Demokratie Ende


Das Ende der demokratischen kommunalen Selbstverwaltung

Als Studienrat Kammerer die Befreiung vom Parteienstaat vorhersagte konnte er diese Mutmaßung bereits auf konkrete Entwicklungen in seiner Heimatstadt gründen. Nicht nur die Stadtverordneten der linken Parteien saßen nicht mehr im noch demokratisch gewählten Gremium, sonder auch der konservative und verdienstvolle Bürgermeister Eyferth war bereits seines Amtes enthoben. Nach seiner anfänglichen Weigerung, das Rathaus mit der Hakenkreuzflagge schmücken zu lassen, konnte er sich nach dem neuen Flaggenerlaß der Landesregierung nicht mehr weigern. Die BTZ meldete Mitte März das Aufziehen der Hakenkreuzflagge auf dem Rathaus und dem Amtsgericht; eine Woche später auch über dem Reichsbahnhof. Die Landeskirche gab Ende Juni bekannt, ab sofort seien bei festlichen Anlässen „in Kirche und Staat hinfort auf den evangelischen Kirchen und kirchlichen Gebäuden die Hoheitszeichen des Reiches, die schwarz-weiß-rote und die Hakenkreuzfahne zu hissen.“ Im August 1935 erreichte die Kirchenmitglieder die Information, an welchen Feiertagen die kirchlichen Gebäude einheitlich zu beflaggen waren. Das waren der Neujahrstag, der Tag der Reichsgründung am 18. Januar, am Tag der „nationalen Erhebung“ am 30. Januar, am Heldengedenktag, an Hitlers Geburtstag, am 1. Mai und am Erntedanktag im Herbst.

Schon immer war – unabhängig von der parteipolitischen Einstellung – der Umgang mit den nationalen oder gruppeneigenen Fahnen ein Vorgang, der tiefe Verbundenheit und Zusammenhalt beinhaltete oder bei Verletzung der Fahnenwürde auch keine Rücksicht mehr auf Menschenwürde nahm. Und damit die nun mit den bisher nie gekannten Fahnenmeeren konfrontierten Menschen etwas über deren Bedeutung erfuhren, klärte sie Oberstudienrat Dr. Ferdinand Naumann auf: Die alte deutsche Reichsfahne habe früher nur aus einem gelben Tuch mit schwarzem Adler bestanden; der Dreiklang der Farben sei aus der französischen Revolution entstanden, und obwohl sich die Burschenschaften, die Lützowschen Jäger und die Nationalversammlung von 1848 um schwarz-rot-gold geschart hätten, habe man nach der Reichsgründung 1871 die Farben schwarz-weiß-rot aus den kurbrandenburgischen weiß-roten und den preußischen schwarz-weißen Farben erkoren. Und da Deutschlands beispielloser Aufstieg und seine Stellung und Achtung in der ganzen Welt unter diesen Farben erfolgt sei, müsse sie nun erneut zum Symbol werden: Damit das Ausland sehe, „dass die Zeit der Schwäche vorüber ist und Deutschland wieder seinen Platz in der Welt beansprucht, der ihm gebührt.“ Doch ganz so, wie Naumann es vorhersagte, entwickelte sich die Flaggenrangfolge nicht. Rechtzeitig zum 20. April, des ersten Geburtstages Hitlers als Reichskanzler, erließ die Staatsregierung für Braunschweig eine spezielle Anordnung: Sämtliche Staatsdienstgebäude sollten an diesem Tag mit der schwarz-weiß-roten sowie der Hakenkreuzflagge beflaggt werden. Allerdings: Sollten derartige Gebäude nur einen Flaggenmast besitzen, habe daran die Hakenkreuzflagge gehißt zu werden. Die schwarz-weiß-rote Flagge sei in diesem Falle, soweit sich kein zweiter Mast aufstellen ließe, „an einer bevorzugten Stelle der Straßenfront des Hauses mittels eines besonderen Flaggenstockes als hängende Fahne anzubringen“. Somit war also die Rangordnung klargestellt: Die Fahne der „weltanschaulichen Mission“ erhielt den Vorrang vor der Staatsflagge, in der die Nationalsozialisten kein „ausdrucksvolles Symbol“ ihrer eigenen Tätigkeit sahen. Hitler in Mein Kampf (Seite 554): „Denn wir wollen ja nicht das alte, an seinen eigenen Fehlern zugrunde gegangene Reich wieder vom Tode erwecken, sondern einen neuen Staat erbauen.“ Das muß von den vom großen Reich träumenden Bürgerlichen wie ein Schlag auf den Kopf empfunden worden sein. So hatten sie sich die neue Reichwerdung nicht vorgestellt.

Am 12. März erließ Reichspräsident Hindenburg einen „Flaggen-Erlaß“, in dem er bestimmte, dass bis zu einer endgültigen Regelung der „Reichsfarben die schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzfahne gemeinsam zu hissen sind“. Über den Rundfunk bezeichnete Hitler den Erlaß als eine „Vermählung“ der Traditionsfahne mit den Farben der nationalsozialistischen Bewegung. Die Braunschweiger Regierung verbreitete in einem Fernschreiben an alle Kreisdirektionen aus Anlaß „des Sieges der nationalen Revolution“ die Anordnung, auf allen Staatsdienstgebäuden seien vom 13. bis zum 15. März schwarz-weiß-rote und Hakenkreuzfahnen zu hissen. Da es offenbar Menschen gab, die Stoff sparen wollte, wurde ein Mischmasch beider Fahnen verboten, da das der Bewegung schade.

Am 12. März erschien die Braunschweiger Tageszeitung mit der Schlagzeile: „Stürmt die Rathäuser!“ und versuchte so die preußischen Wähler, die an diesem Tag ihre kommunalen Parlamente zu wählen hatten, für „Adolf Hitler“ zu gewinnen: „Sturm auf die Gemeindeparlamente! Verfolgung! Den Gegner nicht zur Ruhe kommen zu lassen! Hinaus mit den schwarz-roten und sonstigen Mehrheiten aus den Kommunalparlamenten, aus den Kreistagen, aus den Provinziallandtagen! Jetzt muß reiner Tisch gemacht werden!“ Und etwas zurückhaltender: „Vergessen wir dabei nicht, dass es nicht so sehr darauf ankommt, daß die Fahnen des Nationalsozialismus auf den Rathäusern wehen, sondern daß in diese Gebäude der Geist des jungen Deutschland einzieht, der Geist, der alles hinwegfegt, was schlecht und alt, korrupt und niedrig ist. Wenn dieser Geist in den Rathäusern weht, dann erst flattern die Hakenkreuzfahnen mit vollem Recht im Vorfrühlingssturm auf den Türmen.!“ Damit die blind gehorchenden SA-Männer den wiederholten Aufruf zum Sturm auf die Rathäuser nicht allzu wörtlich nahmen, veröffentlichte die BTZ eingebettet in diese revolutionäre Aufforderung noch einen Aufruf Hitlers, der beschwichtigend darstellte, ab „heute habe die nationale Regierung die vollziehende Gewalt in ihren Händen“ und damit werde „der weitere Vollzug der nationalen Erhebung ein von oben geleiteter planmäßiger sein“. Nur dort, wo noch Widerstand geleistet werde, sei er sofort „gründlich zu brechen“. „Ihr müsst“, so Hitler zu seinen „Kameraden“, „dafür sorgen, dass die nationale Revolution 1933 nicht in der Geschichte verglichen werden kann mit der Revolution der Rucksack-Spartakisten im Jahre 1918. Im übrigen laßt Euch in keiner Sekunde von unserer Parole wegbringen; sie heißt: Vernichtung des Marxismus.“

Zwar flatterte über dem Wolfenbütteler Rathaus die Hakenkreuzfahne, deren Geist zog aber aufgrund der Zurückhaltung des noch im Amt befindlichen Bürgermeister Paul Eyferth immer noch nicht durch alle Amtsstuben des großen Fachwerkhauses. Doch das war nur noch eine Frage der Zeit: Stadtverordnetenvorsteher Heinrich Bode teilte Klagges mit, die beiden Nazi-Stadträte Knochenhauer und Hämerling weigerten sich, mit Eyferth weiterhin am „Aufbau des NS-Reiches“ weiterzuarbeiten. Der Stadtverordnete Hämerling begründete diese Haltung gegenüber Klagges mit dem SPD-freundlichen Verhalten des Bürgermeisters: „Bei den weitaus meisten von den NS-Stadträten eingereichten Anträgen, welche die Durchsetzung des NS-Programms zum Gegenstand hatten, fand der SPD-Stadtrat die Unterstützung des BM Eyferth, sodaß die Anträge mit Stimmengleichheit abgelehnt wurden.“

Später, als es um die Legalisierung der Eyferth-Absetzung ging, erklärte Bode ganz direkt: „Die ganze Einstellung des Bürgermeisters E. gegen unsere Bewegung war so zu verstehen, dass er uns ablehnte. Als der Führer am 30. Januar des Jahres zum Reichskanzler ernannt wurde, mußte auch ihm ein Licht aufgehen, dass er seine Einstellung revidieren müsse. Er wußte, daß derjenige, der sich gegen uns stemmt, von uns unter die Füße getreten wird.“ Der noch im Amt befindliche SPD-Stadtrat Garbe wurde auf höhere Anordnung von der Leitung seiner Dezernate entbunden. Er zog daraufhin die Konsequenz und ließ sich „beurlauben“.

Um die Frage, ob Eyferth dann entlassen wurde oder ob er selber zurückgetreten war, entspann sich eine Auseinandersetzung zwischen der WZ und der Braunschweiger Landeszeitung. Die hatte berichtet, Eyferth sei von Kreisdirektor Hinkel beurlaubt worden, die WZ dagegen stellte richtig und informierte seine Leser, er habe aus eigenem Entschluß seine Beurlaubung beantragt. „Es sei bedauerlich“, so die Zeitung, “daß in diesen Tagen, die reich an Spannungen sind, nicht davor zurückgescheut wird, verdiente nationale Männer in solcher Form anzuprangern, wie es der Landeszeitung in diesem Fall Eyferth, aber auch z.B. im Falle des Rektors der technischen Hochschule, des hochverdienten Gelehrten Prof. Dr. Gaßner beliebt hat. Bürgermeister Eyferth hat nahezu ein Menschenleben seiner Vaterstadt mit Hingabe seiner Persönlichkeit gedient und als nationaler Mann unserer Stadt über schwierigste Lagen, was der Landeszeitung anscheinend nicht bekannt ist, hinweggebracht. Das Wolfenbütteler Bürgertum, das mag sich die Landeszeitung gesagt sein lassen, wird es seinem Bürgermeister nicht vergessen, dass er 1918 und in späterer Zeit den kommunistischen Horden unter Einsatz seiner Person stärksten Widerstand geleistet und allzeit uneigennützig nur die Interessen der Stadt im Auge gehabt hat.“

Während Eyferth in seinem Büchlein „Erzähltes und Erlebtes aus Wolfenbüttel“ seine Rolle bei der sozialistischen Revolution reichlich ausreichend beschrieb, hielt er sich mit Erinnerungen an die Tage der braunen Revolution auffällig zurück. In seinem Schlußwort erklärte der dann 83jährige, er wolle alles vermeiden, „was mit der leidigen Parteipolitik irgend etwas zu tun hat“. Soviel aber bekundete er: Er habe das Bürgermeister-Amt bis 1933 versehen, „das heißt bis mich die nationalsozialistische Regierung zwangspensionierte“.

Ein etwas anderes Bild erhält der Betrachter, sieht er sich im Staatsarchiv Wolfenbüttel einige Unterlagen an, in denen sich Stellungnahmen und Briefe des Bürgermeisters befinden. Am 1. April schrieb Eyferth in einer Stellungnahme für die Kreisdirektion: „Ein Verwaltungsbeamter hat die Pflicht, der bestehenden und von ihm beschworenen Verfassung die Treue zu halten und ihr Gehorsam zu leisten. In revolutionäre Versuche, eine Verfassungsänderung sich einzuschalten, ist ihm versagt. Einerlei, ob er die Änderung wünscht oder nicht. Erst wenn infolge siegreicher Durchführung der Revolution neues Recht geworden ist, hat der Verwaltungsbeamte Stellung zu nehmen und die Verhältnisse anzuerkennen oder abzugeben.
Anders liegt die Sache heute: Es ist eine grundsätzliche Änderung eingetreten, die allerdings als solche von vielen Leuten noch nicht erkannt ist. Es gibt heute in Deutschland im bewußten Gegensatz zu früher nicht mehr eine parteipolitisch orientierte und gestützte Regierung, der innerlich gleichberechtigt eine gleichfalls parteipolitische Opposition gegenübersteht, sondern heute steht auf der einen Seite die autoritiv festgelegte offizielle Staatspolitik (Reichspolitik) und ihr gegenüber steht eine nicht als berechtigt anerkannte feindliche Gruppe.
Da diese offizielle Reichspolitik aus einer parteipolitisch begonnenden Bewegung erwachsen ist, hat aber keine Bedeutung. Aus dem Zusammenschluß der nationalen Parteien hat sich eine Mehrheit ergeben, die berechtigt ist, eine offizielle Reichspolitik festzulegen und die so geschaffenen Grundsätze sind infolge siegreicher Durchführung der nationalen Revolution verbindlich geworden. Diese offizielle Staatspolitik, die es früher also nicht gab, verlangt jetzt nicht nur Anerkennung, sondern auch Mitarbeit.“

Nach diesem beamtenrechtlichen Kopfstand erläuterte Eyferth auch seine persönliche Haltung: „Da ich niemals meine soziale oder nationale Einstellung verleugnet habe und insbesondere infolge wissenschaftlicher Beschäftigung mit sozialistischen Ideen trotz lockender Angebote stets abgelehnt habe, mich zum Marxismus zu bekennen, so bestehen bei mir innere Bedenken oder Hemmungen bezüglich künftiger Mitarbeit nicht, da ich ferner die Überzeugung gewonnen habe, daß es dem Leiter der deutschen Staatspolitik, dem Reichskanzler und seinem Kabinett im besten Sinne des Wortes „heiliger Ernst“ um die Durchführung seines Programms zur Errettung Deutschland ist, so erkläre ich mich bereit, mich rückhaltlos für seine Politik einzusetzen und danach mein Amt zu führen. Ich bin danach jeder Zeit bereit, meinen Urlaub abzubrechen und meine amtlichen Funktionen wieder zu übernehmen.“ (Falschdarstellungen lassen sich oft nicht ausrotten, da manche Historiker Darstellungen immer und immer wieder kritiklos übernehmen. Im Heimatbuch des Landkreises Wolfenbüttel 2008 behauptet der Historiker Uwe Lammers in seinem Aufsatz über den Brand des Wolfenbütteler Schlosses, Eyferth sei entlassen worden, weil er nicht der NSDAP beigetreten sei.)

Zwischenzeitlich war es zu einem kleinen Exzess gekommen: „Unbekannte“ hatten in der Kanzlei des älteren Bruders des Bürgermeisters, Notar und Justizrat Franz Eyferth, die Ober-lichter zerstört; im Hause des Bankiers Seeliger gingen etwa 20 Fensterscheiben zu Bruch. Auch die Kreisverwaltung hatte schnell reagiert: Kreisdirektor Hinkel ernannte Stadtrat Hämerling zum Staatskommissar und übertrug ihm damit die Pflichten des Bürgermeisters: Der Hakenkreuzgeist hatte das Rathaus nun endgültig erobert.

Der sich immer noch im Amt wähnende Eyferth ließ nicht locker und wandte sich im Mai erneut an Klagges: „Ich bitter erneut, dem Herrn Minister erklären zu dürfen, dass ich durchaus hinter dem nationalen und sozialen Gedanken stehe, der die jetzige Revolution ermöglicht hat. Wenn ich nach meiner 38jährigen juristischen Tätigkeit mich nicht sofort von juristischen Erwägungen und Bedenken freimachen konnte, so bitte ich, daraus nicht zu schließen, dass ich der von Herrn Minister gelehrten Politik Hemmnisse hätte, bereiten wollen.“

Eyferths Eingaben zeigten keinen Erfolg. Vielmehr leiteten die Stadtverordneten ein Entlassungsverfahren ein, gegen das Eyferth aus „formellen und materiellen“ Gründen protestierte: „Einmal ist der Beschluß auf Einleitung des Verfahrens nicht Sache der Stadtverordneten und es ist der Beschluß nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Die gesamte gegen mich gerichtete Aktion entbehrt der inneren Begründung und verstößt gröblich gegen den mehrfach auch kürzlich von dem Herrn Reichskanzler ausgegebenem Grundsatz, dass vor allem Beamten nur dessen Tüchtigkeit maßgebend ist. Diese Tüchtigkeit ist mir erst unlängst anläßlich meines 60. Geburtstages von allen Seiten insbesondere auch vom Rat der Stadt und den Herren Ministern bestätigt worden. Hiergegen wende ich mich auf das energischste und behalte mir vor, meine Wiedereinsetzung in das mir zu Unrecht vorenthaltene Amt zu beantragen. Insbesondere ist die Behauptung, daß ich gegen die nationale Bewegung aufgetreten sei, völlig unrichtig und gänzlich unbegründet.“

In der offiziellen Geschichtsschreibung nimmt Bürgermeister Eyferth nicht nur wegen seiner Verdienste vor der Nazizeit einen ehrenvollen Platz ein, sondern auch als Mann der ersten Stunde nach der Befreiung von der braunen Revolution. Dafür ließ der Stadtrat auch eine Straße nach ihm benennen. In der bereits zitierten Arbeit über die Wolfenbütteler Geschichte bis 1933, die Christina Wötzel im Auftrag der Stadt schrieb, kommt Eyferths Haltung nicht klar heraus. Da Wötzel aber die gleichen Akten eingesehen hat, die hier auszugsweise zitiert werden, muß davon ausgegangen weren, dass sie die Eyferth’sche Anbiederei, die gleich noch peinlicher wird, bewußt unterschlagen hat. Richtig ist jedoch ihre Einschätzung, dass Eyferth recht glimpflich entlassen wurde, wenn man weiß, wie es dem sozialdemokratischen Oberbürgermeister Braunschweigs, Ernst Böhme, ergangen war: Ihm blieb nach seiner Amtsenthebung durch Alpers ein Spießrutenlaufen durch aufgeputschte Nazis nicht erspart.

Doch zurück zu Eyferth, der immer noch um seine Rehabilitierung kämpfte. In der obigen Stellungnahme fuhr er mit weiterem Selbstlob fort: „Ich bin stets streng national und sozial eingestellt gewesen, habe niemals einer Linkspartei angehört, vielmehr mein Leben gegen den Marxismus verbracht. Nach der Novemberrevolution 1918 bin ich trotz verlockender Angebote des Kreisdirektorenpostens nicht in die SPD eingetreten, sondern habe solches entschieden abgelehnt. Ferner habe ich niemals meine Stimme bei Wahlen Linkspolitikern gegeben, abgesehen von einer Landtagswahl, bei der ich dem Staatsparteiler, Kreisdirektor Hinkel als Wolfenbütteler gewählt habe. Ich habe auch schon im Jahre 1928 mich dahin geäußert, daß ich Nationalsozialisten besonders gern in die Stadtverwaltung einstellen würde. Beweis: Rechtsanwalt Dr. Curland, Wolfenbüttel.“

Die Anbringung der ersten Hakenkreuzfahne am Rathaus habe er rein aus „beamtenmäßiger Korrektheit, keinesfalls aber aus Gehässigkeit gegen die nationale Bewegung“ verhindert. Im Gegensatz zur Aussage in seinem Büchlein, er sei nicht in die NSDAP eingetreten, erklärte Eyferth hier: „Ich habe mich auch sonst niemals der nationalen Bewegung entgegengestellt, sondern dieselbe innerlich und mit Freuden begrüßt, mich ja auch zur Aufnahme in die NSDAP beworben, nachdem feststand, daß diese keine Partei im alten Sinne war.“

Doch auch diese sogar das Wahlgeheimnis offenbarende Einschmeichelung reichte nicht, um im Kreise der Machtausübenden wieder aufgenommen zu werden. Die Kreisdirektion schrieb dem Innenminister, Eyferth habe bis zur Beurlaubung „eine Gegeneinstellung gegen den Nationalsozialismus bekundet“, auch wenn er das Gegenteil behaupte. Das Entfernen der Hakenkreuzfahne sei dafür ein deutlicher Beweis. Der Vertreter des im Urlaub befindlichen Kreisdirektors Hinkel griff sogar zur simplen Denunziation: „Da Eyferth ferner trotz gegenteiliger Behauptung der Sozialdemokratie näher gestanden hat als je dem Nationalsozialismus ergibt sich meines Erachtens einwandfrei aus dem im Nachtragsbericht der Stadt vom 7. d.M. angeführten Verhalten. Ich füge zum Beweis hierfür noch Abschrift des in dieser Sache von Eyferth unter dem 1.1.31 an den Kreisdirektor Dr. Hinkel erstatteten Berichts bei, demzufolge er darauf beharrt, den sozialdemokratischen Stadtrat Rüdiger als seinen Setllvertreter vorzuschlagen, obwohl zwei geeignete nationalsozialistische Stadträte vorhanden waren. Eine derartige Persönlichkeit ist im heutigen Staate nicht mehr tragbar, auch wenn Eyferth jetzt beteuert, er würde jederzeit für den NS-Staat eintreten. Er ist also als politisch unzuverlässig anzusehen, sodaß seine Entlassung auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gerechtfertigt ist.“

Am 19. Juli 1933 beschloß die Stadtverordnetenversammlung die Entlassung des Bürgermeisters und bewilligte die ihm zustehende Pension. Da ihm dieser Posten nun endgültig nicht mehr zustand, versuchte Eyferth sich bei Klagges für andere Aufgaben anzubiedern. Den Innenminister, Sohn eines Waldwärters, redete er in einem letzten Schreiben nun mit „Euer Hochwohlgeboren“ an. In untertänigster Sprache dankte er dem Minister für seinen Teil bei der Genehmigung der Pension: „Meinen Dank erlaube ich mir dadurch zu bestätigen, da ich mich dem Herrn Minister zu jeder ehrenamtlicher Tätigkeit bereitwilligst zur Verfügung stelle, bei der ich meine Kenntnisse und meine mehr als dreißigjährige Erfahrung verwerten kann und gern ohne örtliche Beschränkung, besonders auch für das deutsche Kampfgebiet im Osten und Westen, wo es angeblich zum Teil an Mitarbeitern mangelt.“ Abschließend machte er klar, „dass ich nicht als Mitläufer, sondern nach genommener sehr ernster Überzeugung mit Leib und Seele hinter der Politik des Herrn Reichskanzlers stehe.“ Seine neue Überzeugung gepaart mit peinlicher Unterwürfigkeit führte schon bald zum Erfolg. Die WZ berichtete 1935: „Bürgermeister i.R. Eyferth, unser früheres Stadtoberhaupt, wurde in Bad Harzburg, wo er bekanntlich im Ruhestand lebt, zum ehrenamtlichen Geschäftsführer des dortigen Rennvereins ernannt.“

In einer Laudatio zum 80. Geburtstag ging die Braunschweiger Zeitung 1952 auch auf seine Absetzung ein und formulierte in einer verfälschenden Weise, die für ähnliche Persönlichkeiten in Wolfenbüttel fast zur Regel werden sollte: „Bis zum Herbst 1933 blieb er im Amt. Dann sollte er unter dem Nazi-Regime als „politisch unzuverlässig“ entlassen werden, jedoch konnte er in den Ruhestand treten.“ Mit ihm ging endgültig auch Wilhelm Götze, des geschaßten Bürgermeisters einstiger Hausmeister und Kumpane beim Entfernen der ersten Hakenkreuzflaggen.

Eyferths bereits erwähntes Büchlein aus dem Jahr 1955 widmete er Curt Mast, dem „Förderer des Wolfenbütteler Heimatgedankens freundschaftlich zugeeignet“. Dieser Mann, tritt schon bald stärker in Erscheinung; auch ihm wiederfuhr eine Reinwaschung, die sich im wahrsten Sinne des Wortes gewaschen hat.

Am 18. März lud Heinrich Bode die Stadtverordneten zur Versammlung ins Schloß ein. Auf der Tagesordnung standen ganz normale kommunale Themen: von der Müllabfuhr bis zum Erwerb von 310 Quadratmetern Land. Zur Sitzung kamen allerdings nur acht Stadtverordnete, „da die Sozialdemokraten nicht erschienen“ – so die WZ – „und die Kommunisten nicht teilnehmen konnten“. Den Stadtrat vertrat Hämerling, der auch als Vertreter des Bürgermeisters fungierte; für die Verwaltung nahm außerdem Stadtsyndicus Dr. Pini teil. Heinrich Bode eröffnete die merkwürdige Sitzung mit einer Ansprache: „Seit unserer letzten Stadtverordnetensitzung haben sich ganz gewaltige Ereignisse vollzogen. Das sieht man auch in diesem Saale. Die Marxisten sind nicht erschienen. Die Zeiten, wo Agitationsanträge und Agitationsreden gehalten wurden, sind nun restlos vorbei. Das deutsche Volk ist durch den Parlamentarismus zu Tode geredet worden. Im letzten Augenblick hat die nationalsozialistische Bewegung das Ruder ergriffen, um rücksichtslos und brutal die Macht zu ergreifen. Ich freue mich, dass die Linke nicht erschienen ist. Im vollen Bewßtsein unserer Verantwortung werden wir weiter im Dienst der Stadt wirken.“

Bode teilte dann mit, die SPD habe ihm ihre Nichtteilnahme vorher angekündigt und wolle auch wissen, warum dem Stadtrat Garbe seine Funktionen entzogen worden seien. Die SPD erhalte darauf keine Antwort, denn sie habe keine Rechte mehr. Er informierte auch über die Einsetzung Hämerlings als Staatskommissar, dem auch die Polizeigewalt übertragen worden sei. Er forderte ihn auf, nun auch die städtischen Betriebe von Marxisten zu befreien. Ihnen müßte die Möglichkeit genommen werden, den Aufbau des nationalen Staates zu sabotieren. Auf die einzelnen Beratungspunkte braucht an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden, allerdings tat das die WZ in einer Weise, die den Nazis sicher nicht gefiel. Sie bezeichnete die kurze Dauer der Sitzung – ganze 30 Minuten – als Sensation, meinte aber auch, der Vorsitzende habe „in Rücksicht auf die immer noch erregte Stimmung weiter Volkskreise jeden verfänglichen Beratungsstoff gleichsam in Schutzhaft genommen“. Damit etwaige Gegenreaktionen aber pariert werden konnten, drückte die Zeitung auch Verständnis aus: „Man kann es den Nationalsozialisten nicht verdenken, dass sie gegenüber plötzlichen neuen Freunden, die dort ernten wollen, wo sie nicht gesät haben, auf der Hut sind“. Bode betonte, die NSDAP denke nicht an die “Schaffung einer Bonzokratie und werde insbesondere solche Persönlichkeiten jetzt nicht in ihren Reihen aufnehmen, von denen sie selbst jahrelang auf die wütendste Weise bekämpft worden“ sei. Dann verbreitete er heftig Eigenlob und schalt die plötzlich auftauchenden Opportunisten: „Wir haben gearbeitet und gekämpft, haben Verfolgungen erlitten und für unsere Überzeugung geblutet. Und nun kommt ihr auf einmal und wollt euch mit ins gemachte Nest setzen. Fort mit euch!“ Kommentierung der WZ: „Es wird nicht immer leicht sein, in dieser Hinsicht des Gesinnungswandels die Spreu vom Weizen zu sondern – sicherlich ist, wie so oft im Leben, das Richtige: von Fall zu Fall zu unterscheiden.“

Eine ähnliche Sitzung hielt der Gemeinderat Linden ab, die der stellvertretende Bürgermeister Duckstein (NSDAP) leitete. Gemeindevorsteher Fricke war bereits neben anderen vom Kreisdirektor abgesetzt worden. Auch hier hatte der SPD-Mann Lange sein Mandat „freiwillig“ niedergelegt und der „Arbeitervertreter“ Meyer habe sich den Bürgerlichen angeschlossen. Der Rat beschloß dann sieben Anträge der Nationalsozialisten: „Mißtrauensantrag gegen Fricke und Neuwahl, marxistische Gemeindevertreter haben kein Recht mehr, an den Sitzungen teilzunehmen; Marxisten haben keinen Zutritt zum Schulvorstand und Gemeindeausschuß; Schießstand und Sportplatz darf marxistischen Vereinen nicht zur Verfügung gestellt werden; Gemeindemitglieder, die sich weiterhin marxistisch betätigen, gehen ihrer Gemeindeländereien und Gemeindewohnungen verlustig; der Gemeindediener wird seines Postens enthoben und es darf nur ein national gesinnter Mann eingestellt werden; die Gemeinde läßt einen Fahnenmast errichten, an dem bei feierlichen Anlässen die schwarz-weiß-rote und Hakenkreuzflagge zu hissen ist.“

Zurück zur Stadt: Hier entließ Staatskommissar Hämerling den Stadtsyndicus Dr. Pini, weil er den entlassenen Arbeitern der Stadtwerke zwei Versammlungen im Blauen Engel, einer SPD-Kneipe, erlaubt haben soll. Durch die Stadt lief das Gerücht, er sei verhaftet worden. Das stellte die WZ klar: „Um Weiterungen aus dem Wege zu gehen, habe er sich selbst in Schutzhaft begeben.“ Am 29. März bat Pini Hämerling schriftlich, gegen ihn „unter möglichster Beschleunigung ein Dienststrafverfahren einzuleiten. Darin erläuterte er ausführlich seine persönliche Haltung und die ihm vorgeworfenen Vorgänge; und weil dieser Brief in fast exemplarischer Weise die Haltung eines Beamten jener Zeit dokumentiert, den man später eher als Opfer der Nazis denn als Mitmacher ansah, und daraus auch Hintergründe des Stadtgeschehens aus anderer Stelle beleuchtet werden, soll ihn er hier in fast voller Länge veröffentlicht werden:
„Am Sonntag, 26. März 1933, abends 7 Uhr, wurde mir durch zwei Hilfpolizeibeamte der SA ein Schreiben des Herrn Beauftragten für den Rat der Stadt überbracht, in welchem meine sofortige Beurlaubung ausgesprochen wurde, weil ich entgegen den gesetzlichen Bestimmungen in zwei Fällen kommunistische und marxistische Versammlungen gestattet haben soll, und zwar am Mittwoch, dem 22. März und Montag, dem 27. März. Wenn diese Behauptungen richtig wären, dann müßte ich nicht nur strengstens bestraft, sondern sofort einem Irrenhaus überführt werden. Die Angaben, die Herrn Stadtrat Hämerling in dieser Hinsicht gemacht sind, die vermutlich von einem Polizeibeamten ausgeht, der, weil er seine Beförderung nicht erreichen konnte oder sonst über seinen Dienst unzufrieden ist, mich aus meiner Stelle verdrängen wollte
Um das Unsinnige der gegen mich erhobenen Beschuldigung nachzuweisen, muß ich zunächst auf meine politische Einstellung und auch kurz auf meine Tätigkeit gegen den Marxismus eingehen.
Ich versichere hiermit Eides Statt, dass ich niemals einer politischen Partei angehört habe, und zwar deshalb nicht, weil ich es einmal nicht für richtig hielt, dass ein Kommunalbeamter politisch hervortritt und ferner, weil ich stets national eingestellt war, mich aber nicht entschließen konnte, der reaktionären deutschnationalen Partei oder der schwankenden Volkspartei beizutreten. Nach der Gründung der N.S.D.A.P. habe ich stets zum Ausdruck gebracht, daß diese Partei uns einmal besseren Zeiten entgegenführen könnte, daß ich ihr sehr nahe stehe und mich ihr auch anschließen würde, wenn ich eine politische Betätigung eines Kommunalbeamten nicht für verfehlt hielte und wenn außerdem Beamten der Beitritt zur NSDAP nicht ausdrücklich untersagt wäre. In den ersten Jahren meiner hiesigen Tätigkeit (seit 1919) war im Polizeikorps bis auf den damaligen Schutzmann und jetzigen Sturmführer Spreinat wohl kein einziger Beamter, der nicht der S.P.D. oder K.P.D. angehört hätte. Spreinat hat unter diesen Beamten, weil er in dem Ruf stand, Nationalsozialist zu sein, ausserordentlich schwer zu leiden gehabt. Die Polizeibeamten haben sich wiederholt über Spreinat beschwert und sie haben auch wiederholt – so noch vor einem Jahr – erklärt, dass sie jegliche Arbeit mit Spreinat ablehnen müßten. Ich habe Herrn Spreinat gesagt, daß ich ihn gegen die Hetze der marxistischen Polizeibeamten weitgehendst in Schutz nehmen würde und daß ich mich freue, dass er sich mir gegenüber zum Nationalsozialismus bekannt habe. Es kann mir selbst aus der Zeit, in der im Lande Braunschweig die Marxisten herrschten, nicht eine einzige Handlung nachgewiesen werden, durch die ich dem Nationalsozialismus irgendwelche Schwierigkeiten bereitet hätte.“

Pini erinnert an seine Rolle während des Reichsbannerumzuges, bei dem 1932 ein Schuß gefallen war und der zur Ablösung Otto Rüdigers geführt hatte:
„Obwohl der stellvertretende Leiter der Stadtpolizeibehörde (O. Rüdiger) sich an dem Umzuge beteiligte und trotz der Schießereien in der Innenstadt sowohl der stellvertretende Leiter der Stadtpolizeibehörde wie auch der Polizeioberleutnant Albrecht die Herbeirufung der Schutzpolizei für überflüssig hielt, habe ich gegen den Willen des stellvertretenden Leiters der Stadtpolizeibehörde, also meines Vorgesetzten, die Schutzpolizei herbeigerufen; ich habe durch Polizeibeamte die Reichsbannerleute zum Stadtmarkt führen lassen und habe, obwohl ich nur mit einem einzigen Polizeibeamten auf der Wache die Ankunft von einigen 100 bewaffneten Reichsbannerleuten auf dem Stadtmarkt zu erwarten hatte, sofort die SA verständigt; ich bin dann, nachdem die bewaffneten Reichsbannerleute bereits eingetroffen waren, zum Herzogtor gelaufen, um die SA und die herankommende Braunschw. Schutzpolizei wegen der Abriegelung des Stadtmarktes zu verständigen. Weiter habe ich kurz darauf erregte Zusammenstöße mit dem Polizeibeamten Albrecht gehabt, weil dieser sich den Nationalsozialisten gegenüber nicht so verhielt, wie es von ihm erwartet werden mußte.“

Als Zeugen für dieses Verhalten nannte Pini den Kreisdirektor Hinkel, Aussagen Spreinats und sogar des Braunschweiger Nazis Alpers. Pini weiter:
„Schließlich möchte ich noch erwähnen, dass ich vor allem in den letzten Monaten meine ganze Arbeitskraft dazu verwandt habe, um den Marxismus in der Stadt Wolfenbüttel restlos niederzuschlagen. Auf meine Veranlassung haben zahlreiche Durchsuchungen bei Kommunisten und S.P.D.-Leuten stattgefunden. Meiner Initiative ist es zu verdanken, dass die Nordstraße, die Baracken usw. durch die Hilfspolizei durchsucht wurden, und ich glaube sagen zu dürfen, dass wohl in keiner anderen Kreisstadt des Landes Braunschweig so intensiv gearbeitet ist, wie in der Stadt Wolfenbüttel. Tagtäglich habe ich mit Polizeimeister Bruns verhandelt und ihm gesagt, dass mit aller Schärfe und allen Mitteln die Polizei gegen die Marxisten arbeiten müsse.
Noch am Montag, dem 20. März, als ich den Polizeibeamten Herrn Stadtrat Hämerling vorstellte, habe ich den Polizeibeamten nochmals zu Pflicht gemacht, nachdrücklichst gegen Kommunisten und Marxisten tätig zu sein, und ich habe darauf hingewiesen, daß es jetzt, nachdem die S.P.D erledigt sei, sich mit ganzer Kraft hinter die nationalen Parteien zu stellen. Hierauf erklärte Herr Stadtrat Hämerling, den ich für meine Angaben ebenso wie sämtliche Polizeibeamten als Zeugen benenne, daß er meine Ausführungen in vollen Umfange unterstreichen könne. Ich habe stets im besten Einvernehmen mit der SA. und auch der NSDAP gearbeitet und glaube, dass ich mit diesen Kreisen, die meine politische Anschauung und meine dienstliche Tätigkeit der NSDAP gegenüber übersehen können, auch viele Anhänger habe.“

Pini nannte dann dafür, dass er „in politischer Hinsicht als durchaus zuverlässig anzusehen“ ist, zehn Nazi-Führer aus Braunschweig und Wolfenbüttel, darunter Kurt Bertram, Wilhelm Hannibal und erneut Alpers.
„Da ich in jeder Weise die NSDAP unterstütze, geht schließlich auch daraus hervor, dass ich schon vor einigen Jahren meiner Frau, die begeisterte Nationalsozialistin ist und aus einem nationalsozialistischem Hause stammt, den offiziellen Beitritt zur NSDAP gestattet habe. Ich habe selbst niemals versucht, der NSDAP beizutreten, weil dies unter der marxistischen Regierung den Beamten ausdrücklich verboten war und weil ich später, als die NSDAP rapide anstieg, für charakterlos hielt, die Konjunktur auszunutzen. Wenn nach den vorstehenden Ausführungen als zweifelsfrei feststehen muß, dass ich nicht nur der NSDAP sehr nahe stehe, sondern sie bereits über 10 Jahre nach Kräften fördere, so muß es grotesk wirken, wenn ich jetzt in einer Zeit, in der jeder Beamte weiß, dass er seine Stelle bei einer Unterstützung der Marxisten aufs Spiel setzt, das getan hätte, was mir infolge einer Verleumdung zur Last gelegt wird.“

Pini widerlegte im weiteren Teil des langatmigen Briefes in Einzelheiten, dass er keinesfalls Versammlungen entlassener Arbeiter erlaubt habe. Als Nebenprodukt kommt hier die Rolle eines Kommunisten ans Tageslicht:
„Am 17. oder 18. März erschien der Vorsitzende eines Arbeiter-Turnvereins, der Arbeiter Fritz L., bei mir und erklärte, er habe vom Rat der Stadt die Nachricht erhalten, daß seinem Verein die Turnhalle oder der Sportplatz mit sofortiger Wirkung gekündigt wäre; er sei soeben bei Herrn Bürgermeister gewesen und habe diesen gefragt, ob der Verein die Turnhalle oder den Sportplatz wieder erhalten können, wenn er sich auflöse, einen neuen Verein gründe und dieser sich einer rechtsstehenden zentralen Sportorganisation anschließe; Herr Bürgermeister habe hierauf erwidert, der Verein solle sofort darüber einen Beschluß herbeiführen, er wolle dann diesen Beschluß dem Rat der Stadt zur Entscheidung vorlegen und alsdann Nachricht geben. L. sagte mir weiter, da er – wie mit Herrn Bürgermeister Eyferth besprochen sei – in den nächsten Tagen einen Beschluß seiner Vereinsfreunde berbeiführen wolle und um Verständigung der Polizei bitte, damit ihm nicht irgendwelche Weitläufigkeiten entständen. Ich habe hierauf Liebold gesagt, dass er lediglich das ausführen dürfe, was Herr Bürgermeister mit ihm besprochen habe, dass jede politische Versammlung in der jetzigen Zeit unter allen Umständen verboten sei und dass ich zu dieser Besprechung einen Polizeibeamten entsenden würde, der sofort die Besprechung aufzulösen und die Beteiligten festzunehmen hätte, wenn außer den Vereinsangelegenheiten noch über irgend etwas anderes gesprochen würde.“ Pini bezeichnete Fritz L. als Person „mit zweifelhaften moralischen Qualitäten“, weil er „seit Jahren intensiv als Polizeispitzel gegen die Kommunisten tätig gewesen ist“.

Die Sache mit der Vereinsauflösung wird durch eine Notiz in der WZ bestätigt, die ohne diesen Hintergrund nur scher zu verstehen ist: „Zum Norddeutschen Sportverband. Die Spielvereinigung Wolfenbüttel 1923 hatte seine Mitglieder zu einer außerordentlichen Versammlung zusammengerufen. In derselben wurde beschlossen, den alten Verein aufzulösen und einen neuen Verein unter dem Namen „Sportclub Blau-Weiß“ ins Leben zu rufen“ Veröffentlicht wurden auch die Namen der Vorstandsmitglieder, darunter Fritz L. als nun zweiter Vorsitzender.

Im 3. Teil seiner Stellungnahme rechtfertigte Pini die Zulassung einer zweiten Versammlung: „Der Rat der Stadt hatte vor einigen Wochen beschlossen, sämtliche kommunistische Arbeiter aus den städt. Betrieben fristlos zu entlassen. Die entlassenen 12 Arbeiter erhoben hierauf durch ihren Betriebsratsvorsitzenden Hüther bei dem Arbeitsgericht in Braunschweig eine Klage bzgl. Zahlung einer Entschädigung. In dem Termin vor dem Arbeitsgericht am Montag, den 20. März, erklärte der Betriebsratsvorsitzende Hüther, dass er um eine Vertagung bitten müsse, da es ihm noch nicht möglich gewesen sei, bisher einen Beschluß der entlassenen Arbeiter bezgl. der Höhe der ihnen zustehenden Entschädigung herbeizuführen. Der Vorsitzende des Arbeitsgerichts vertagte den Termin auf Mittwoch, den 22. März, nachdem er zuvor darauf hingewiesen hatte, dass eine beschleunigte Erledigung erwünscht sei und er im nächsten Termin unbedingt positives Material von beiden Parteien haben müsse. Da nach der Stellungnahme des Arbeitsgerichts die Stadt lediglich mit der Behauptung, daß die entlassenen Arbeiter der kommunistischen Partei angehört hätten, nicht durchkommen konnte, habe ich in der Zwischenzeit nochmals ganz eingehende Ermittlungen über die Zugehörigekeit der entlassenen Arbeiter zur KPD angestellt. Ich habe insbesondere auch die in Schutzhaft befindlichen Führer der kommunistischen Partei zu dieser Frage vernehmen lassen und hierbei zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht eher aus der Schutzhaft entlassen würden, ehe sie diese Angelegenheit nicht klargestellt hätten. (…) Ich habe den Polizeimeister Bruns beauftragt, bei den 12 entlassenen städtischen Arbeitern eingehend Durchsuchungen vorzunehmen und festzustellen, ob sich aus den Material in den Wohnungen Anhaltspunkte zu der Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei ergeben oder ob insbesondere irgend welches von den Betriebswerken gestohlenes Material sich in den Wohnungen befinde. Bei 7 der entlassenen Arbeiter ist dann am Sonnabend, den 25. März, die Durchsuchung erfolgt. Nachdem ich am Sonntag, den 26. März, vormittags im Büro das beschlagnahmte Material durchgesehen hatte, habe ich veranlaßt, dass noch am Sonntag weitere Durchsuchungen erfolgten und dass der städtische Arbeiter, bei dem ein Notizbuch gefunden wurde, aus dem sich die Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei ergab, sofort festgenommen würde; außerdem habe ich dem Polizeimeister Bruns gesagt, es solle dem fest-genommenen Arbeiter erklärt werden, dass voraussichtlich die Schutzhaft so lange verhängt werden würde, bis er über die Zugehörigkeit seiner Mitarbeiter zur kommunistischen Partei einwandfreie Aussagen mache. Es ergibt sich hieraus, dass ich mit allen erdenklichen Mitteln nachdrücklichst die Interessen der Stadt wahrgenommen und den entlassenen Arbeitern die größten Schwierigkeiten bereitet habe.“

Im folgenden geht Pini auf die weiteren Umstände mit dem Arbeitsgericht ein und stellt dar, dass er Hüther und seinen Männern ebenfalls wieder unter Polizeibewachung eine Zusammenkunft erlaubt hatte, in der ausschließlich über den Vergleichsvorschlag des Arbeitsgerichtes gesprochen werden durfte. In beiden Fällen habe es sich demnach nicht um kommunistische oder marxistische Versammlungen gehandelt.
Pini vermutete in dem Denunzianten einen Polizeibeamten, der sich von ihm ungerecht behandelt fühlte. Daher geht er am Schluß seiner 10seitigen Stellungnahme auch auf die Verhältnisse in der Wolfenbütteler Polizeiwache ein, offenbar mit der Absicht, Probleme auf Otto Rüdiger abzuwälzen: „Leider sind jedoch viele Polizeibeamte völlig charakterlos und untergraben jede Disziplin. Wie ich schon ausgeführt habe, gehörten nach der Revolution wohl alle und noch vor einem Jahr mehrere Polizisten den marxistischen Parteien an, sodaß mir noch kürzlich ein rechtsstehender Stadtverordneter sagte, es seien ihm die Schamröte ins Gesicht gestiegen, als er gesehen habe, dass zahlreiche Polizeibeamte, die sich noch vor ein bis zwei Jahren als Marxisten betätigt hätten, nun ihren Mantel nach dem Wind gehängt hätten. Typisch für die Charakterlosigkeit einiger Polizeibeamter ist es auch, daß sich 3 Tage vor der letzten Reichstagswahl 3 Polizeibeamte zur NSDAP anmeldeten und, als sie sahen, daß die Wahl für die NSDAP nicht den erwarteten Ausgang genommen hatte, sich am folgenden Tage wieder abmeldeten.“
Die Polizeibeamten würden seit Jahren gegen ihre Vorgesetzten wühlen. Anstatt nachts ihren Dienst zu versehen, hätten sie jener Zeit nachts den Polizeikommissar Möhle bespitzelt. Im vergangenen Herbst hätten die Beamten kaum noch Nachtdienst verrichtet. Häufig sei nachts nur ein Polizeibeamter in der Stadt Patrouille gegangen, und der einzige Beamte in der Wache habe sich aus Angst, ihm können etwas passieren, sogar eingeschlossen. Er, Pini, habe dieses geändert, und ihm hätten sie zu verdanken, daß sie im Winter nachts ihren Dienst draußen hätten versehen müssen. Es sei menschlich verständlich, daß einige von ihnen seitdem über ihn empört seien.

Soviel zur Affäre Pini, dessen Verhaftung für wohl gerade einen Tag auch in der offiziellen Geschichte der Stadt erwähnt ist und aus der der Leser entnehmen muß, dass er zu den Opfern der Nazis gehört hat. Aus dieser Selbstbezichtigung wird jedoch genau das Gegenteil klar: Der erst 1919 in den Dienst der Stadt getretene Beamte hat sich schnell auf die neuen Bedingungen eingestellt und mit praktischer Unterstützung des Unrechts seine Zukunft gesichert. Die Beurlaubung und die Schutzhaft sind dabei nur als kleiner Unfall zu werten, der seine weitere Karriere zeitweilig tatsächlich aufgrund von Denunziationen ihm nicht wohlwollender Gegner bei den Nazis unterbrach.

Pini hatte sich auch in der Theatergemeinde engagiert und führte als Vertreter der Stadt auch die Geschäfte der Lessingstiftung. Während einer Vorstandssitzung der Stiftung, an der am 21. April 1933 Ministerialrat Albrecht, Bibliotheksdirektor Dr. Herse, ein Assesor Dr. Krüger und Hämerling teilnahmen, teilte der Letztere mit, Pini könne wegen seiner Beurlaubung auch dieses Amt nicht mehr weiterführen. Pini habe zwar Recht, wenn er meinte, nur der Stiftungsvorstand hätte ihn entlassen können, doch kraft seines Amtes nehme er nun an den Vorstandssitzungen teil. Geheimrat Dr. Albrecht schlug vor, Hämerling als Interims-Geschäftsführer einzusetzen, bis die Verhältnisse in der Stadtverwaltung endgültig geklärt seien. Aufgrund eines Vorschlages des Leiters der Herzog August Bibliothek, Dr. Herse, beschloß der Vorstand, Pini für seine „rührige und erfolgreiche Geschäftsführung“ Dank auszusprechen.

Die Stadtverordnetenversammlung versetzte Pini im Herbst 1933 in den Ruhestand. Seine Versuche, rehabiltiert zu werden, führten zum Erfolg: Am 11. März 1935 kehrte er an seine Arbeitsstelle in der Stadtverwaltung zurück und erhielt im Dezember 1936 sogar das Amt in der Lessingstiftung zurück. Da er jedoch Wolfenbüttel schon bald ganz verließ und auch nie wieder zurückkehrte, soll hier Pinis weiterer Weg dokumentiert werden: Die „Verleumdungen“ Pinis durch besonders einen Polizisten hörten auch nach seiner Wiedereinstallung nicht auf. In zwei Stellungnahmen im Juni 1937 nannte er auch den Namen des Polizeibeamten, von dem die neueste Affäre mit der Beschuldigung ausging, er habe Verbindung zur KPD: „Eine derartige Behauptung kann nur von einem geistesgestörten oder böswilligem Verleumder ausgehen. (…) N. habe bereits Ende März 1933 gegenüber dem damaligen Staatsbeauftragten Hämerling erklärt, dass ich eine kommunistische Versammlung zugelassen hätte. Die Angelegenheit ist dann eingehend untersucht und es ist durch Entscheidung des Herrn Reichsstatthalters festgestellt, dass mir weder in politischer noch in dienstlicher Hinsicht irgendein Vorwurf gemacht werden kann. (…) Ergänzend berichte ich, dass ich mich nicht nur vor 1933, sondern auch nach Abschluß des Verfahrens vor dem Reichsstatthalter als politisch zuverlässig erwiesen habe. Ich gehöre seit 1933 der SA bzw. dem NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) an und habe somit nach den Richtlinien des Stellvertreters des Führers Anspruch darauf, in die Partei aufgenommen zu werden. Von der Kreisleitung ist mir bereits gesagt, dass hiergegen keinerlei Bedenken beständen. Ferner gehöre ich dem NSDJB, der NSV und dem NRLB an.“

Er könne also den Nachweis erbringen, dass er in jeder Beziehung seinen nationalsozialistischen Verpflichtungen nachgekommen sei. Dann zählte er zahlreiche Schreiben von NS-Institutionen auf, aus denen hervorginge, dass er einer Unterstützung von Behörden und Parteidienststellen für würdig befunden würde. Es ist eine illustre Liste: Gauamtsleitung Hannover, Gauleitung Magdeburg Anhalt, Reichsstatthalter Braunschweig und Anhalt, Reichs- und Preußischer Minister des Innern, Botschafter von Ribbentrop, Stab des Stellvertreters des Führers.

Da der Wolfenbütteler Bürgermeister Ramien offenbar sein Gegner war, wandte sich Pini an den dann amtierenden Kreisdirektor und Regierungsrat Seeliger. Hierin hob er nach ausführlicher Argumentation gegen den Polizeibeamten und den Bürgermeister seinen guten Kontakt zum NS-Kreisleiter hervor: Der habe ihm nach Überprüfung der Anschuldigungen mitgeteilt, dass politisch nichts gegen ihn vorläge und er als zuverlässig anzusehen sei. Er habe jedoch den Rat erhalten, sich gelegentlich um eine neue Stelle zu bemühen: „..da einige Volksgenossen, die infolge meiner früheren Tätigkeit im Wohnungsamt und der Polizei verärgert seien, immer wieder gegen mich bohren und den Versuch machen würden, diese persönlichen Differenzen auf das politische Gleis zu schieben. Dem Kreisleiter habe ich hierauf erwidert, daß ich mich schon seit geraumer Zeit um eine andere Tätigkeit bemühe und ihm dankbar sein würde, wenn er meine Bemühungen unterstützen würde. Auf meine Frage, was werden solle, wenn diese Bemühungen erfolglos blieben, erwiderte mir der Kreisleiter, daß er sich dann meine persönlichen Gegner einmal vornehmen und dafür sorgen würde, daß ich in vollem Umfange als rehabilitiert anzusehen sei.“

Tatsächlich berichtete die Braunschweiger Tageszeitung am 30. Juli 1938, dass Pini vom „Führer und Reichskanzler zum Regierungsrat ernannt und mit der Bearbeitung von Verkehrsfragen beim Reichsstatthalter in Hamburg beauftragt“ worden sei. Pini, trotz seiner so von ihm vehement geforderten Nazi-Vergangenheit kraft seines Amtes – sicher auch auf Grund seiner akademischen Ausbildung – ein kleiner Lessingkenner, hatte sich in der vom Heckners Verlag herausgegeben Schrift „Die Lessingstadt Wolfenbüttel und ihre Dichter“ über „Lessing und Wolfenbüttel“ (1929) ausgelassen. Zum Schluß schrieb er: „Wenn Lessing auch in Wolfenbüttel nicht glücklich war, so lag es nicht an der Stadt Wolfenbüttel, sondern an anderen Umständen, die ihn auch in einer anderen Stadt nicht hätten glücklich werden lassen.“
Zu seinem 75. Geburtstag 1955 sandte ihm, dessen Großvater einst Pastor an St. Trinitatis war, die Stadt Wolfenbüttel ein Blumengebinde in seine Wohnung in Berlin-Dahlem.

Zurück zum Wolfenbütteler März 1933: Nachdem die blütenreineren Nazis das Rathaus nun für sich allein besaßen, walteten und schalteten sie ungestört. Staatskommissar Hämerling konnte daher die ersten Straßennamen der neuen Ideologie anpassen: Aus Herzogtorwall und einem Teil der Straße Am Herzogtor wurde Hindenburgplatz, die Friedrich-Ebert-Straße erhielt den unpolitischen Namen Ringstraße; und der lange Weg, wohl die längste aller Straßen der Kreisstadt hieß ab 1. April Adolf-Hitler-Straße. In der BTZ kommentierte der Lokalredakteur und schwelgte: „Somit ist Wolfenbüttel ein für allemal von marxistischen Straßennamen befreit (Nach Friedrich Ebert wurde erst Ende der achtziger Jahre eine neugebaute Umgehungstraße wieder benannt.) und wir können mit Stolz feststellen, daß wir in unserer Stadt unserem obersten Führer Adolf Hitler und dem alten Generalfeldmarschall eine kleine Ehrung zuteil werden ließen, indem wir ihre Namen in unserer Stadt unvergeßlich gemacht haben. Heil Hitler!“

Kurt Meyer-Rotermund verband die Umbenennung des Neuen Weges, an dem auch der ehemalige jüdische Stadtverordnete Gustav Eichengrün wohnte, mit einer ausführlichen historischen Beschreibung: „Vom Herrenweg zur Adolf-Hitler-Straße“. Sie sei die schönste und ausgedehnteste Villenstraße der Stadt und ein Zeugnis lebendiger örtlicher Geschichte, das er auch anhand einiger Beispiele bewies. Unter anderem sei Lessing, als die Straße noch einen ländlichen Charakter besaß, unter Weiden zum Stöckheimer Wegehaus kurz vor Braunschweig gepilgert; die Tatsache, dass hier mehrere Jahrzehnte lang jüdisches Leben in der Samsonschule geprägt worden war, unterschlug er geflissentlich.

Obwohl der Nazigeist die Amtsstuben des Fachwerkrathauses, in dem einst der antisemitisch beeinflusste Dichterbruder der Braunschweigerin Ricarda Huch, Rudolf Huch, jetzt wohnhaft in Bad Harzburg, ausfüllte und überquoll, sahen sich die Nazis noch nicht voll im Sattel: Einige Sitze der Stadtverordnetenversammlung waren unbesetzt, in den Gemeinden sah es ähnlich aus, Bürgermeister fehlten allerorten und neue Männer warteten darauf, ihre nationale Potenz der neuen Zeit zu opfern.

Um hier Ordnung zu schaffen und alle Landes- und Kommunalparlamente braun auszurichten, erließ die Hitler-Reichsregierung am 31. März 1933 das „Gesetz zur Gleichschaltung der Länder“. Aber nicht die Parlamente mußten ab den 1. April gleichgeschaltet werden, sondern auch Verbände, Vereine, Organisationen und schließlich jeder einzelne Bürger sollte auf die Ziele der Nationalsozialisten ausgerichtet werden. Diesem Gesetz folgte am 7.4. ein weiteres, das die Entsendung von Reichstatthaltern in die Länder vorsah. Sie wurden auf Vorschlag des Kanzlers vom Reichspräsidenten ernannt und besaßen praktisch die Ländermacht. Auf dieser „Rechtsgrundlage“ erklärte Kreisdirektor Hinkel mit Wirkung vom 3. April alle Stadtverordnetenversammlungen und Gemeinderäte als aufgelöst. Die Gremien sollten nicht, wie gerade am 12. März bei den preußischen Kommunalwahlen geschehen, bei denen die Nazis und die Rechten große Erfolge verbuchten und die Sozialdemokraten und Kommunisten eklatante Niederlagen erlitten, durch neue Wahlen besetzt werden, sondern auf der Grundlage des Wahlergebnisses der Reichstagswahl vom 5. März gebildet werden; das galt auch für den braunschweigischen Landtag.

Hinkel ließ in der WZ eine amtliche Namensliste von Männern veröffentlichen, die er zu „Beauftragte der Kreisdirektion zur Wahrnehmung der Obliegenheiten der Gemeindevorsteher“ ernannt hatte. Es handelte sich um 14 Namen, darunter auch Albert Duckstein für Linden.
Zur Einreichung von Wahlvorschlägen waren offiziell alle Wählergruppen befugt, die bei der Reichstagswahl Stimmen bekommen hatten: Dies galt nicht für die KPD. Otto Rüdiger berichtet, die für eine Kandidatur evtl. in Frage kommenden SPD-Genossen (Wimmer, Boog, Kleinschmidt, Wegener, Garbe, Reckewell, Frau Prüfer, Albert Garbe, Reinhardt, Bierwirth und Heise) wurden verhaftet und solange in Haft gehalten, bis der Termin für die Einreichung der Listen verstrichen war. Aus Schöppenstedt berichtete die WZ: „Wie von leitender Stelle der hiesigen Sozialdemokratischen Partei zugegeben wird, sollen keine Wahllisten eingereicht und keine Kandidaten aufgestellt werden. Damit hat die Sozialdemokratie im hiesigen Bezirk aufgehört zu existieren.“

Als „Wahlleiter“ ohne Wahllokale für die Stadtverordnetenversammlung Wolfenbüttel ernannte Hinkel Kurt Bertram, den Garanten für Nazi-Unterdrückung. In einem Rundschreiben an die „Wahlleiter“ der Landkreiskommunen gab Hinkel für rote Stimmen genaue Anweisungen: „Stimmen, die bei der Reichstagswahl für die KPD oder solche Wählergruppen, die in ihren Wahlvorschlägen als Ersatz von Wahlvorschlägen der KPD anzusehen sind, das heißt, für die sozialistische Kampfgemeinschaft der Arbeiter und Bauern abgegeben sind, bleiben bei der Neubildung der gemeindlichen Selbstverwaltungskörper völlig unberücksichtigt. Auf derartige Stimmen sind bei der Neubildung nicht nur keine Stimmen zuzuteilen, die unbesetzt bleiben, sondern derartige Stimmen sind als überhaupt nicht abgegeben zu behandeln.“

Trotz der Verhaftung und Bedrohung linker Parteimitglieder sahen die Organisatoren dieser Nichtwahl dennoch „die Möglichkeit, dass gegen die Geschäftsräume (…) von marxistischer Seite Aktionen unternommen werden“. So wies Hinkel in einem zweiten Schreiben an, „die Geschäftsräume der Wahlleiter durch je 6 Hilfspolizeibeamte für den ganzen Tag ausreichend zu sichern. (…) Wegen eventueller Zuweisung von Hilfspolizei ersuche ich sich gegebenenfalls mit dem Standartenführer Hannibal in Verbindung zu setzen.“

Neben den Orten, die sogleich Kandidatenlisten aufstellten, gab es auch einige, in denen sich keine Kandidaten fanden. In dem ganz kleinen Dorf Timmern wollte sich offenbar kein Bürger zur Verfügung stellen, auch nach erneuter Aufforderung des Kreisdirektors nicht; so ernannte er einfach einen Beauftragten zur „Wahrnehmung der Obliegenheiten des Gemeinderates“.

In Wolfenbüttel lagen für die Stadtverordnetenversammlung nur noch drei Listen auf dem Tisch von Kurt Bertram: von den Nationalsozialisten, von der Kampffront Schwarz-weiß-rot und und eine Liste „Bürgerliche Mitte“, die die Stimmen der Deutschen Volkspartei und des Zentrums erhielt. Die ganze „Wahl“ bestand also nur aus Rechenkünsten, die der Bankbeamte Bertram sicher beherrschte und schließlich auch dieses Ergebnis vorlegte: Stadtverordnetenversammlung: 14 Nationalsozialisten, Deutschnationale 2 Sitze und Bürger-liche Mitte 1 Sitz.

Das neue Wolfenbütteler Kommunalparlament bildeten bereits mehrfach hervorgetretene Nazis und Bürger, die nun die Zukunft der Stadt beherrschen sollten: Heinrich Bode, Schleusenwärter; Hugo Schumacher, Buchhändler; Willi Appuhn, Bäckermeister; Fritz Ramien, Regierungsrat; Heinrich Ahrend, Gärtner; Albert Alper, Handlungsgehilfe; Walter Hansmann, Schlosser; Otto Meyer, Mittelschullehrer; Wilhelm Gebhardt, Elektroinstallateur; Dr. Georg Heller, Sanitätsrat; Wilhelm Dürkop, Justiz-Obersekretär; Albert Schulze, Kaufmann; Walter Curland, Rechtsanwalt, Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei Franz Eyferth; Walter Störig, Gärtner.
Die Deutschnationalen durften den langjährigen Stadtverordneten Kaufmann Otto Pommer und den Malerobermeister Friedrich Heinemann entsenden. Die beiden Herren, die dem Stahlhelm angehörten, legten ihre Mandate bereits zwei Wochen später nieder. Die schriftliche Rücktrittserklärung des deutschnationalen Pommer erinnert sehr an bekannte Schreiben von Sozialdemokraten: „Durch meinen Austritt aus der DNVP bin ich gezwungen, das mir von dieser übertragene Mandat eines Stadtverordneten niederzulegen. Außerdem ist meine Gesundheit durch die Folgen meiner Krankheit noch sehr stark angegriffen.“ Pommer, der sich zwei Wochen vorher bei der Listenaufstellung noch gesund genug fühlte, war nun plötzlich geschwächt; anzunehmen ist, dass diese Schwäche politischer Art im Zusammenhang mit der Stahlhelmkrise war. Das Dokument enthält einen schriftlichen Zusatz von Heinrich Bode: „Anstelle von Pommer und Heinemann sind Kaussel und Blumenhagen zu berufen.“ Das bestätigte dann auch die WZ: Bahnhofsinspektor Hermann Blumenhagen und der Architekt C.H. Kaussel.

Der letzte Mandatsträger der neuen Runde war ein ganz besonderer Mann: Curt Mast, Weinhändler und aufstrebender mittelständischer Unternehmer, Gründer der Spirituosenmarke Jägermeister“, Inhaber mancher lokaler Ehrenämter und nun auch noch Stadtverordneter der Bürgerlichen Mitte, aus der er sich schnell verabschieden mußte, da die Nazis keine mehrfarbigen Parlamente mehr wollten, sondern nur noch braune. Mast verhielt sich anders als die beiden zurückgetretenen Stahlhelmer, er zog es vor sein von Nazis Gnaden erworbenes Mandat zu behalten und erklärte zunächst, sich als Hospitant der NSDAP-Fraktion anzuschließen. Seine „Hospitantenzeit“ kann allerdings nur Tage oder Stunden gedauert haben: Eine Unterlage des Document Center Berlin belegt den Eintritt in die NSDAP am 1. Mai 1933 mit der Mitgliedsnummer 3.183.016.

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