Jahresende 1933
Am 14. Oktober gab Hitler den Beschluß der Reichsregierung bekannt, die Genfer Abrüstungskonferenz zu verlassen und aus dem Völkerbund auszutreten. Gleichzeitig kündigt er die Auflösung des Reichstages an und bestimmt Neuwahlen für den 12. November sowie eine Volksabstimmung über seine „Politik“. Auf den Wahlzetteln konnte nur eine Partei angekreuzt werden, die NSDAP. Auf dem Zettel zur Volksabstimmung konnte mit Ja oder Nein über diesen Text abgestimmt werden: “Billigt das deutsche Volk die ihm im Aufruf der Reichsregierung vom 14. Oktober 1933 vorgelegte Politik der Reichsregierung und ist es bereit, diese als den Ausdruck seiner eigenen Auffassung und seines eigenen Willens zu erklären und sich feierlich zu ihr bekennen?“
“Unsere Stadt im Wahlkampf“, titelte die WZ und informierte über Aktivitäten der NSDAP. Die Amtswalter hätten sich in Leistes Festsälen getroffen, und Ortsgruppenleiter Duckstein habe die Schicksalsschwere der bevorstehenden Entscheidung gewürdigt, zu der jeder Laue aufgerüttelt werden müsste: “Ein noch nicht dagewesener Wahlschleppdienst müsse und werde am 12. November einsetzen. Von jedem Parteigenossen müsse erwartet werden, daß dieser bis 13 Uhr der Wahlpflicht genügt habe.“ Für den Abend vor der Wahl kündigte PG Schulze Veranstaltungen an: “Geplant sei eine Weihestunde auf dem Stadtmarkte, wo nach einem Platzkonzert der neue Landesbischof Beye inmitten fackeltragender Amtswalter die Weiherede halten wird. Nach dem Niederländischen Dankgebet und dem Horst-Wessel-Lied werden auch in unserer Stadt wie im ganzen Lande die Glocken läuten.“
Landesbischof und SA-Mann Beye erließ an alle Pfarrer und Kandidaten der Theologie ein Runschreiben: “In der Zeit vom 1. bis zum 5. November 1933 ist die Aufnahmesperre für die SA aufgehoben. Dadurch bietet sich allen jüngeren Volksgenossen Gelegenheit, durch Eintritt in die Kampftruppe unseres Führers zur tatkräftigen Mitarbeit am Aufbau des deutschen Vaterlandes sich zu bestätigen. Ich erwarte von den Pfarrern und Kandidaten unserer Landeskirche, soweit sie das 35. Lebensjahr nicht erreicht haben, von dieser Gelegenheit zum Eintritt Gebrauch zu machen. Eine Abschrift der Aufnahmeanträge durch Vermittlung der Kreispfarrer ist dem Landesbischof zu übersenden.“
Im Gasthof Frömbsdorf trafen sich die Vorsitzenden der nationalen Verbände und Vereine, um eine Treuekundgebung der SA-Kriesgopfer zu planen. Nach einem begeisterten Aufruf des Kreisobmannes Dürkop für eine lebhafte Beteiligung entwickelte PG Schulze das Programm. Die WZ: “Danach marschieren die einzelnen Verbände mit ihren Fahnen und Wimpeln geschlossen morgen zum Schloßplatze, wo um 18 Uhr ein Festakt die Kundgebung einleitet. Darauf geht ein Fackelzug durch durch verschiedene Straßen bis zur Gaststätte Antoinettenruh.“ Die Bürger waren aufgerufen, die Straßen zu schmücken, und die Geschäftsleute und Behörden wurden gebeten, ihren Angestellten die Teilnahme rechtzeitig zu ermöglichen. Mitten im redaktionellen Teil prangte eine Anzeige mit diesem Text: “Der Marxismus hat Deutschland um Arbeit und Brot gebracht. Adolf Hitler baut auf, aber mit einem Schlage lässt sich dem ganzen deutschen Volke nicht Arbeit und Brot schaffen! Der Winter steht drohend vor uns.
Sollen unsere arbeitslosen Volksgenossen hungern und frieren?
Nein!
Wir Deutschen halten zusammen!
Jeder gibt! Unsere Groschen schaffen die Munition im Kampf gegen Hunger und Kälte. Der Arbeitslose braucht keine Almosen mehr! Das ganze deutsche Volk opfert, um ihm zu helfen!
Unter Adolf Hitlers Regierung soll kein deutscher Volksgenosse im kommenden Winter hungern und frieren! Willst Du auch opfern, so gib Deine Spende am nächsten Freitag bei der Listensammlung!“
Die Angestellten der Firma Most, Kakao- und Schokoladenfabriken im Geschäft in der Langen Herzogstraße gingen voran und erklärten sich bereit, von ihren Gehältern 1 Prozent für die “Spende der Arbeitsbeschaffung“ zur Verfügung zu stellen.
Der November war schon immer ein Gedenkmonat: Am Monatsanfang das Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, die nun als “NS-Kriegsopfer“ bezeichnet wurden. (Unter den Gefallenen des Ersten Weltkrieges befinden sich übrigens auch 12.000 jüdische Soldaten, einige von ihnen stammten aus Wolfenbüttel.) Auf dem Schlossplatz fand eine riesige Gedenkfeier statt, die nach einem Fackelzug durch die Stadt, deren Häuser zum Teil prächtig illuminiert waren, in Antoinettenruh mit einer Treuekundgebung endete. Die Kriegsopfer wurden in Wagen, flankiert von Hitlerjungen, mitgenommen. Max Cohn, der an der Westfront seinen linken Arm verloren hatte, also auch ein Kriegsopfer, durfte als Jude nicht dabei sein. Die markigen Aussagen der Redner, Kreisobmann der NSK Dürkop, des Kreisleiters Lehmann, des Bürgermeisters Alpers und des Staatsministers Alpers sollen hier nicht zitiert werden. Sie unterschieden sich kaum von den Reden, die schon immer gehalten wurden und die noch gehalten werden.
In Antoinettenruh fand am 9. November eine SA-Gedenkfeier für die Toten des Münchener Hitlerputsches statt. Während der Feier wurden 14 Hitlerjungen von SA-Standartenführer Hannibal als nun 18jährige Männer in die SA aufgenommen. Die SA-Standartenkapelle unter Heinrich Pinkernelle begleitete wie immer die gewalttätigen Hetztiraden der Redner gegen andere Menschen und spielte zunächst die “heroische“ Ouvertüre zu “Egmont“ und vor der Gedenkrede des Kreispfarrers Teichmann Ases Tod aus Peer Gynt“ von Grieg. Der Pastor rief zum Gedenken der Toten des Weltkrieges auf und derjenigen der “braunen Armee Adolf Hitlers“. Hitler sei es gewesen, der den Geist der Gefallenen zu neuem Leben erweckt habe, deshalb sei Gott zu danken, diesen Führer geschickt zu haben.
Neben einschlägigen Rednern fanden sich in Wolfenbüttel immer wieder Frauen und Männer, die ihre Begeisterung in Gedichtform brachten. Diesmal war es “Kamerad Leiste“, der seine Erinnerung an den kürzlich verstorbenen Antisemiten Thedor Fritsch in drei Verse setzte. Nicht alle sollen hier zitiert werden:
“Als alle schwiegen – hast du gesprochen,
Den dunkel-spukhaften Bann gebrochen;
Bist aufgestanden mit deutscher Glut,
Mit einsamem, mit heroischem Mut
Gegen das Faustrecht – das fremde Blut.
Wagemutiger du!“
(Für Fritsch waren Juden Ungeziefer. Hier ein kurzes Zitat dieses in Antoinettenruh zum Helden gemachten Wegbereites des Holocaust: “Es ist einleuchtend, daß dieser wahnsinnige Luxus des Juden-Haltens auch das wohlhabendste und fleißigste Volk allmälig ruiniren muß – zu allen Zeiten ruinirt hat. Wenn unser Volk durchaus Luxus treiben will, so mag es sich neben Schoßhündchen und Goldfischen noch Kakadu’s, Schildkröten, Chamäleon’s, Klapperschlangen, zahme Krokodile und anderes Ungeziefer halten, aber den Juden-Luxus ertragen wir auf die Dauer nicht!“)
Mit dem Trauermarsch aus der Eroica-Sinfonie von Beethoven und dem Largo von Händel schloß Heinrich Pinkernelle die Feier. Noch ein Wort zu Heinrich Pinkernelle: Der bekannte Wolfenbütteler Musiker hatte schon früh die Zeichen der Zeit erkannt und sich ab 1932 der NS-Bewegung (Eintritt in die NSDAP am 1.3.1932, Mitglieds-Nummer 990929) angeschlossen.
Otto Rüdiger vermerkte zu einer NS-Veranstaltug: “Daneben wurde das Volk mit Armeemärschen von der inzwischen zur offiziellen Nazikapelle aufgestiegenen Kapelle Pinkernelle besoffen gemacht.“ Pinkernelle, der einmal als einer der “begehrtesten Männer Wolfenbüttels“ bezeichnet wurde, konnte alles spielen: Er intonierte das SA-Lied mit dem Refrain des vom Messer spritzenden “Judenblutes“, spielte Symphonien, Opernmelodien, zu Weihnachten 1933 einen Violinpart in einer Solokantate von Buxtehude, geistliche Abendmusik für die NS-Volkswohlfahrt ebenso wie muntere Märsche bei einer Wahlveranstaltung 1963 der 1965 als rechtsradikal verbotenen Deutschen Reichspartei und Tanzmusik bis zu seinem letzten Konzert als Musikmeister vor 800 Teilnehmern im Oktober 1958 in Antoinettenruh. Er sei, so berichtete mir der Sohn des ehemaligen Landrates Kunkel, komplett von der KPD zur NSDAP übergelaufen. Die Wolfenbütteler Schützen priesen ihr Ehrenmitglied in der Todesanzeige 1972 als “geradlinig mit lauteren Charakter“ und wollten sein Andenken stets in hohen Ehren halten. Wolfenbüttel hatte dem Musikus verziehen – könnte man schreiben, aber das wäre unzutreffend: Da gab es nichts zu verzeihen, denn er, wie andere Mitmacher und Nutznießer auch, machte hier weiter, als ob nichts gewesen war. Verziehen haben ihm nur die wenigen, die unter den Nazis zu leiden hatten: Bürgermeister Ehrhoff (SPD) verabschiedete ihn mit den Worten: “Was Sie mit Hingabe und Liebe getan haben, hat auch dazu beigetragen, der Stadt Wolfenbüttel ein besonderes Gepränge zu geben.“ Besser hätte Ehrhoff den Umgang der Stadt mit der NS-Zeit bis Ende der neunziger Jahre nicht beschreiben können.
Bereits am 2. November erklärte die WZ-Redaktion ihren Lesern, wie sie am 12. November zu wählen hätten: “Bei dieser Wahl erhält jeder Wahlberechtigte einen grünen und einen weißen Stimmzettel. Der grüne Wahlzettel ist für die Volksabstimmung und der weiße für die Reichstagswahl bestimmt. Der Wähler hat bei der Volksabstimmung auf dem grünen Stimmzettel in den Kreis unter dem vorgedrucken “Ja“ sein Kreuz einzusetzen. Der Kreis unter “Nein“ bleibt frei. Auf dem Stimmzettel für die Reichstagswahl wird in den Kreis hinter dem Namen der Nationalen Deutschen Arbeiterpartei ein Kreuz eingezeichnet.“ Und damit es auch wirklich klappte, druckte die Zeitung beide Wahlzettel ab, in denen an den gerade benannten Stellen die Kreuze bereits gesetzt waren. Darüber steht: “So sehen die Stimmzettel aus, wenn Du gewählt hast.“ Erstaunlich, dass in einem Teil Deutschlands “Wahlen“ dieser Art noch bis in die achtziger Jahre durchgeführt wurden …..
Ein paar Tage später veröffentlichte die Zeitung einen Aufruf des “Führers des Deutschen Frauenwerkes“ und Reichsführer der NS-Frauenschaft, Landrat Dr. Krummacher: “Parteigenossen! Volksgenossen! Seit 12 Jahren, seit den unseligen Tagen der Unterwerfung des deutschen Volkes unter die entehrenden Bedingungen des Versailler Vertrages, ist es mit Deutschland bergab gegangen. Ein Volk, das seine Ehre preisgibt, kann sich in der Welt nicht durchsetzen. Darunter mußte auch das gesamte Wirtschaftsleben und vor allem nicht minder die kulturelle Arbeit leiden, und wir haben es erlebt, daß ein Volk ohne Ehre seinen Charakter verliert und seine Rasse an fremde, unserem Volkstume feindliche Elemente preisgibt.“ Krummacher behauptete, es ginge Deutschland um einen “ehrlichen Frieden“, bemängelte aber gleichzeitig, das Deutschland nicht wie angeblich andere Länder Kriegswaffen wie Heere, “Bombengeschwader, Giftgase, Tanks, schwere Kanonen in tausenden von Stücken“ besitzen dürfe: “Deutschland selbst will keinen Krieg, denn gerade unter volkspolitischen Gesichtspunkten gesehen, würde ein solcher Krieg unserem Volke wieder die besten rassischen Kräfte rauben und den Aufbau der Nation und der Rasse in höchstem Masse gefährden.“
In der Landwirtschaftlichen Schule befasste sich die Bauernschaft und das Lehrerkollegium mit der bevorstehenden Wahl: “Der 12. November soll uns alle an den Wahlurnen sehen, mit einem Ja auf dem grünen Zettel. Ein Lump derjenige, der ein “Nein“ ankreuzt. Er begeht den gemeinen Verrat am Volke.“
Am 7. November marschierten die ältesten Wolfenbütteler Vorkämpfer der nationalsozialistischen Bewegung unter Vorantritt der Standartenkapelle geschlossen zum Bahnhof. Ehe die “16“ Getreuen“ den Zug nach München bestiegen, um dort an der Zehnjahresfeier des Hitler-Putsches teilzunehmen, hielt Obersturmführer Gebhardt eine Rede und forderte die “Alte Garde“ auf, dem Führer eine unerschütterliche Treue zu bewahren. Die Hiergebliebenen SA-Männer trafen sich anlässlich dieses Tages in Antoinettenruh und lauschten der Gedenkrede, die Pastor Teichmann hielt.
Einige Tage vor der Wahl veröffentlichte die WZ ein Interview mit Goebbels zu der Frage “Warum Reichstagswahl?“ Auf die Frage, warum nur die NSDAP gewählt werden kann und welchen Zweck dann überhaupt eine Wahl hat, antwortete der Propagandaminister mit einem quasi vorweggenommenen Ergebnis: “Diese Reichstagswahl ist etwas völlig Neues in der deutschen Geschichte. Sie soll und wird das erste Mal das ganze deutsche Volk in einer noch nie dagewesenen Einheitsfront zeigen. Der 12. November wird ein Markstein der deutschen Geschichte werden. Wir werden endlich einmal einen Reichstag haben, der aus einem Guß ist. Das ist der Sinn der von Adolf Hitler geführten Einheitsliste, die auch eine Reihe bester deutscher Männer von einwandfreier nationaler und sozialer Gesinnung ohne Rücksicht auf ihre frühere Liste enthält. Schon die Zusammensetzung dieser Liste ist von dem hohen Gedanken der Versöhnung und Zusammenarbeit getragen von dem Adolf Hitler bei seinem Werk sich stets hat leiten lassen. Stimmt das deutsche Volk dieser Liste einheitlich und geschlossen zu, dann ist endlich die unselige Zwietracht und Parteizersplitterung der deutschen Vergangenheit überwunden.“
Diese Art der Gleichschaltung mit Stimmzetteln hatte natürlich die von Goebbels letzlich vorhergesagten Ergebnisse. Von 13610 Wahlberechtigten der Stadt Wolfenbüttel sollen 12192 Wähler ihre Stimme der NSDAP gegeben haben. Bei der Volksabstimmung haben 12701 Wolfenbütteler mit Ja gestimmt, 312 mit Nein. Die Reichsergenisse lagen alle im oberen Bereich von 90 Prozent. Der Reichstag hatte jetzt nur noch eine Fraktion: „Nach der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 zählte unsere Fraktion 12 Abgeordnete, am 12. November 1933 661 Abgeordnete, darunter über 630 Parteigenossen“, so Innenminister Frick, der dieses gefährliche “Parlament“ eröffnete. Hitler zeigte taktische Bescheidenheit und schob den “Erfolg“ seinen Parteigenossen und Parteigenossinnen zu: “Die einzigartige Größe des Erfolgs ist für Euch alle die größte Anerkennung, die Rettung des Vaterlandes wird einst Euer Dank sein!“
Am Samstag, 2. Dezember 1933, fanden die Leser in der Lokalzeitung einen Aufruf der Deutschen Christen, der Glaubensbewegung, die die „SA der Kirche“ sei. Beide würden um die „männliche äußere und innere Erfüllung des Dritten Reiches im Geist des Nationalsozialismus kämpfen“. An jedem ersten Sonntag des Monats gehöre der Familienvater unter die Kanzel: „Der Vater der Familie ist auch ihr vorbildlicher Führer zur geistigen Lebensgemeinschaft. Auf ihn geht der Ruf, aus dem Erleben der Familie die Zukunft der seelischen Kraft Deutschlands zu sichern. Männer unseres Volkes, geht in die Kirche!“
Zu einer Adventsfeier hatten die Vaterländischen Fauenvereine und die NS-Frauenschaft eingeladen. Nach den üblichen Lobpreisungen der nationalen Revolution und den Huldigungen auf den „Volkskanzler“ sprach Landesbischof Beye, Nazi und SA-Mitglied. Die WZ zitierte: „Eine eigenartige Stimmung liegt jedes Jahr über diesen Tagen, die wir Adventszeit nennen. Aber besonders in diesem Jahr sollten uns die Augen glänzen und das Herz weit werden, wenn wir an die Zeit zurückdenken, die nun hinter uns liegt und wenn wir uns deutlich machen, was uns der Herrgott beschert hat: ein einig Volk von Brüdern, zusammengeschmiedet in einem einheitlichen völkischen Lebenswillen. Gebe Gott, daß dieser Lebenswille so stark ist, daß er nimmer zerstört werden kann! Totensonntag ist gewesen und an diesem Tage sind sie wieder lebendig geworden die brauenen Kämpfer, die Soldaten im feldgrauen Kleid und die Opfer des Alltags, die gefallen sind in dem Kampf um die Existenz ihrer Familien. Lebendig geworden ist, was wir verloren hatten und was der Herrgott uns nahm. Nun ist wieder Advent. Wir stehen in froher Erwartung der Weihnacht und haben mitgebracht die Gemeinschaft des Blutes, die wir erkannt und erstritten haben und der wir leben wollen. Die diesjährige Vorweihnacht sagt uns: Dieser Lebenswille der Nation wird lebendig bleiben, er wird nicht zerstört werden, wenn wir eine Gemeinschaft auch des Glaubens werden… Ihr deutschen Frauen habt das Köstlichste geschenkt bekommen durch Weihnachten. Maria war von jeher das Sinnbild der Reinheit und Treue: ein Vorbild für dasjenige, was die deutsche Frau wieder für uns Männer werden soll. Ihr sollt dastehen, daß die Kinder die deutsche Mutter vor sich sehen, daß sie in Ehrfurcht zu ihr aufschauen. Weihnachten naht, und nun geht hin in eure Häuser und zeigt, daß unser Volk nur leben kann, wenn es getragen wird von jenem Glauben, den uns Weihnachten schenken kann. Du deutsche Frau bist Hüterin der echten deutschen Frömmigkeit, des köstlichen Edelsteins. Hüte du das deutsche Frauentum und Muttertum.“
Weitere Feiern folgten. Am 23. Dezember, als Hitler die Franzosen bat, ihn über seine Abrüstungsabsichten zu informieren und so der Eindruck der Friedfertigkeit des Diktators entstehen konnte, leitete Kurt Meyer-Rothermund, späterer Ehrenbürger der Stadt Wolfenbüttel (1959), seine Weihnachtskolumne „Deutsche Weihnacht 1933“ mit einem Zitat von Adolf Hitler ein: „Gerade der völkisch Eingestellte hat die heilige Verpflichtung, jeder in seiner eigenen Konfession dafür zu sorgen, daß man nicht nur immer äußerlich von Gottes Willen redet, sondern auch tatsächlich Gottes Willen erfülle und Gottes Werk nicht schänden lasse.“
Meyer-Rotermund fuhr fort: „Auf der Schwelle desjenigen Festes, das in seinem tiefsten Wesen so urdeutsch ist, wird jedem nachsinnenden, bei sich selbst Einkehr haltenden Gemüt überwältigend deutlich, wie sich das Gesicht unseres Volkes gewandelt hat. In den letzten Jahren jagte gerade um die Weihnachtszeit eine parlamentarische Krise die andere; Haß und Zweitracht schwiegen kaum während der kurzen Festtage; der Kampf aller gegen alle war nur oberflächlich gedämpft, schon lauerte wieder die Selbstzerfleischung, um den letzten nationalen Zusmmanhalt zu sprengen. Wenn morgen abend von unzähligen deutschen Domen und Kirchen in Stadt und Land die Glocken die Heilige Nacht verkünden, dann vernehmen wir in dieser ehernen Botschaft am Christabend alle, die es staunend miterlebt haben, das Wunder der deutschen Volkwerdung.
Endlich ist es wieder eine deutsche Weihnacht, die einem bereits verirrten und verzweifelten Volke eingeläutet wird. Gewiß, – „Friede auf Erden“ ist auch diesmal nicht weltumfassende Segnung. Das gänzliche Aufhören von Kampf, Streit und Gegensätzen, von Ungerechtigkeit und Gewalt ist uns Deutschen beschieden, wie es keinem Volke der Erde je beschert sein wird. Solange es Menschen gibt, wird ihre Unzulänglichkeit es nicht zu dem Idealzustand eines ewigen Friedens, eines Himmel auf Erden kommen lassen. Das Gesetz der irdischen Unfertigkeit ist der Kampf. Sterben und Opfern fordert er nach wie vor.
Und doch gibt es an diesem Weihnachtsfest so viel des Erhebenden, so viel der Gnade für unser Volk, daß ihm alle Herzen höher schlagen dürfen und müssen. Wie oft haben wir früher, wenn das Jahr seinem Ende sich zuneigte, uns in banger, immer schwächer werdender Hoffnung gefragt, wann wir wieder ein echtes, deutsches Weihnachtsfest mit Zukunftsfreudigkeit begehen würden. Das höchste Fest der Christenheit hatte für uns angesichts der schier heillosen Zerklüftung im Volke einen misstönenden Beiklang, dem selbst die dröhnendsten Glocken nicht nicht völlig überdecken. Welch ein Hohn war, um wenigstens äußerlich die weihnachtliche Würde zu wahren, die Verfügung eines „Burgfriedens“ mit seiner kümmerlichen Fristsetzung. Und wo blieb in den vergangenen marxistischen Jahren die Sorge um die hungernden und frierenden Volksgenossen? Ein paar schöne Redensarten und wohlfeile Versprechunen wurden ihnen gemacht, – zu wirklicher tatkräftiger Hilfe rührte kaum eine Regierung zum „Fest der Liebe“ die Hände.
Opfermut, Einsatzbereitschaft bis zum äußersten verkannt, vielfach auch in nationalen Kreisen, die selbst jedoch sich nicht aufzuraffen vermochten, – unter schicksalsgebundener Führung erfolgte dann die Wendung, über deren übermächtige Größe wir uns heute nicht mehr im Zweifel sind, obwohl wir sie erst allmählich fassen und würdigen können. Zu vieles war in uns zerbrochen, als daß der Heilungsprozeß glatt und burtig verlief. Wer so nahe am Abgrund gestanden hat, kann nach seiner Rettung nicht sofort die Seelenruhe einstiger sorgloser Tage bekunden.
Vor allem wird das Ausland, das im eigenen Bereich all unser jahrelanges Leid und Elend nicht erfahren hat, die deutsche Seelenverfassung seit dem nationalen Umbruch nicht verstehen. Aber auch dort melden sich Stimmen, die zu begreifen anfangen, was für uns die Rettermission Adolf Hitlers bedeutet. Die übrige Welt hat Achtung bekommen vor unserer Schicksalsgemeinschaft, die ein bisher nirgends jenseits der deutschen Grenzen derart verwirklichtes Winterhilfswerk ins Leben gerufen.
Diese großartige, überall sich einsetzende Notgemeinschaft, ein Zeugnis wahrhaft praktischer Nächstenlieb, ist das besondere und erhabene Zeichen der deutschen Weihnachten 1933, der ersten im nationalen Staate! K.M.R.“
In der gleichen Ausgabe erschien das Gedicht „Weihnacht 1933“ von Helene Hückel aus Wolfenbüttel:
“Weihnachtsglocken klingen, Hell wie nie zuvor, Dankeslieder schwingen Sich zu Gott empor. Durch die Nacht der Schmerzen Strahlt voll Zuversicht Allen deutschen Herzen Neuer Hoffnung Licht. Einen Retter sandte Gott dem Vaterland, Haß und Zwietracht wandte Seine starke Hand. Liebe geht alleinig Durch der Häuser Reih’n, Läßt uns all’ ein einig Volk von Brüdern sein. Laßt gemeinsam treten Uns zum Kripplein klein, Läßt uns gläubig beten Bei der Kerzen Schein. Weihnachtslieder klingen Hell wie nie zuvor, Dankeslieder schwingen Sich zu Gott empor.
Meyer-Rotermund konnte sich nicht zurückhalten, in der letzten Ausgabe der WZ vom 30. Dezember 1933 einen „Kleinen Wunschzettel für 34“ zu veröffentlichen. Nach einem Lob auf den Volkskanzler schrieb er: “Daß den Volkskanzler auf seinem nach härtestem Ringen erkämpften Wege in die Freiheit die Gedanken selbst der einfachsten und ganz in der Stille bleibenden Menschen folgen, davon zeugte in rührender Weise so manches Verslein, das zum Weihnachtsfeste unserer Schriftleitung zuging. “Druckreif“ waren sie nicht, diese schlichten, aber so unendlich gläubigen und herzlichen Bekenntnisse, aber ihr innerer Wert übertrifft das glatte, äußerlich formvollendete Erzeugnis der Konjunkturliteraten.“ Danach formulierte der Bildungsbürger Meyer-Rotermund seine Wünsche für die Entwicklung der Kunst in seiner lieben, kleinen Herzogstadt: Er lobte die unvoreingenommenen Begegnungen in der Arbeitsfront und die Ziele der Organisation “Kraft durch Freude“ mit ihrem edlen Vorsatz, “den Urlaub einers jeden angeschlossenen Volksgenossen zu verschönern und zu vertiefen“. Die Organisation bezwecke die “Erschließung der Kulturgüter für solche Kreise, die bislang dieser ideellen Beglückung noch nicht teilhaftig werden konnten“. Das Wolfenbütteler Kulturleben beharre neuen Auftriebes. Die Musik- und Rezitationsabende der NS-Frauenschaft ließen auf ein deutliches Verlangen weiter Kreise nach einer Unterhaltung höheren Grades schließen. “Die NS-Kulturvereinigung, die den einstigen, in den letzten Jahren freilich nicht mehr fruchtbar gewesenen Lessingbund abgelöst hat, ist neben der Theatergemeinschaft die berufene Kultur-Vermittlerin in Wolfenbüttel geworden.“ Der humanistisch gebildete Schriftleiter wagte etwas Kritik: “Zu wünschen wäre, daß sie ihr Programm über kämpferische und propagandistische Zielsetzung hinauswachsen lässt.“ Konkret wurde Meyer-Rotermund mit Vorschlägen zur Belebung des heimischen Konzertlebens, zur Betreuung und Ausbau der Sammlungen und Kulturinstitute und vor allem zur Pflege des Stadtbildes: “Wer sich aufmerksam die alten Häuser betrachtet, wird wünschen, daß noch mehr für die Rettung einstiger handwerklicher Kunst geschehen möchte.“
Quellen:
Wolfenbütteler Zeitung (WZ)
Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel