Nazis, Mitmacher, Mitläufer, Opportunisten, und andere …
„Wir haben Menschen zur Regierung kommen lassen, denen wir misstrauen mussten (. . .) Betrachten wir uns nicht als Opfer, sondern als solche, die mit der Hölle im Bunde waren und wunderbar gerettet sind.“
Ricarda Huch, 1.1.1946
Das Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus kann nicht nur über die Erinnerung an die Opfer erfolgen. Opfer gab es nur, weil es auch Täter gab. Und die Entscheidung, wer ein Täter war, wer sollte/durfte sie nach der Befreiung fällen? Die deutsche Justiz war durchsetzt von Juristen, die selber zu Tätern geworden waren. Wie sollten Täter andere Täter verurteilen?
Die Täterbenennung fiel oft der Gleichmacherei der Gewaltherrschaft mit den Folgen des Krieges zum Opfer. Das Schlagwort „Es war eben Krieg“ erzeugte manche Unschuld. So kam mancher Täter davon. Das Filbinger-Wort vom damaligen Recht, das heute kein Unrecht sein kann, ist noch latent. (Auf dem Wolfenbütteler Friedhof an der Lindener Straße stehen Hinweisschilder zu Opfer-Gräbern. Die Opfer der Gewaltherrschaft vom 6./7. Juli 1933 werden mit den tatsächlichen Kriegstoten unter dem verfälschenden Begriff „Kriegsgräber“ genannt.)
Natürlich wurden Täter gefunden und bestraft: Von alliierten Gerichtshöfen, von Militärgerichten, von der deutschen Justiz, von ausländischen Gerichten und nicht zuletzt von der israelischen Justiz, z.B. im Eichmann-Prozeß. Die Verfolgung von Nazi-Verbrechern ist auch heute, 2007, noch nicht zu Ende.
Ein anderes Kapitel ist die Verdrehung von Schuld in das Gegenteil: Es hat auch jene Männer gegeben, die Nazis waren oder sich gegen das Mitmachen nicht gewehrt oder gern mitgemacht haben, die plötzlich so kurz vor dem sichtbaren Ende des Krieges die Gefahr für das Gemeinwesen erkannten und für den Abbau von Panzersperren sorgten oder dem „Feind“ zur Übergabe entgegengingen. So entstanden Legenden, z.B. die um den Wolfenbütteler Nazi-Bürgermeister Ramien, der sicher an der Rettung beteiligt gewesen war, dessen „Heldentum“ aber hauptsächlich auf seinen eigenen Aussagen beruht.
Es war die Zeit, in der entschlossene und furchtlose Männer der Tat das Richtige veranlaßten. Ganz sicher hat es diese Männer gegeben, die es verdient haben, auch als NS-unbelastete Retter ihres Ortes bezeichnet zu werden. Manchmal gibt es sogar heute noch, wie z.B. aktuell in Groß Steinum, Kreis Helmstedt, Streit zwischen zwei Familien um die Frage, wer aus welcher Familie das Dorf gerettet hat. (BZ vom 18.10.06, 30.10.06, 1.8.07, 3.8.07)
Die Braunschweiger Zeitung veröffentlichte am 6. Oktober 1949 den folgenden Artikel:
Hat Adolf Hitler wirklich gelebt?
Thomas Flesche
„Als 1945 die amerikanischen Panzer über die deutschen Landstraßen rollten, als die „leichteren Fälle“ unter den nationalsozialistischen Funktionären zum Zweck eines Ortswechsels die Koffer packten und die Männer mit stärker strapaziertem Gewissen den neugermanischen Heldentod an Zyankali oder Veronal starben, da gab es Leute, die das Fazit dieser ganzen Erscheinung mit den Worten zogen: „Der Spuk ist aus.“ Verständlich war eine derartige Auffassung schon, aber sie übersah, daß hinter all dem Spukhaften, Unwirklichen und Gespenstischen der zwölf Jahre, die nun ihren Abschluß gefunden hatten, doch eine höchst kompakte grauenhafte Wirklichkeit gestanden hatte. Als „Spuk“ konnte sich all das höchstens für den ausnehmen, der es aus der im Grunde ungestörten Beobachter-Loge seines Privatlebens hatte beschauen können. Dem Ausgebombten, dem Frontsoldaten, dem politisch Verfolgten konnte das, was geschehen war, schlechterdings nicht als Spuk erscheinen. Er wußte, es hatte sich um eine Wirklichkeit gehandelt, um harte, nicht zu leugnende Tatsachen. Mit Tatsachen aber muß man sich auseinandersetzen.
Diese Auseinandersetzung ist eine Zeitlang geführt worden, in den einzelnen Köpfen und Gewissen, in Gesprächen von Mensch zu Mensch und schließlich auch in den Zeitungen, im Funk und in den Zeitschriften. Sie ist von Fall zu Fall mit mehr oder weniger Ernst und mit mehr oder weniger Erfolg geführt worden. Nun aber scheint die Zeit der Auseinandersetzung vorbei. Das könnte sein Gutes haben, denn ein Volk, das vor den größten Aufgaben steht, kann nicht ewig Schuldkomplexe kultivieren. Sieht man indessen in die Wirklichkeit, so bekommt die Sache doch ein anderes Gesicht. Der Spuk scheint wiederzukehren. Adolf Hitler scheint gegenwärtig der populärste Mann Deutschlands zu sein, wenn man etwa von Gröning und dem sizilianischen Bandenführer Guillano absieht. Alle Zeitungskioske sind mit Reklameplakaten aller möglichen Zeitschriften gepflastert: „Adolf Hitler, der große Liebhaber“, „Adolf Hitler und 12 Frauen“, „Das Geheimnis um Hitlers Nachkommen“ usw. Als Autoren bieten sich von der Hebamme, die den werten Verstorbenen seinerzeit, was sie lieber nicht hätte tun sollen, ans Licht des Tages befördert hat, bis zu den vermutlichen Beseitigern seiner irdischen Überreste alle möglichen Leute an, die jemals, und sei es nur auf die belangloseste Weise, mit Herrn Hitler Kontakt gehabt haben.
Dabei ist nun eines sehr merkwürdig: der Hitler, den ein jeder kennen gelernt hat, der Mann der blutrünstigen Reden und Erlasse, der größte Feldherr aller Zeiten der den Zweiten Weltkrieg entfesselte und verlor, scheint gar nicht existiert zu haben. In all diesen Sensationsartikeln ist die Rede von einem kleinen Spießbürger und von mehr oder weniger sonderbaren, aber niemals überdurchschnittlichen Marotten seines privaten Lebens. Die Weltgeschichte, mit der dieser Mann doch immerhin zu tun hatte, bekommt auf diese Weise ein fatales Aussehen. Es scheint ein bloßer Betriebsunfall der Historie zu sein, die dem Zimmerherren aus der Brienner Straße in die Rolle des motorisierten Dschingis-Khan hineinzwang.
Das aber ist das Gefährliche an all diesen lumpigen Veröffentlichungen, über die es sich sonst überhaupt nicht zu reden lohnte. Sie drohen, das deutsche Volk der Einsicht, die es kaum gewonnen hat, zu berauben. Sie schaffen den Hitler-Mythos, den Wissende schon 1945 herankeimen sahen, auf eine ganz besondere Weise. Sie schildern ganz genau, wie alle Veröffentlichungen, die die Apostel und Paladine des Einzigen betreffen, den Diktator als Kleinbürger, den Menschenvernichter als harmlos pathologischen Liebhaber, den Kulturzerstörer als dilettierenden Architekten.
Träfe diese Meinung zu, so hätte Adolf Hitler wirklich nicht gelebt. Deutschland wartet auf den Publizisten von Format, der ihm das richtige Bild zeichnet, indem er das Pferd vom Maul aufzäumt. Man muß den Spieß umdrehen und den von Minderwertigkeitskomplexen geplagten Kleinbürger als Diktator schildern, die Rolle einer verhemmten Sexualität bei der Entstehung des politischen Sadismus charakterisieren, die Zusammenhänge zwischen Kultur-Banausentum und Zivilisation kraß entlarven. Das Bild, das so entsteht, wird freilich weniger erbaulich sein, als der politische Kitsch in Gartenlauben-Format, an dem sich ein offenbar alle Katastrophen überlebendes Spießertum zu ergötzen nicht müde wird. Die Zerstörung der Legenden scheint allmählich eine sehr dringende Sache zu werden. Wenn das deutsche Volk nämlich wirklich vergessen sollte, daß Adolf Hitler wirklich gelebt hat, dann ist seine Absicht, daß es jemals sein nationales Leben in die Form bringt, die allen Versuchungen zum Diktatorentum und zum Totalitarismus den wirklich wirksamen Widerstand leistet. Adolf Hitler hat wirklich gelebt.“
Meine Erfahrungen im Umgang mit dem NS-Thema in dieser Region lassen die Vermutung zu, dass es Bestrebungen gibt, die Rolle von in der Nazizeit aktiven Personen beschönigend, wenn nicht sogar ins Gegenteil verdrehend, darzustellen. Manchmal ist es Unerfahrenheit im Umgang mit Beschreibung von Geschichte, es gibt aber durchaus Beispiele, die bewusstes Beschönigen durch mangelnde Recherchen, Weglassen oder hinzu zu vermuten, usw. erkennen lassen. Leider geschieht dies auch in anerkannten Publikationen. Z.B. sogar im Braunschweigischen Biographischen Lexikon. Belege dafür werden an dieser Stelle nach und nach vorgelegt.
Ministerpräsident Oettinger und Hans Filbinger
z.B.: Baden-Württembergs Ministerpräsident Oettinger bezeichnete den ehemaligen Nazi-Richter Hans Filbinger in einer Trauerrede als Gegner des Nationalsozialismus. (April 2007) Diese Verfälschung und Verharmlosung der NS-Geschichte führte zu einem bundesweiten Protest, getragen von fast allen Gesellschaftsschichten, nicht zuletzt auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Oettinger mußte diese Falschdarstellung schließlich korrigieren.
Der Retter von Aachen?
z.B. Aachen: In der ZDF-Fernsehserie „Die Wehrmacht“ (Anfang Dezember 2007) wurde über einen als „Retter von Aachen“ verehrten Nazi-General berichtet. Historiker hätten nun recherchiert und anhand der gefundenen Dokumente herausgefunden, das Gegenteil sei richtig:
„Im Jahr 1963 ehrte der Rat der Stadt Aachen den ehemaligen General der Panzertruppe Gerhard Graf von Schwerin mit der Umbenennung des Kornelimünsterweges in Graf-Schwerin-Straße. Der Rat zeichnete so den Offizier aus, der die militärische Kontrolle in Aachen übernahm, als amerikanische Truppen die Stadtgrenze erreichten. Die Ehrung, so führte der damalige Aachener Oberbürgermeister Hermann Heusch aus, sei „in dankbarer Würdigung der Tatsache, dass Graf von Schwerin sich im September 1944 als Abschnittskommandeur in Aachen trotz des für ihn damit verbundenen Risikos entschloß, die für die Stadt erlassene Räumungsverfügung aufzuheben“, erfolgt. Seit drei Jahrzehnten wurde von verschiedenen Seiten – aus Politik und Bürgerschaft – diese Entscheidung immer wieder scharf kritisiert.
Insbesondere die Tatsache, dass unter Graf von Schwerins Kommando zwei Jugendliche wegen angeblicher Plünderungsdelikte von einem Standgericht verurteilt und erschossen worden waren, führte zu der Forderung, eine Rückbenennung der Straße zu veranlassen. Im Jahr 2006 entschloss sich der Aachener Stadtrat zu einer generellen Überprüfung des städtischen Straßenverzeichnisses, um Benennungen nach Personen, die „während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Sinne der Naziherrschaft gehandelt, das System durch ihr Handeln unterstützt oder gefördert haben“, rückgängig zu machen.“
Zur Untersuchung der Historiker: “Im Ergebnis muss der Schluss gezogen werden, dass Graf von Schwerin in Aachen den militärischen Handlungsrahmen nicht verließ, um der Stadt und ihrer Bevölkerung Zerstörung und Leid zu ersparen. Auf dieser Erkenntnis aufbauend, beantwortet der zweite Teil des Gutachtens die Frage, wie es dennoch nach 1945 zu einer Verklärung Schwerins als „Retter von Aachen“ kommen konnte? Auch dieser Teil analysiert aus zahlreichen Archiven zusammengetragene Quellenstücke und dekonstruiert einen Prozess, in dem die Absichten einer wachsenden Zahl unterschiedlicher, an einer Mythologisierung der Kriegsereignisse interessierter Akteure ineinander griffen und sich das Geschichtsbild Stück für Stück von der Realgeschichte entfernte.“
Quelle: www.wiso.rwth-aachen.de