Schändung


Brief des Bürgermeisters der Gemeinde Cremlingen, 1.10.2004

Sehr geehrter Herr Kumlehn,

trotz des traurigen Anlasses beantworte ich gerne Ihr Fax vom 29. September: Noch Sonntag Nacht wurde in einer Krisensitzung der Verwaltung die weitere Vorgehensweise diskutiert und abgestimmt. Am Montag Morgen wurde zunächst der Zustand der Gedenkstätte fotografisch dokumentiert. Anschließend reinigten Mitarbeiter der Gemeinde das Denkmal und suchten das nähere Umfeld der Gedenkstätte ab; konnten die Gedenkplatte jedoch nicht finden. Nach Informationen von Spaziergängern und Anwohnern ist es eher unwahrscheinlich, dass die Untat von Neonazis verübt wurde, sondern als unsinnige – natürlich nicht tolerierbare – Übermut-Handlung Jugendlicher einzustufen ist. Deshalb hoffen wir, dass die Tafel nach einiger Zeit doch wieder auftaucht. Sollte dies nicht geschehen, werden wir eine Neufertigung in Auftrag geben. Aus den genannten Gründen und um Neonazis keinen Vorschub zu leisten, hatte die Gemeinde von einer Information dar Öffentlichkeit Abstand genommen und plant auch keine Veranstaltung; denn auch Sie werden die Erfahrung gemacht haben, dass der Bürgerprotest in der Regel deutlich hinter der Anregung zur Nachahmung zurückbleibt. Dass die Polizei die Zeitung informierte, war nicht mit uns abgesprochen und eigentlich nicht in unserem Sinne. Bewusst haben wir auch Herrn Malbecq noch nicht informiert. Es hätte Ihn und seine Freunde doch nur traurig gemacht; geändert hätte es nichts. Wir werden dies in dem Moment tun, wenn wir wissen, wie weiterhin verfahren wird.
Außerdem möchten wir keine Ängste für die besonderen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag am 6. Mai 2005 schüren, zu denen sich Herr Malbecq mit etwa 50 Teilnehmern angesagt hat.

Auf jeden Fall werden wir aber zu diesem Zeitpunkt das Mahnmal in einem ordentlichen und seinem Sinn entsprechenden Zustand präsentieren.


Schändung der Gedenkstätte im September 2004.
Die Fotos wurden am 27.9.2004 aufgenommen (Karl-Leberecht Döring)


Antwortbrief

Sehr geehrter Herr Eichenlaub,

Einige Inhalte Ihres Schreiben vom 1.10.04 kann ich nicht akzeptieren. Seitdem ich die Fotos des geschändeten Denkmals erhalten habe, ist Ihre Vermutung, die Tat sei eine Übermut-Handlung Jugendlicher gewesen, nicht mehr nachvollziehbar. (Wie können Anwohner und Spaziergänger, die den Tathergang ja offensichtlich nicht beobachtet haben, eine derartige Bewertung abgeben?)

Ich möchte Ihnen meine Einschätzung, dass es sich bei den Tätern um rechtsradikale oder neonazistische Täter handelt, näher begründen:

Die Benutzung einer gelben Farbe kann rein zufällig sein, kann aber auch auf einen antisemitischen Hintergrund hinweisen. Gelbe Farbe wird benutzt, um Antisemitismus zu bekunden, wie z.B. vor einigen Jahren am jüdischen Friedhof in Wolfenbüttel.

Die Handschrift der SS-Runen und des Hakenkreuzes ist sehr gut. Daher gehe ich davon aus, dass sie von Personen aufgebracht wurden, die sich in dieser Symbolik auskennen und erfahren sind.

Die Ausführung der Schändung durch Beschmieren einerseits und und Entfernen der Gedenktafel andererseits läßt vermuten, dass es sich um eine geplante Tat handelt. Diese umfangreiche Schändung muß vorher genau überlegt worden sein: Der Zeitpunkt mußte so gewählt werden, dass die Tat (also wahrscheinlich tief in der Nacht) nicht bemerkt werden konnte. Es mußten Werkzeug, Farbe und ein Fahrzeug besorgt werden.

Ich glaube kaum, dass Übermut-Jugendliche sich die Mühe gemacht hätten, die Tafel fast fein säuberlich zu demontieren und sie dann verschwinden zu lassen. Möglicherweise ist die Tafel als Trophäe mitgenommen – oder ist vielleicht im nahegelegenen Teich versenkt worden.

Vielleicht haben Sie davon gehört, dass Ende September im Landkreis Helmstedt Rechtsextremisten ein Konzert geplant hatten, das aber verhindert worden ist. Die BZ titelte am Samstag, 25.9.04: 400 bis 600 Skins waren im Anmarsch. Es geschieht durchaus, dass im Anschluß an derartige Treffen auch Schändungen folgen. Ich gehe davon aus, dass der genaue Zeitpunkt der Schändung unbekannt ist.

Ihr Versuch, diese Tat geheim zu halten, ist für mich genauso unakzeptabel wie Ihre obige

Einschätzung: Welchen Sinn haben unsere seit 1982 jährlich stattfindenden Gedenkfeiern mit ehemaligen Gefangenen dieses Konzentrationslagers gehabt, wenn wir nun nach einer Konfrontation, der wir uns – laut vieler Gedenkreden – erwehren sollen, nun die Realität unter den Teppich kehren?

Weil Sie aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen Herrn Malbecq nicht unterrichteten, habe ich es inzwischen getan. Ich kann es – nach so langer Freundschaft mit ehemaligen Gefangenen und besonders mit Herrn Malbecq – nicht verantworten, diesen Vorgang für mich zu behalten. Ich möchte ein langjährig gewachsenes Vertrauen auf diese Weise nicht gefährden.

Mich erinnert Ihre jetzige abwiegelnde Vorgehensweise an Ihre ähnliche Haltung zum Auftritt der Republikaner im Cremlinger Boten (z.B. dieses rechtsradikale Gedicht), zur Geldspende dieser rechtsextremen Partei an den Schandelaher Kindergarten und an die Übergabe von Republikaner-Wahlplakattafeln für den Werkunterricht an Cremlinger Schulen.

Als Ihre persönliche Meinung mag es Menschen geben, die Ihre Ansicht akzeptieren können, nicht aber als Haltung eines Bürgermeisters und einer Gemeinde. Geheim gehaltene Empörung reicht nicht aus, um Extremisten Paroli zu bieten. Das sollten wir doch nun inzwischen gelernt haben…. Informieren Sie sich doch mal über die aktuelle Lage in Deutschland!

Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit hierüber aufgeklärt wird, ebenso bedeutsam ist es, dass z.B. die Arbeitsstelle für Rechtsextremismus und Gewalt bei Arbeit und Leben in Braunschweig (siehe auch aktuelle BZ-Berichte zum Thema) Informationen erhält. Nur wenn derartige Vorfälle auch entsprechend registriert werden, können auch sachlich richtige Einschätzungen über die rechtsextreme Bevölkerung gelingen. Ich habe Herrn Koch bereits informiert und werde ihm auch einschlägige Unterlagen zuschicken.

Ich freue mich, dass die Polizei eine Anzeige aufgenommen und den Vorfall als Meldung an die Zeitung weitergegeben hat.

Ihre Geheimhaltungs- und Abwiegelungstendenz bringt mich zu der Frage, ob in der Vergangenheit in Wohld oder im Bereich der Gemeinde Cremlingen ähnliche Vorfälle passiert sind, über die die Bevölkerung nicht informiert worden ist. Ich bitte Sie um Beantwortung.

Ich glaube, dass die Tafel nicht gefunden werden wird. Sollte es doch geschehen, wird sie vielleicht nicht zu benutzen sein, da an der linken unteren Ecke ein Stück abgebrochen worden ist. Es befand sich noch am Gedenkstein, als ich dort eintraf. Ich habe es abgeschraubt und mitgenommen. Sicher werden Sie dafür sorgen, dass die Tafel schon bald erneuert wird. Sollten Sie dafür – z.B. für den Text – Hilfe benötigen, bin ich gern bereit, zu helfen.

Jürgen Kumlehn