Eintopf und Volksgemeinschaft
Die Gleichschaltung machte auch vor dem Küchenzettel nicht halt. Im Zusammenhang mit dem im September 1933 eingerichteten nationalsozialistischen Winterhilfswerk wurde ab Oktober das sogenannte Eintopfessen eingeführt. Alle Deutschen waren aufgefordert, an den “Eintopfsonntagen“ einheitlich nur dieses einfache Essen einzunehmen mit dem Ziel, das dadurch eingesparte Geld dem Winterhilfswerk (WHV)zur Verfügung zu stellen. Im Lexikon des Dritten Reiche heißt es u.a.: “Das WHW war als Kernbestsandteil der nationalsozialistischen Sozialpolitik unter verschiedenen Aspekten auf die innere Stabilisierung des Regimes und seine totalitäre Durchsetzung ausgerichtet.“ In einem Aufruf zum 1. Advent 1933 heißt es in der Lokalzeitung: “Der erste Advent ist Eintopgerichts-Sonntag. Es ist Eure Pflicht, Euer Sonntagsgericht soweit einzuschränken, daß durch Euer Opfer die bedürftigen Volksgenossen wenigstens für die Sonntage im Weihnachtsmonat ein Eintopfgericht auf den Sonntagstisch stellen können. Laßt jetzt schon die Weihnachtsvorfreude den 6 Millionen Volksgenossen dadurch spüren, indem Ihr Euch alle, Frau und Mann, dafür einsetzt, daß der 3. Dezember 1933 um ein Vielfaches Euer Opfer vom letzten Eintopfgerichts-Sonntag übertrifft.“
“Einer für alle, alle für Einen“ hieß die Losung für die Sammler, die an diesem Tage mit Sammelbüchsen auf den Straßen die Koch-Ersparnisse einsammelten. Im November, so berichtete die Lokalzeitung, gingen “Jungmädchen der Hitler- und Stahlhelm-Jugend sogar von Haus zu Haus. Der Sammlung konnte sich niemand entziehen, da eine Nichtbeteiligung zwangsläufig – so war es in diesem Staat – als Gegnerschaft hätte verstanden werden können. Dieser Satz machte das deutlich: “ Von der Notwendigkeit der Eintopfsammlung ist wohl jeder deutsche Volksgenosse überzeugt.“ Offenbar hat es aber dennoch Kritik gegeben, denn die Lokalzeitung schrieb: “Einige Vorkommnisse bei der letzten Sammlung veranlassen uns jedoch, einmal darauf hinzuweisen, daß die Sammler und Sammlereinnen bei ihrer Tätigkeit im Ehrendienst des deutschen Volkes stehen.“ Natürlich machte das Volk noch Witze über diese neue Einrichtung und fragte nach dem am weitesten verbreiteten Eintopfgericht. Antwort: Gedämpfte Zungen.“
Die WZ sah in dieser Hilfe für “hungernde Brüder und Schwestern“ einen “Sozialismus der Tat im Kampf gegen Hunger und Kälte“. Es wurden auch Rezepte für “erprobte Eintopfgerichte“ bekannt gegeben: “Familien-Eintopf, Einzelportion etwa 30 Pfennig.“ Für 4 Personen nehme man: “3/4 Pfund Rauchfleisch, ¾ Pfund weiße Bohnen, 2 Würfel Maggis Familiensuppe, 2 Pfund Kartoffeln, feingehackte Petersilie und eineinhalb Liter Wasser.“
Die verhältnismäßige Freiwilligkeit wurde – sicher zur Freude der Gastwirte – schon bald in Zwang verwandelt. Die NSDAP gab im März 1935 bekannt: “Wir machen nochmals darauf aufmerksam, daß sämtliche Angehörige der Reichsbetriebsgemeinschaften 17 und 18 am Sonntag ein Eintopfgericht in einer Gastwirtschaft einzunehmen haben, und verweisen auf unsere Bekanntmachung vom 12. März.
Alle Betriebsführer, Betriebsobmänner, Innungsobermeister usw., die sich noch nicht angemeldet haben, wollen dieses noch am Sonnabend bei den betr. Gastwirten nachholen.Wir bitten auch sämtliche politischen Leiter der NSDAP und Amtswalter der DAF, die sich an diesem gemeinschaftlichen Essen zu beteiligen. Der letzte Eintopf-Sonntag des Winters 1934 – 35 muß ein voller Erfolg werden. Kreisamtsleitung der NS-Hago.“
In Gastwirtschaften waren am 14. Oktober 1934 nur drei Eintopfgerichte zugelassen: “Löffelerbsen mit Einlage, Nudelsuppe mit Rundfleisch, Gemüsetopf mit Fleischeinlage (zusammengekocht). Zu Löffelerbsen: Einlage entweder Wurst, Schweineohr oder Pökelfleisch. Für die folgenen Eintopfsonntage werden entsprechende Gerichte jeweils festgelegt. Sämtliche Gaststättenbetriebe sind eingeteilt in drei Klassen, welche die Gerichte zu 0,70, 1 Mark bzw. 2 Mark verabreichen. Die Gäste erhalten für den an das Winterhilfswerk abgeführten Betrag eine Quittung aus einem nummerierten Quittungsblock.“
In sicher viele Menschen beeindruckenden Worten lud die NSDAP im November 1935 die Wolfenbütteler zu einem großen gemeinschaftlichen Eintopfessen auf den Stadtmarkt ein: “Deutsche Mutter! Kannst Du Deine Mitschwester Not leiden sehen? Kannst Du es über’s Herz bringen, daß die Kleinen anderer Mütter in schlechtem Schuhwerk, in Kleidung, die nicht wärmt, und schlecht ernährt dahinwandeln? Nein! Das kannst Du nicht, denn sonst wärest Du keine wahre deutsche Mutter.“
Was immer sie auch für ihre Kinder tat, Rosa Berger aus dem Großen Zimmerhof, eine jüdische Wolfenbütteler Mutter von drei Jungen, war hier weder eingeladen noch gehörte sie zu denjenigen, denen geholfen wurde, obwohl sie es als eine der ärmsten Familien der Stadt dringen notwendig gehabt hätten; aber sie waren Juden – und das schloß sie aus der “Volksgemeinschaft“ aus.
“Das war echte Volksgemeinschaft“ übertitelte die BTZ ihren Bericht über dieses Ereignis am Fuße des Herzogs: “Der erste öffentliche Eintopf gestaltete sich in Wolfenbüttel zu einem ungeheuren Erfolg. Das, was man am Sonntag auf dem Stadtmarkt erlebte, war Sozialismus der Tat, war echte Volksgemeinschaft, war ein Zeichen dafür, daß die Idee Adolf Hitlers in Wolfenbüttel festen Fuß gefasst hat. So muß es immer bleiben.“
Die uneingeschränkte Begeisterung für Hitler, für den Nationalsozialismus vielleicht etwas geringer, drückte sich, wie der Leser schon erfahren hat, häufig in Volkslyrik aus. So war es fast zwangsläufig, dass sich im Braunschweiger Land jemand fand, der auch das Eintopfgericht poetisch rühmte. Toni Pommers Gedicht “Eintopfgericht“ veröffentlicht die Braunschweiger Landeszeitung im Januar 1934. Da es sehr umfangreich ist, sollen hier nur ein paar Zeilen veröffentlicht werden:
“Doch Deutschland im Innern zerrissen, ringsum von Feinden bedroht
Hatte sich nicht von seiner Niederlage erholt.
Dadurch zog bei vielen Arbeitslosigkeit, Sorge ein.
An Unzufriedenheit, Hunger litt groß und klein.
Da hat Gott uns unseren herrlichen Führer gesandt,
Er schaffte Rat, Ordnung mit starker Hand.
So wie es sich unser Führer gedacht,
Ist der deutsche Sinn in allen Herzen erwacht.
Ein jeder ist bereit zu verringern Not und Schmerzen,
Es wird gegeben, geopfert mit freigiebigem Herzen.
Dadurch wird an vielen Tischen Not und Hunger gestillt.
Das Gebot, frohen Herzens zu geben, wird hiermit erfüllt.
An jedem ersten Sonntag im Monat ist das Eintopfgericht eingeführt,
Was im Haushalt gespart, wird der Opferkasse beigeführt.“
Quellen:
Wolfenbütteler Zeitung (WZ)
Braunschweigische Tageszeitung (BTZ)
Braunschweigische Landeszeitung
Zentner/Bedürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches, München 1985