelmkameraden befanden sich, soweit festzustellen ist, 5 jüdische Mitglieder (zwei in Wolfenbüttel). Nachdem nun jüdische Staatsbürger vom Schlage des Berliner Tageblatts die deutsche vaterländische Sache in jahrelanger, zäher Arbeit fortgesetzt herabzureißen versuchen und viel unternehmen, was jeder deutsch Fühlende ohne weiteres als Landesverrat auffasst, wurde von der übergroßen Mehrheit der Frontsoldaten an unsere Bundesleitung die Forderung gerichtet, den im Stahlhelm befindlichen wenigen jüdischen Kameraden anzuraten, nun mehr dem Bund jüdischer Frontsoldaten beizutreten, um dafür zu sorgen, daß innerhalb jüdischer Kreise die Hetze gegen alles Deutsch-Vaterländische unterbleibt.“

Die Aussage zu Duesterbergs jüdischer Herkunft mit dem Anliegen der Beschönigung erinnern mich an Entnazifizierungsakten, in denen Belastete „einen Juden“ vorwiesen, mit dem sie sich entlasten wollten. Während der Kandidatur Duesterbergs zur Reichspräsidentenwahl 1932 hatten die Nazis dem Stahlhelm-Kandidaten kampagnenmäßig vorgeworfen, einen jüdischen Großvater zu besitzen. Das niedrige Niveau, die „mosaische“ Religionszugehörigkeit als negativen Makel ins Spiel zu bringen, scheute sich der Braunschweiger SPD-Volksfreund auch nicht aufzugreifen, als er die jüdische „Abstammung“ Duesterbergs verbreitete : „….der jüdische Nachfahr und Major a.D. Dunkel und Duesterberg“. (Volksfreund, 11.Oktober 1932) Duesterberg, der im November 1950 in Hameln starb, ist wegen der angeblichen Religionszugehörigkeit seines Großvaters im Dritten Reich aus „rassischen Gründen“ nicht behelligt worden.

Ähnlich geht es mit Aussagen des Chefs des Hauptamtes „Führung der SA“ und stellvertretender Stabschef der SA, Max Jüttner. Kiekenap zitiert seine Nürnberger Aussagen seitenlang (Seite 38 bis 41). Darin befinden sich Sätze wie diese: „Wie kann man das Verhältnis der SA zu den Juden beschreiben? Hierzu möge Jüttner seine Meinung äußern: „Diese Übergriffe kann und darf man nicht entschuldigen. Es sind Übergriffe, wie sie bei jedem revolutionären Umbruch vorkommen, zum Beispiel bei der Revolution in Deutschland im Jahre 1918 oder bei gleichgearteten Ereignissen der Vergangenheit in anderen Ländern.“ Oder: „In keiner Weise hat die SA jemals zu Gewalttaten gegen Juden aufgefordert. Die Stabchefs Röhm, Lutze, Schepmann haben die Judenfrage zu keiner Zeit zum Inhalt ihrer Reden oder Anordnungen gemacht, geschweige denn zu einer Hetze. (…) Die gewaltsamen Aktionen gegen die Juden hat die SA nicht propagiert, im Gegenteil, die Führung hat stets gegen solche Aktionen schärfstens Stellung bezogen.“

Kiekenap sah diese Aussagen Jüttners als „Verharmlosungen“ an, nicht als Lügen, ließ dann aber weiterer Kritik an Jüttner, dem offenbar die zur Gewalt aufrufenden Gesänge und Sprechstücke er SA (Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt“, „Juda verrecke“) nicht einmal bekann waren – oder ihm bewusst nicht mehr eingefallen sind, diesen Satz folgen: „Insgesamt hatte man jedoch den Eindruck, dass bei diesen Novemberpogromen in Hannover und Braunschweig die SS führend gewesen ist und die SA nur am Rande stand, bestenfalls in Reserve lag.“

Nein, ich möchte Kiekenap hier keine fahrlässige Beschönigung vorwerfen, aber bemerken, dass er, obwohl den Jüttnerschen Aussagen Äußerungen über die schlimmen Umstände nach der „Reichskristallnacht“ folgen (Seite 42 f), einem Nazi-Begriff des Pogroms vom 9. November 1938, den Kiekenap nicht in Häkchen setzt.

Den letzten Teil des Buches über die Kampfhandlungen der „SS-Junker aus Braunschweig im Raum Kolo/Kalisch“ möchte ich, da sie aus meiner Sicht nichts mit Braunschweig zu tun haben, unkommentiert lassen. Aber zur Festigung eines Gesamteindrucks des Buches sollte er durchaus gelesen werden.

Anmerkung 1:
„Massaker von Maille: Waffen-SS als Täter identifiziert

Gut 64 Jahre nach dem Massaker deutscher Truppen im westfranzösischen Dorf Maille mit 124 Toten sind die mutmaßlichen Täter identifiziert. Es handle sich um ein Bataillon der Waffen-SS, das im benachbarten Chatellerault stationiert gewesen sei, berichtete die Zeitung „Le Figaro“ gestern unter Berufung auf den deutschen Staatsanwalt Ulrich Maaß.
Maaß hatte seit Monaten in dieser Affäre ermittelt und unter anderem Gestapo-Archive ausgewertet. Drei der mutmaßlichen Täter seien namentlich bekannt, davon seien zwei bereits gestorben. Das Schicksal des dritten sei unbekannt.
Deutsche Truppen hatten in dem 500-Seelen-Dorf am 25. August 1944 aus Rache wegen Partisanenakten 124 Menschen getötet, unter ihnen 44 Kinder. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy war im vergangenen August zu einer Gedenkfeier nach Maille gereist. Das Massaker von Maille war in Frankreich lange in Vergessenheit geraten, weil das Datum mit der Befreiung von Paris zusammenfiel.“ (ORF-Nachrichten, Januar 2009)

Kriegerdenkmal in einer englischen Kleinstadt