Gleichschaltung


Die Gleichschaltung

In manchen Nachschlagewerken wird darauf hingewiesen, die Nazis hätten den Begriff Gleichschaltung der Elektrotechnik entnommen. Das stimmt so nicht, da es eine Gleichschaltung gar nicht gibt. Vielmehr gibt es den Gleichstrom, der sich vom ständig seine Richtung änderndem Wechselstrom dadurch unterscheidet, dass er nur in eine Richtung strömt. Wechsel- und Drehstrom lassen sich durch einen Gleichrichter in Gleichstrom umwandeln; im politischen Sinn bildete der Gleichrichter den aggressiven Machtanspruch der Nazis, mit dem das gesamte Leben im Deutschen Reich bis in die feinsten Verästelungen in die eine Richtung der Nazi-Ideologie ausgerichtet wurde.

In manchen Geschichtsbüchern gar nicht erwähnt, in anderen kurz drüber hinweggegangen, erfährt die Gleichschaltung ebenso wenig Beachtung wie der 1. Boykott gegen die Juden; in manchen Zeittafeln zum Nationalsozialismus wird sie gar nich erst aufgeführt. Der Leser hat bereits erfahren, dass im Rahmen der Gleichschaltung die Länderparlamente und die Selbstverwaltung der Kommunen nationalsozialisiert wurden. Die Länder verloren nach dem 31. März ihre Selbständigkeit. Hitler setzte im ganzen Reich nach dem 7. April 1933 Reichsstatthalter ein. Für das kleine Land Braunschweig hielt er offenbar einen eigenen Statt-halter für zu viel, so ernannte er den alten Kämpfer und früheren Magdeburger Gauleiter Wilhelm Löper zum „Reichsstatthalter in Braunschweig und Sachsen-Anhalt“.

Die Gleichschaltung, zu der auch die Entrechtung der jüdischen Ärzte, Rechtsanwälte und Beamten gehörte, wirkte tief in alle Institutionen des gesellschaftlichen und politischen Lebens und bereitete den zentralistischen Einheitsstaat vor. Um zu sehen, wie Nachschlagewerke diese zentrale Institution fast jeder Diktatur in erläutern, schaute ich ins Bertelsmann-Volkslexikon von 1956 und fand eine recht magere Darstellung ohne Bezug zur Nazizeit: „Ausrichtung von Menschen und politischen Einrichtungen nach einem bestimmten politischen System durch Druck und Gewalt.“ Etwas mehr Mühe hatten sich die Autoren des Nachschlagewerkes „Der Neue Brockhaus“ von 1974 gemacht, die die Gleichschaltung als nationalsozialistischen Begriff erläuerten und ihn als „Anpassung aller Organe an die autoritär-zentralistische Organisation von Staat und Gesellschaft“ interpretierten. Ganz ausführlich gingen die Herausgeber des „Jugend-Lexikons Nationalsozialismus“ 1982 vor: Das Ziel der Gleichschaltung war es, „die bestimmenden Führungskräfte in allen Bereichen der Gesellschaft des bisher demokratisach regierten Deutschen Reiches abzulösen und alle Vollmachten auf die Führung der NSDAP und die von ihr gestellte Reichsregierung zu übertragen, um jeden Bereich des Staates und des sozialen Lebens nationalsozialistisch zu durchdringen und zu beherrschen.“

Nicht unter dem hier behandelten Begriff, sondern unter der sanften Bezeichnung „Staatlicher Neuaufbau“ stellte das 1937 erschienene „Kamps Neues Realienbuch für Schule und Haus“ die damaligen Absichten vor: „So wurden überall die verderblichen Kräfte des Klassenkampfes vernichtet, das ganze Volk unter einen poltischen Willen, den des Führers gestellt. Des Führers Wille aber ist Gesetz, und Gesetz um Gesetz soll aus dem Volkswillen zu einer neuen Verfassung heranwachsen, zur neuen Lebens- und Rechtsordnung des Reiches. Die unseligen, schuldbeladenen Eigenbröteleien der deutschen Länder, der Sondergeist der Staaten und Stämme: alles soll endgültig vernichtet werden. Ein Volk, Ein Reich!“

„Schritt für Schritt, in schnellem Tempo und mit grauenvoller Präzision“ wurde die Gleichschaltung vollstreckt. So beschrieb es Otto Bennemann, vor den Nazis geflohener Braunschweiger Sozialist am 30. Januar 1983 aus Anlaß der 50. Wiederkehr des Tages der „Machtergreifung“ vor dem Niedersächsischen Landtag. In weniger als sechs Monaten seien sämtliche Institutionen des Staates, der Politik und der Wirtschaft entweder verboten, aufgelöst, gleichgeschaltet oder völlig ausgehöhlt worden.

Ein Wolfenbütteler Geschäftsmann sah voraus, wie umfassend die Gleichschaltung werden würde und nutzte diese Entwicklung für seine Werbung. Das Radiogeschäft Rienäcker, schon bekannt durch die Aufstellung von Großlautsprechern zur Beschallung der Stadt mit Hitlerreden, warb in der WZ für seine Rundfunkgeräte: „Im Zeichen der Gleichschaltung und sonstiger Maßnahmen der nationalen Regierung, sowie die außen- und innerpolitischen Tagesereignisse zwingen auch Sie, Rundfunk-Teilnehmer zu werden. Die neuesten Schöpfungen Deutscher Wertarbeit, sorgfältig für hiesige Verhältnisse geprüft, werden Ihnen in allen Preislagen bereitwilligst, auch im eigenen Heim vorgeführt“

Starke Veränderungen in den Reihen der Kriegsbeschädigten meldete die Lokalzeitung: Mehrere Ortsgruppen seien bereits geschlossen zur „Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung“ übergetreten. Die Zeitung sah begründete Aussicht, dass sich wohl alle deutschen Kriegsopfer in einer großen und mächtigen Organisation vereinigen. Der Bund Kriegsbeschädigter Offiziere, der Kyffhäuserbund, der Reichsverband und der Bund der Erblindeten hätten sich bereits „hinter die NS-Kriegsopferversorgung gestellt“. Es soll erwähnt werden, dass der Verein ehemaliger Husaren „Standartenführer Hannibal“, nun zur Führerelite gehörend, als Ehrenmitglied aufnahm. Ein Veteran, dessen Sohn noch kurz vor Kriegsende umgekommen war, schenkte dem Verein eine Feldschützgranate, „die zu einem Tischbanner mit Hakenkreuz umgebaut worden war“.

Die Gleichschaltung vereinnahmte auch die Toten: Die Ortsgruppe der Reichsvereinigung der ehemaligen Kriegsgefangenen veranstaltete in Leistes Festsälen einen Deutschen Abend. Der Führer der Orstgruppe, Wilhelm Ahrberg, ehrte die „im Felde gefallenen Kameraden und die von der SA“ gleich mit, „die im Kampf um das Dritte Reich ihr Leben ließen“.

„Überall Gleichschaltung“, verkündete die BTZ Ende April. Der nationalsozialistische Anspruch auf Beherrschung machte sich auf den teilweise kleinkariert erscheinenden Weg in die Verästelungen des gesellschaftlichen Lebens. In der Gärtnerstadt Wolfenbüttel trafen sich die Mitglieder des „Reichsbundes des Deutschen Gartenbaues“. In Ermangelung erforderlicher Richtlinien, die die Reichsführung des Bundes noch erlassen müsse, gelang es noch nicht sofort, die „einige Front des Gartenbaues herzustellen“ Damit sich auch die Schrebergärtner ordentlich einreihen konnten, erfuhren sie von der Gründung des Reichsbundes der Kleingärtner und Kleinsiedler, „um die nationalsozialistische Idee der Verbundenheit zwischen Blut und Boden zu verwirklichen“ und den Gedanken „Gemeinnutz vor Eigennutz“ zu fördern.

Die Ortsgruppe Wolfenbüttel des Reichsverbandes deutscher Post- und Telegraphenbeamten versammelte sich im Goldenen Hirsch und wählte seinen Vorstand neu. Den Posten des 1. Vorsitzenden erhielt Postschaffner Käse, Mitglied der NSDAP.

Große Aufmerksamkeit der Nazis erlangte die „deutsche Sportbewegung“, die sich in die Front der nationalen Erhebung eingliederte. Alle Fachverbände erhielten die Verpflichtung, neben der Pflege ihrer Disziplin den Wehrsport in das Programm aufzunehmen und für die Durchführung der militärischen Ertüchtigung der Jugend zu sorgen. Der Wolfenbütteler MTV setzte sich gleich an die Spitze dieser Forderung. Die Abteilung „Volkstümliches Turnen“, angeführt vom Turnbruder Bückner, traf sich im Forsthaus und hörte zu, was er zu sagen hatte: Wie zu den Zeiten des Turnvaters Jahn sei es auch heute erforderlich, die Jugend zu erfassen und „restlos für die Idee des Vaterlandes einzusetzen“; aber bitte nicht mit den herkömmlichen Phrasen, sondern mit „der Tat und immer wieder mit der Leistung“: „Jeder deutsche Mensch muß wieder das höchste Ziel anstreben, Soldat seiner Nation zu sein, um im entscheidenden Augenblick seinen Mann stehen zu können.“ Das müsse nach dem Vorbild „unseres Volkskanzlers Adolf Hitler“ geschehen: „Einordnung in die Gemeinschaft und Unterordnung unter den Führer.“ Eine Disziplin müsse gepredigt werden, wie Hitler sie 14 Jahre lang gepredigt habe: Kameradschaft und treueste Pflichterfüllung. Dann ließ der Leiter, man mußte ihn jetzt wohl Führer nennen, des volkstümlichen Turnens seine Vorschläge los: „Das Wehrturnen wird praktisch durchgeführt mit Gepäckmärschen bis zu 25 km, Schießen, Handgranatenwerfen, Pflege von Geländeübungen aller Art, Pflege von Ordnungsübungen.“ Es soll hier nicht unterdrückt werden, dass seine Worte angeblich „in den Herzen der begeisterten Jugend lebhaften Widerhall“ fanden.

Die Gleichschaltung ist in der Vereinschronik kurz beschrieben: „Am 16. Mai wurde auf An-ordnung des Turnbruders Hannibal, der von der Kreisdirektion zum Staatskommissar für un-seren Verein bestellt war, die Umstellung nach dem Füherprinzip bzw. die erforderliche Gleichschaltung des Vorstandes und des Turnrats vorgenommen. Damit ist auch in unserem Verein der äußere Umbau vollzogen. Der bisherige Turnrat und Vorstand wurden dabei bestätigt.“

In diesen Tagen konnte die Männerabteilung des MTV neue Mitglieder aufnehmen: Wegen der „Auflösung des marxistischen Turn- und Sportvereins“: „Die von dort gekommenen Mitglieder, die sich auch innerlich umgestellt haben, können mit Recht schon als Turnbrüder bezeichnet werden.“ Somit war „im Frühlingssturm der nationalsozialistischen Revolution alles Morsche und Faule hinweggefegt und an die Stelle von Bruderstreit, von Haß und Zwietracht, von Religions- und Vaterlandslosigkeit“ waren die neuen „Gefühle der Schicksalsverbundenheit, der Vaterlandsliebe, der nationalen Würde und des Vertrauens“ getreten.

Vom 15. Deutschen Turnfest in Stuttgart im August 1933 kehrten die Wolfenbütteler Turner mit großer Begeisterung zurück. Noch nie hatten sie bei bei diesem Anlaß „solch eine Begeisterung der Massen gesehen“. Der „Führer der Geschicke des deutschen Volkes“ habe durch seine Anwesenheit und durch seine „kernige Rede“ dem Fest eine besondere Bedeutung gegeben. Getragen von diesem Enthusiasmus zitierte der Chronist eine Aussage Hitlers: „Wer Turner angreift, greift Deutschland an!“

Und damit das aufgehe, was Brückner gesäht hatte, mußte natürlich auch die entsprechende Fahne her. Daher trafen sich die Mitglieder des Männer-Turnvereins im Exerzierraum des SA-Heimes, um die neue Hitlerfahne weihen zu lassen. Der Vorsitzende, Rechtsanwalt Curland, betonte seine große Freude darüber, hier eine Fahne erhalten zu können, die ein äußerliches Zeichen der Verbundenheit mit der Reichsleitung sei: „Freudigen Herzens sei der Entschluß gefaßt worden, das Symbol des neuen deutschen Reiches mit seinen Fahnen zu führen und im Geiste der neuen Freiheitsbewegung zu arbeiten“; ob wohl die Blutflecken der hier kürzlich erst gefolterten Dettumer Sozialdemokraten auch gut weggewischt worden waren?

Diesmal hatte Wilhelm Hannibal eine ganz andere Rolle zu spielen. In der Weiherede erinnerte er an Friedrich Ludwig Jahn, der die Jugend hinausgeführte habe, um sie zu stählen und stark zu machen für den Befreiungskampf. Männer wie Jahn seien die Vorkämpfer des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen, das erst Hitler habe vereinen können. Nachdem die Hülle der neuen Hitlerfahne gefallen war, sprach er die damals sicher rührenen Worte: „Wehe du Freiheitsbanner einer freien Jugend im freien deutschen Vaterland voran. Und du deutsche Jugend vom MTV blicke auf dieses Banner als ein Symbol der Freiheit Deutschlands.“

Weil offensichtlich nicht alle Mitglieder Gefallen an der militärischen Disziplinierung ihres Bewegungsdranges fanden, veröffentlichte der MTV eine Mitteilung, aus der das aus der Gleichschaltung hervorgegangene Führerprinzip deutlich wird: „Nach einem Beschlusse des Führers des hiesigen MTV, Dr. Curland, im Einvernehmen mit den Vertretern der aktiven Turner ist zunächst auf ein Jahr verfügt worden: Jeder Turner im Alter von 14 – 40 Jahren ist verpflichtet, in jeder Woche einen Turnabend zu besuchen. Wer diese Pflicht zwei Wochen hintereinander verletzt, wird aus dem Verein ausgeschlossen. – Diese Maßnahme wurde getroffen, um zur Erreichung der Ziele der deutschen Turnerschaft beizutragen und den Fortbestand des MTV zu gewährleisten. Über den Ausschluß von Mitgliedern entscheidet der Vorsitzende unanfechtbar. Ein Übertritt zu einem anderen sporttreibenden Verein ist bekanntlich ausgeschlossen.“

Wenn es zukünftig wieder ums kriegerische Schießen gehen sollte, konnten die Schützen natürlich nicht hintenanstehen. Dieser nationale „Volkssport“ par exelence schaltete seine Führung im Landesschützenbund gleich mit der neuen Bewegung. In den Vorstand gelangten gleich zwei Wolfenbütteler: Als 1. Vorsitzender Hans Schömers und als Schriftführer Notar Ernst Fischer. Im Juni feierten die Schützen ihr erstes Fest der Nazizeit. Nachdem sich die Sonne siegreich gegen das schwere und regenreiche Gewölk durchgesetzt hatte, versammelten sich die Wolfenbütteler Schützen auf dem Stadtmarkt. Ehe aber der Umzug zum Schützenplatz begann, mußte erst einmal die neue Hitlerfahne geweiht werden: Pünktlich zu festgesetzten Zeit erschallten Kommandorufe, die Wehrabteilung präsentierte das Gewehr, die Musik spielte den Präsentiermarsch und die Majestäten mit den alten Fahnen, die neue noch verhüllt, traten ein. Vor der Rednerkanzel nahmen die Fahnen Aufstellung und von dieser aus hielt Standartenführer Hannibal eine Weiherede. Die Rede unterschied sich kaum von der bereits zitierten. Hannibal, drei Jahre später auch Vereinsführer des Geflügelzüchtervereins, wies aber darauf hin, dass die Ziele der deutschen Schützen schon immer eng verwandt mit den Zielen des Nationalsozialismus gewesen seien: „Wir Schützen fordern: Ertüchtigung der Jugend, Wehrhaftmachung des deutschen Mannes, besonders durch den Schießsport. Üb Aug und Hand fürs Vaterland, so lautet unser Wahlspruch.“ Nach weiteren salbungsvollen Worten über den Führer übergab er die neue Fahne dem Schützenhauptmann W. Appuhn, der sie mit einem Spruch empfing:

„Sei gegrüßt, du stolze Fahne,
Weh uns voran in Freud und Leid,
Bei frohem Fest und an der Bahre,
In guter und in böser Zeit,
Im Sturmgebraus, bei lindem Winde,
Im tiefen Tal, auf Berges Höh’n,
Woll’n wir mit diesem stolzen Zeichen,
In Gottes Namen vorwärts gehn.“

Er übergab das Hakenkreuztuch dem Fahnenträger Tischlermeister Isensee, der sie unter einem jubelnden „Sieg Heil“ im Winde hatte wehen lassen. „Der Umzug setzte sich erst in Bewegung, nachdem das Horst-Wessel-Lied verklungen“ war. Durch Abordnungen waren die städtischen Militärvereine vertreten, das Technikum mit seinen Chargierten im vollen Wichs, der MTV, die städtischen Beamten, das Rote Kreuz, die Innungen, usw.; am Schluß marschierte die Formation der NSDAP. Aus der Spalier bildenden Menschenmenge und aus den Fenstern regnete es Blumen. Der nicht so bedeutende „Schießklub Horridoh“ zog später nach und wählte in einer Versammlung, „die der Gleichschaltung im Führerprinzip galt“, den bisherigen Schießwart Wilhelm Gerecke zum Führer des Vereins.

Der Verband ehemaliger Schüler der Städt Oberrealschule traf sich im mit den „Symbolen des Reiches“ geschmückten Kaffeehauses in Anwesenheit des Ehrenvorsitzenden Oberstudiendirektor Dr. Naumann. Der Vorsitzende, Oberlehrer Knaust, gedachte selbstverständlich zunächst der nationalen Erhebung und erklärte: „Des großen Führers eiserne Wille ist es, deutsches Wesen überall durchzusetzen. Gleichschaltung ist die Parole. Wir brauchen uns nicht gleichzuschalten; wir haben immer diese Zeit herbeigesehnt, auf diesem Strom sind wir eingestellt. So treten wir geschlossen hinter die Regierung Adolf Hitlers und geloben in treuer Pflichterfüllung in ihrem Sinne zu wirken, um zur großen deutschen Volksgemeinschaft zu kommen.“ Er gedachte auch des ehemaligen Direktors von Hörsten, dere sich nie den marxistischen Machthabern gebeugt und das Gift von den Schülern ferngehalten habe. Die Treue sei nun herrlich belohnt worden. Der Vorstand, dem neben dem Ehrenvorsitzenden sechs NSDAP-Mitglieder angehörten, wurde wiedergewählt.

Der Landeslehrerverein forderte seine Mitglieder auf, in den Nationalsozialistischen Lehrerbund einzutreten. Eine Vertreterversammlung beauftragte den 1. Vorsitzenden, die Überführung des Landeslehrervereins mit allen seinen Untergliederungen, Wohlfahrts- und Schutzeinrichtungen in den NS-Lehererbund vorzunehmen. Der Wolfenbütteler Ortslehrerverein konnte die Gleichschaltung mit Leichtigkeit vollziehen, da alle bisherigen Vorstandsmitglieder ohnehin schon dem NS-Lehrerbund angehörten und bis auf einen Lehrer auch der NSDAP. Daher erfolgte einstimmige Wiederwahl aller Vorstandsmitglieder. Nach einer Umbenennung des Landeslehrervereins in „Landesfachschaft der Lehrer an Volks-, Mittel-, und Sonderschulen im Nationalsozialistischen Lehrerbund“ mußte auch der Begriff „Vorstand“ eliminiert werden. Der hieß nun „Führerrat“: „Es gibt einen großen und einen kleinen Führerrat. (..) Der große Füherrat bestimmt die Richtlinien für die Leitung, Verwal-tung und Arbeit der Landesfachschaft. Er entscheidet unter Ausschluß des Rechtsweges endgültig. Der kleine Führerrat vertritt die Landesfachschaft nach außen und führt die Geschäfte.“ Trotz dieser Vermehrung von Führern in der Bevölkerung behielt sich dennoch der „Gauobmann des NS-Lehrerbundes“ die endgültigen Entscheidungen vor. Eine Parallele zu früheren Zeiten sah der Pressewart des Lehrerbundes Wolfenbüttel-Land. In offensichtlicher Euphorie über die neue Zeit zitierte er den „Schlachtruf Ulrichs v. Hutten, des besten und feurigsten Kämpfers der ganzen Reformationsepoche: „Es ist wieder eine Lust zu Leben!“

Und da Dietrich Klagges einer ihrer Kollegen war, nahmen die Lehrer dessen schriftstellerischen Ergüsse zum Anlaß, darüber referieren zu lassen. Studienrat Thormeyer erklärte ihnen dessen Vorstellungen von der „Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit“ und seine „Wege zu einer neuen nationalsozialistischen Volkswirtschaftslehre“. Jedem Nationalsozialisten sei dringend geraten, sich mit dem Klagges’schen Werk zu befassen. In der neuen Zeitschrift „Niedersächsischer Erzieher“, die erstmalig mit einer Beilage für das Land Braunschweig im Oktober 1933 erschien, werden die Lehrer gleich auf der ersten Seite mit einem Zitat des neuen Braunschweigischen Ministerpräsidenten Klagges in ihre Arbeit eingeführt: „Zwei Dinge sind es, die jeder Deutsche Erzieher wissen muß: Zeugung ist mächtiger als Erziehung, und Deutschtum ist wertvoller als Fremdtum.“

Die Gleichschaltung der Lehrer wirkte sich nicht nur im Unterricht aus, sondern hatte auch äußere Folgen. Kurz vor den Sommerferienversammelten sich im Hofe der Mittelschule alle Schülerinnen und Schüler im „festlichen Gewande“, weil, es galt, auch hier eine neue Fahne zu weihen. Steuersekretär Bosse, der Vorsitzende des Elternrates, behauptete in seiner Ansprache, die Fahne sei ein „längst gehegter Wunsch der Eltern und der Kinder“. Die Fahne trug „die alten Farben des Deutschen Reiches, unter denen die Väter gestritten, mit dem Zeichen des neuen Deutschland, die Farben der Stadt mit dem Stadtwappen“. Direktor Ottmer übernahm die Fahne für seine Schule, die damit im Lande Braunschweig die erste Mittelschule sei, die eine Fahne weihen konnte. „Warum hat sich unsere Schule eine Fahne gewünscht?“ fragte der Schulleiter, und antwortete sogleich: „Weil diese der Sammelpunkt aller derer ist, die ihr folgen. Die Fahne soll bedeuten, dass die Kinder zu treuen deutschen Menschen erzogen werden; sie soll sagen, dass das Wort des Reichspräsidenten beherzigt wird: Lerne erst gehorchen, ehe du daran denken kannst, zu befehlen. So sollen die Kinder hineinwachsen in die Reihen derjenigen, denen das Vaterland alles ist und die das alte Friesenwort im Herzen tragen: Lieber tot als Sklave.“

Herr Bosse habe versichert, so der Rektor weiter, dass die Elternschaft treu zur Fahne stehen werde: „Dasselbe geloben wir Lehrer und Schüler und Schülerinnen.“ Doch was ist eine Fahne ohne weihevolle Worte. Auch die fand der Schulleiter: „Sei stets und überall den Kindern unserer Schule ein Mahner und ein Anreiz zu frischem Wachstum an Körper und Geist, da sie werden: treue Deutsche, die für ihr Vaterland alls zu opfern bereit sind, fromme Christen, tüchtige Männer und Frauen, die ihren Platz im Leben ausfüllen und das Leben zu meistern wissen. Das walte Gott.“

Dem Autor ist kein Versuch der Nazis bekanntgeworden, Gott gleichzuschalten. Wie der Leser an vielen Stellen bis hierher hatte erleben können, ging man immer davon aus, dass Gott – und Christus und natürlich auch der Heilige Geist – den Kirchenmenschen folgte, und nicht andersherum. So traf sich im Gemeindehaus der Johannisgemeinde zu Wolfenbüttel der Landesverband evangelischer Jungmännervereine, um ihre christlich gesinnte Gleichschaltung vorzunehmen. Am Samstag hielt der Bundeswart des Nordbundes, Dr. Gollmann aus Hamburg, ein Referat über das Thema „Evangelische Jugend im neuen Deutschland.“ Leider steht das Referat nicht zur Verfügung, dafür hatte die Lokalzeitung mitgeschrieben: „Das Ja evangelischer Mannesjugend zu Volk und Staat kam stark zum Ausdruck. Der Vortrag wurde von den anwesenden Jugendführern beifällig aufgenommen.“ Kann die gerade oben aufgestellte These vom Nachfolgen der protestantischen Dreifaltigkeit noch besser dargestellt werden, als in dem Satz, mit dem die WZ das Ende des ersten Tagungstages beschrieb?: „Der Abend schloß mit einem dreifachen Christheil auf den Volkskanzler Hitler und auf Volk und Vaterland.“ Nach dem Gottesdienst am nächsten Morgen legte der bisherige Vorstand seine Ämter nieder. Zum neuen Landesführer des Landesverbandes wurde Pastor Konrad Minkner ernannt.

Auf den Namen dieses Pfarrers stieß der Autor erneut, als er nach Hinweisen zur Gleichschaltung der evangelischen Landeskirche suchte. In dem Buch, mit dem die Kirche einundsechzig Jahre später den Versuch unternahm, die Kapitulation der Bergpredigt vor den Nationalsozialisten zu beschreiben, wurde er fündig. Über die Gleichschaltung des Landespredigervereins übernahmen die braunen Seelsorger schließlich die Macht in der Landeskirche. Die Deutschen Christen, das Sammelbecken der völkischen Protestanten und Förderern der NSDAP, übernahmen gleich nach dem geschlossenen Rücktritt des Vorstands die Macht. Dem neuen Vorstand gehörten noch zwei ehemalige Vorstandsmitglieder an und drei weitere Pfarrer: Pastor Minkner, Pastor Schlott und der vom SA-Mann zum Bischof aufsteigende Bastor Beye. Da der Autor diesen Vorgang hier nicht in allen Einzelheiten einfügen kann, überläßt er es dem Leser, sich das Buch zu besorgen, um einigermaßen ausführlich zu erleben, wie Kirche die von ihr praktizierte Religion in die Hölle überführte. (Pollmann, Klaus Erich (Hrsg.), Der schwierige Weg in die Nachkriegszeit, Göttingen 1994)

Dietrich Kuessner, der Pastor, der seine Kirche in jahrzehntelanger Arbeit immer wieder an diesen Abstieg vom Himmel zur Sünde erinnert hat, formulierte diesen Gleichschaltungsprozeß kurz und drastisch: „Die treibenden Kräfte der Deutschen Christen in Braunschweig sind der junge Dorfpfarrer Beye aus Wenzen und der 55jährige Stadtpfarrer Johannes Schlott von der Katharinenkirche in Braunschweig. Beide sind Mitglieder der NSDAP vor 1933 und rührige Agitatoren für die Partei. Schlott wird seit dem Frühjahr 1933 Gauführer der DC, leitet die „Umorientierung“ in der Landeskirche und führt die Wahlliste der DC bei der Kirchenwahl im Juli 1933 an. Er inszeniert es, dass alle Abgeordnete des neuen Landeskirchentages im Braunhemd erscheinen, auch wenn sie gar nicht der SA angehören. Schlott arbeitet zielstrebig an einer raschen und „honorigen“ Ablösung der Kirchenleitung. Beye wird Bischof und Schlott sein Oberkirchenrat. Beide führen den Arierparagraphen in der Kirchengesetzgebung ein, passen die Kirchengrenzen den politischen Kreisgrenzen an, besetzen die Posten der Kreispfarrer mit Gesinnungsgenossen und betreiben nach dieser organisierten Gleichschaltung eine intensive Volksmission in Aufbau- und Schulungswochen mit der Absicht der „inneren Gleichschaltung“ zur Schaffung einer braunen Kirche.“

„Was soll nun werden? Was sollen wir tun?“, fragten die Wolfenbütteler Kirchenoberen ihre Herde im „Evangelischen Gemeindeblatt“; das war wohl eher rethorisch gemeint, denn die Antwort folgte gleich: „Zunächst: Das feste Vertrauen und den klaren Blick für das Große behalten. Das feste Vertrauen auf die gegenwärtige Leitung der Geschichte unseres deutschen Volkes. Der, den sich Deutschland zu seinem Führer in schwerster Zeit erwählt mit einem Vertrauen, mit einer Verehrung, mit einer Liebe, wie sie selten ein Führer eines Volkes besaß, der soll das Vertrauen unserer Herzen behalten. Adolf Hitler hat auf Grund seines feierlichen Spruchs in der entscheidenden Stunde der neuen Geschichte ein unbestreitbares Recht auf das Vertrauen auch seitens der Kirche.“

Anläßlich einer Sitzung der nationalsozialistischen Kriegsbeschädigten im Kronprinz schimpften die Wolfenbütteler Vertreter dieser Organisation auf den „marxistischen Reichsbund“, dem sie ihre Beiträge nicht mehr bezahlen wollten. Das Schlußwort der Veranstaltung sprach Pastor Teichmann. Er brachte die Zukunft auf eine einfache Formel, „dass es keine andere Entscheidung mehr gäbe als die zwischen dem Hakenkreuz und Sowjetstern, zwischen Nationalsozialismus und dem Bolschwismus.“

So sahen es offenbar auch viele Handlungsgehilfen und Angestellte. Daher teilte der Deutsche Handlungsgehilfen Bund mit, dass ein „großer Zustrom von neuen Mitgliedern zu der Nationalsozialistischen Angestelltenschaft“ zu verzeichnen sei: „In einzelnen Betrieben sind alle Kaufmannsgehilfen geschlossen dem DHV beigetreten. (…) Der DHV, der im Augenblick noch keine Mitgliedersperre durchführt, wird allen den Kaufmannsgehilfen, die jetzt noch freiwillig beitreten, die bisherigenRechte zugestehen, während man späteren Mitgliedern diese kaum bewilligen kann.“

Damit auch im Lessing-Theater von der Bühne nur noch deutsche Schauspielkunst das Publikum erfreute, traten die Vorstandsmitglieder der alten Theatergemeinde zurück und überführten den Mitgliederbestand sowie das Bankkonto in die neu gegründete Ortsgruppe der „Deutschen Bühne“. Diese neue „Theaterbesucher-Organisation“, die sich als „Kampfbund für Deutsche Kultur“ verstand, führte nun der Vorsitzende der Nationalsozialistischen Kulturvereinigung, Buchhändler Hugo Schumacher.

Und wieder eine Fahnenweihe: Der Gärtnergesangverein, geführt vom lokalen Musikus und SA-MannHeinrich Pinkernelle, ließ in der Trinitatiskirche von Pastor Kiel die neue Fahne weihen.

Was ist nach dem 8. Mai 1945 nur aus all diesen Fahnen geworden?, fragt sich der Autor, wurden sie wirklich alle verbrannt? Oder werden sie noch aufbewahrt?

Die Wolfenbütteler „Freunde der Naturheilbewegung“ – es existierte hier eine Ortsgruppe des „Biochemischen Vereins“ – wurden öffentlich aufgefordert, sich den Sammelverbänden anzuschließen. Andernfalls müssten sie mit der Auflösung rechnen.

Trotz dieser Massengleichschaltung gab es aber immer noch Menschen, die an ihren alten Überzeugungen festhielten und das auch bezeugten, wenn auch geheim. „Immer wieder versuchen Staatsfeinde“, so die Lokalzeitung, „durch Verbreitung von Flugblättern und Schriften, die in verborgen gehaltenen Druckereien hergestellt werden, Beunruhigung in die Bevölkerung zu bringen und die Aufbauarbeit der Reichsregierung zu hemmen. Die Flublätter werden meist nachts, oft durch Radfahrer und Motorradfahrer, ausgestreut oder an Stellen, so in Hausbriefkästen gelegt, wo sie leicht gefunden werden können. Die Bevölkerung wird aufgefordert, tätig an der Feststellung solcher geheimen Druckereien und an der Festnahme der Flugblattverteiler mitzuwirken. Flugblätter müssen so schnell als möglich abgeliefert werden.“

Das Rote Kreuz, das in Wolfenbüttel eine freiwillige Sanitätskolonne unterhielt, wollte der neuen Entwicklung nicht hinterherhinken. Anläßlich einer Hauptversammlung Mitte April betonte der Vorsitzende das traditionelle Anliegen des Roten Kreuzes, „getreu der Satzung und eng verbunden in der durch Herkommen überlieferten sittlichen und vaterländischen Gesinnung eine große Gemeinschaft zu bilden. Diese arbeitet, völkerrechtlich anerkannt, auf vaterländisch nationaler Grundlage im wahrhaft sozialen Sinne für Volk und Reich. Das Rote Kreuz steht als nationale Organisation völlig hinter der gegenwärtigen Reichsregierung.“

Etwas drastischer formulierte ein unbekannter Wolfenbütteler Autor (Gr.) die Situation der Organisation sechs Wochen später: „Es gibt immer noch Deutsche, die der Meinung sind, das Rote Kreuz sei ein großer internationaler Verein. Dem ist aber nicht so!“ Es sei zwar „Träger der völkerrechtlichen Aufgaben, die das Deutsche Reich auf Grund der Genfer Konvention zu erfüllen hat, es stelle sich aber selbstverständlich mit allen seinen Gliedern der nationalen Regierung für die Arbeit an Deutschlands Erneuerung zur Verfügung. Das habe der Präsident des Roten Kreuzes in einem Schreiben dem Reichskanzler mitgeteilt. Der Autor hielt es für wichtig, dieses Schreiben zu veröffentlichen.“

Der Präsident von Winterfeldt-Menkin hatte Hitler diese Unterwefung deutlich mitgeteilt: „Das Deutsche Rote Kreuz verehrt in Ihnen, Herr Reichskanzler, den Führer, der in wenigen Monaten stürmischer Entwicklung die Erneuerung des Deutschen Reiches vollzogen hat. Der begeisterte Aufschwung neuer Hoffnung, der alle Schichten des deutschen Volkes durchdringt und unüberwindliche scheinende Schranken niederreißt, bereitet den Glauben an die Erfüllung uralten Sehnens: die wahre und tiefe Volksgemeinschaft aller Deutschen. (…) Und es wird ihm treu bleiben, nachdem sich unter Ihrer Führung, Herr Reichskanzler, der Weg zu wahrer Einheit der Nation geöffnet hat. Sie haben wiederholt mit ernsten Worten gemahnt, dieser Weg werde nicht leicht sein. Um so mehr wird Deutschland den Willen und die Erfahrung der zum Hilfswerk geschulten Männer und Frauen vom Roten Kreuz in mehr als 8000 örtlichen Organisationen, die Bereitschaft der 10 000 Schwestern vom Roten Kreuz und der 130 000 freiwilligen Mitglieder der Sanitätskolonnen brauchen. Im Namen dieser anderthalb Millionen Männer und Frauen im Deutschen Roten Kreuz erkläre ich die unbedingte Bereitschaft, uns Ihrer Führung zu unterstellen und Ihnen zu folgen.“

Die Gleichschaltung ließ wirklich keinen Bereich aus. Auch das über die bekannten „deutschen Abende“ hinausgehende Vergnügen erlitt die übliche Reduzierung auf völkische Inhalte. Die Lokalzeitung warb für den „Tanz in neuer Form“: „Auch in unserer Stadt will man anscheinend sich einem anderen, einem deutschen Tanz zuwenden. Wie im Anzeigenteil ersichtlich, gibt im Kaffeehause Herr Häusler (Braunschweig) dazu auf Wunsch Anleitung.“ „Der Niggerjazz ist tot – es lebe der deutsche Tanz mit seiner gesunden Natürlichkeit und seiner kraftvollen Anmut!“ verkündete die WZ später und ließ sich in einem üblen Artikel über das vergangene „Charlestonfieber“ aus, das die Menschheit überfallen hatte. Der Autor ließ seinem Rassismus freien Lauf, in dem er sich auf die damals mit Bananen bekleidete Josephine Baker stürzte und meinte, der „haut gout des Negerduftes ist schon längst als übler Gestank enttarnt“.

Nach dem Krieg sei der Charleston die Verkörperung des „epileptischen Tanzes“ gewesen; der Tanz habe ausgesehen, als ob “ein Hund mit seinen Hinterfüßen die Erde aufkratzen würde“. Das sei kein Rhythmus gewesen, „das war ein irrsinniges Gescharre, Gehüpfe, Gestotter und Geschleife mit Beinen und Unterleib, der „rhythmische“ Ausdruck einer morbiden und hemmungslosen Sinnlichkeit“. Die Baker habe sich zu einer Zeit, als Neger in gewissen Kreisen sehr gefragt gewesen seien, mit einem gewissen Körperteil ein Heidengeld verdient. Nun aber sei das hysterische Urwaldgequieke endgültig verstummt. Der Nationalsozialismus räume gründlich auf: „Die letzten spärlichen Reste einer negerfarbenen Pseudo-Musik sind verschwunden und der deutsche Tanz, den man lange Zeit wie ein Aschenbrödel behandelt hat, tritt mit melodischer Grazie auf den Plan.“

Urwaldmusik war verpönt, bald auch verboten. Der afrikanische Urwald ansich aber nicht, im Gegenteil, den wollten die Deutschen mit ihren alten Kolonien wieder zurückhaben. Dafür trat die Ortsgruppe des kolonialen Frauenbundes ein: Gleichschaltung also auch in Afrika. Die NS-Frauengruppe hatte zu einem Unterhaltungsabend eingeladen und dazu eine Frau eingeladen, die über ihre jahrelangen Erfahrungen inÜbersee berichten sollte. Doch bevor sie auftreten konnte, stellten die NS-Frauen ihre Vorstellungen von deutscher Kultur vor: Frl. Flores trug mit starker Empfindung ein dem Volkskanzler gewidmetes Gedicht vor, und der Frauenchor sang bekenntnisfreudig ein „Führerlied“.

Die koloniale Dame sprach über die Bedeutung der Kolonie und rühmte die große Rolle der Frau für die Erhaltung deutscher Art. Unter dem Eindruck der wiederentfachten Erinnerung an „Unvergessenes Land“ sang die Versammlung dann „impulsiv“ den ersten Vers des Deutschlandliedes. Frau Dr. Hinkel, Gattin des Kreisdirektors, begleitete am Flügel zwei Damen, die mit beseelter Stimme Duette ernsteren und heiteren Inhalts vortrugen. „Aus dem reichen Born des deutschen Volksliedes schöpfte dann auch der NS-Frauenchor; der weibliche Arbeitsdienst rezitierte zum Schluß eine „wuchtige Zeitdichtung“, aus der nur diese eine Zeile überliefert ist: „Die Not hat gehämmert ein hartes Geschlecht“.

Zum harten Geschlecht zugehörig wähnten sich die Mitglieder vieler rechtsradikaler Organisationen, die nach dieser nationalen Machtübernahme nun plötzlich erleben mußten, dass ihre Organisationen nicht mehr erwünscht waren, gar nicht erst gleichgeschaltet, sondern gleich verboten wurden.

Der Reichstatthalter Anhalt und Braunschweig schickte der Regierung in Braunschweig im Juni 1933 ein streng vertrauliches Schreiben: „Ich ersuche um Auflösung folgender Verbände: Tannenbergbund, Ernste Bibelforscher, Jungdeutscher Orden, Wehrwolf. Zur Begründung gestatte ich mir den Hinweis, dass im nationalsozialistischen Staat, Organisationen, die entweder sich dem Angriff auf diesen Staat und seine Grundsätze zur Aufgabe gemacht haben oder die angeblich staatliche Belange vertreten wollen, hierzu aber viel zu klein und unbedeutend sind, überflüssig sind. Sie bilden höchstens das Sammelbecken Unzufriedener, und hieraus erwachsen dann Momente, welche geeignet sind, Zusammenstöße herbeizuführen und Ruhe und Ordnung zu gefährden. Der Stahlhelm und der Kampfbund junger Deutschnationaler sind schärfstens zu beobachten. (…) Bei Gefahr im Verzug sind solche Verbände örtlich aufzulösen und die Führer in Schutzhaft zu nehmen.“

Die Regierung reagierte schnell, denn die WZ berichtete nur vier Tage später, dass das Tragen von Abzeichen der verbotenen und der auch zu beobachtenden (außer Stahlhelm) und noch weiterer Organisationen verboten sei.
Der Wehrwolf, in Braunschweig später in den Pioniersturm eingegliedert, wollte sich nicht gleich geschlagen gegeben. In einen Brief an Klagges heißt es u.a.: „Ich darf Ihnen, Herr Minister, bei dieser Gelegenheit wohl unterbreiten, dass der Wehrwolf eine der ältesten Kampfbewegungen gegen den Marxismus und für die nationale Revolution ist. (…) Ferner weise ich ausdrücklich darauf hin, dass der Wehrwolf nicht erst nach dem 30.1.33, sondern bereits Jahre lang vorher in Wort und Tat sich für Hitler einsetze. Unser Verbot trifft uns überraschender, weil wir von einer Links-Regierung, deren Gegner wir waren, nicht aufgelöst, von einer NS-Regierung aber, als deren Mitkämpfer wir uns betrachten, aufgelöst sind.“

Der Tannenbergbund war ein von Ludendorff 1925 gegründeter Dachverband der völkischen Wehr- und Jugendbünde und verstand sich als Kampfgemeinschaft gegen die „überstaatlichen Nutznießer und Urheber“ des vor 1933 „wehrlosen und unsittlichen Staates: Juden, Jesuiten und Freimaurer, die Feinde der deutschen Volkseinheit. In den Aufnahmebedingungen (1928) des Bundes muß der um Aufnahme Nachkommende die Erklärung abgeben, dass sich unter seinen Vorfahren seiner Frau nachweislich kein Jude und sonstige Rassenfeinde befinden.“

Im Laufe der Monate Mai bis Juni lösten sich – größtenteils keineswegs freiwillig – die Parteien auf. „Was früher keinem gelungen war, gelang Adolf Hitler: Eine jahrhundertelange verderbliche ultramontane Politik fand ihr verdientes Ende – ein historisches Ereignis von ausschlaggebender Bedeutung“ für die Stabilisierung der Terror-Diktatur: „Die Parteien waren tot“, was nicht stimmte, denn einige – KPD und SPD – von ihnen arbeiteten im Exil weiter, aber: „Der Parteienstaat war tot.“ Um das vollends klar zu machen, erließ Hitler am 14. Juli 1933 das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien:
„§1: In Deutschland besteht als einzige politische Partei die Nationalsozialistische Arbeiterpartei.
§2: Wer es unternimmt, den organisatorischen Zusammenhalt einer anderen politischen Partei aufrechtzerhalten oder eine neue politische Partei zu bilden, wird, sofern nicht die Tat nach anderen Vorschriften mit einer höheren Strafe bedroht ist, mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu drei Jahren bestraft.“

Mit der Volkszählung vom 15. Juni 1933 erlangten die Nazis genügend Kenntnisse über die Zahl der Menschen, die den Minderheiten angehörten – besonders der Angehörigen jüdischer Gemeinden. Damit sich niemand der Zählung entziehen konnte, machten zum Beispiel in Braunschweig Hunderte von SA- und SS-Männern gemeinsam mit der Kriminalpolizei Razzien in den Schrebergärten und „anderen Schlupfwinkeln“. Kein Mensch sollte der Erfassung entgehen, weshalb auch 200 Polizeibeamte die Braunschweiger Bordelle in der Bruchstraße nach noch nicht erfassten Menschen durchsuchten.

Als die Wolfenbütteler WZ-Leser am 12. Juli ihre Zeitung in die Hand nahmen, schlug ihnen eine überraschende Schlagzeile entgegen: „Die deutsche Revolution abgeschlossen“. Sie erfuhren, Reichsinnenminister Frick habe das in einem offiziellen Rundschreiben an alle Reichsstatthalter und sämtliche Landesregierungen erklärt. Das Schreiben war im vollen Wortlaut abgedruckt: „In seinen letzten Ansprachen an die SA-Führer und an die Reichsstatthalter hat der Herr Reichskanzler eindeutig festgestellt, daß die deutsche Revolution abgeschlossen ist. (…) Die NSDAP ist damit der alleinige Träger des Staates geworden. Alle Macht dieses Staates liegt in den Händen der von dem Herr Reichskanzler allein geführten Reichsregierung, in der alle entscheidenden Ämter mit zuverlässigen Nationalsozialisten besetzt sind.“ Damit sei nun die „siegreiche deutsche Revolution“, die Frick auffälligerweise nicht als „nationalsozialistische Revolution“ bezeichnete, in das Stadium der „Evolution“ übergegangen. In einer späteren Rede sagte Hitler, was er damit meinte: „Revolutionen beseitigen nur Machtzustände. Die Evolution allein verändert Sachzustände.“ (Rede am 5.9.1934)

Offensichtlich diente die gesamte Ankündigung einerseits der Einschüchterung des sozialrevolutionären Flügels der Partei, der über eine zweite Revolution den radikalen Umbau der Gesellschaft und eine massive Umverteilung wollte, andererseits aber auch der Beruhigung der bürgerlichen und kapitalistischen Kräfte, die nun ohne Störung durch linken Klassenkampf ihre wirtschaftlichen Ziele verwirklichen wollten. Hitler hatte in einer Rede am 6.7.33 die Befürworter einer zweiten Revolution drastisch gewarnt: „Wir lassen keinen Zweifel darüber, dass wir einen solchen Versuch, wenn nötig, in Blut ertränken würden.“

Flick drückte das in seinem Brief etwas zurückhaltender aus: „Wichtigste Aufgabe der Reichsregierung ist es nunmehr, die in ihr vereinigte totale Macht geistig und wirtschaftlich zu untermauern. Diese Aufgabe wird jedoch auf das schwerste gefährdet, wenn weiterhin noch von einer Fortsetzung der Revolution oder von einer zweiten Revolution geredet wird. Wer jetzt noch so redet, muß sich darüber klar sein, daß er sich damit gegen den Führer selbst auflehnt und dememtsprechend behandelt wird.“

Solche Äußerungen würden die Wirtschaft, „die dank der von der Reichsregierung zur Lösung des Arbeitslosenproblems getroffenen Maßnahmen in erfreulichem Wiederaufbau begriffen ist“, in seiner Gesamtheit schädigen. Die Aufgabe der Reichsstatthalter sei es ebenfalls, zu verhindern, daß irgendwelche Organisationen oder Parteistellen sich künftig noch Regierungsbefugnisse anmaßen. Andererseits bestehe immer noch die Gefahr, das Kommunisten und Marxisten versuchen werden, sich in NS-Organisationen einzuschleichen, „um unter ihrem Schutze die deutsche Wirtschaft fortgesetzt zu beunruhigen und der Regierung der nationalen Revolution Schwierigkeiten zu bereiten.“ Die neue Parole war also: Den Nationalsozialismus weiterhin durchsetzen und Hitlers Ziel, die Arbeitslosigkeit abzubauen, nicht durch sozialistische Träumereien zu torpedieren.

Der im tschechischen Exil erscheinende Neue Vorwärts schrieb zur Lage in Deutschland: „Adolf Hitler besitzt heute eine Macht, wie sie kein deutscher Kaiser, ja, kein russischer Zar besessen hat. Deutschland ist heute die vollkommenste Despotie der Welt.“ Und zur konkreten Situation der Menschen: „Auf den Türmen der Kirchen flattern die Hakenkreuzfahnen. Durch die Büros, die Kontore, die Betriebe schleichen die Horcher. Sie spitzen die Ohren und lauschen, ob sich nicht irgendwo ein Geflüster erhebt, das den neuen Herren gefährlich werden könnte. Nichts ist im Dritten Reich so groß, wie die Angst vor der Wahrheit.“

Doch ein Stück der Wahrheit war die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen mit bewußt geschlossenen Augen vor den brutalen Gegebenheiten an dem Aufstieg Deutschlands beteiligen wollten; jetzt am Beginn der Nazi-Diktatur, wer sollte da schon deren Ende denken? Zudem gab es doch schon Anzeichen, dass sich soziale und wirtschaftliche Bedingungen zum Besseren kehrten. Die NS-Frauenschaft finanzierte kostenlose Ferienaufenthalte von 80 Wolfenbütteler Kindern auf dem Lande, deren Eltern in erster Linie der NSDAP angehörten; allerdings konnten auch Sprößlinge kinderreicher Familien, die nicht der Partei angehörten, berücksichtigt werden.

Allerorten richteten die Behörden nach und nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein. Die NSDAP-Gauleitung rief Anfang Mai alle arbeitslosen Parteigenossen mit einer Mitgliedsnummer von 1 bis 100.000 auf, Bewerbungsunterlagen für einen Arbeitsplatz einzureichen. Die Landtagsfraktion habe es sich zur Aufgabe gemacht, bis zum 15. Juli Arbeit zu beschaffen. Im August meldete die Lokalzeitung einen starken Rückgang der Erwerbslosigkeit. Es sei gelungen, von 3189 Erwerbslosen im Landkreis seit Februar 1318 wieder in die arbeitende Bevölkerung einzureihen. 27 Gemeinden seien vollkommen frei von „Wohlfahrtserwerbslosen“ und in weiteren 27 Orten gäbe es höchstens 1 – 2 Hilfeempfänger. Der Staatssekretär für den Arbeitsdienst gab zudem bekannt, dass ab 1. Januar 1934 eine Arbeitsdienstpflicht gelte. Eingezogen werden sollte zunächst der Jahrgang, der 1934 das 19. Lebensjahr vollendet. Das „Arbeitsdienstheer“ werde voraussichtlich 350.000 Mann umfassen. Arbeitsprojekte gäbe es genug; zum Beispiel könnten im Bereich der Bodenverbesserungsarbeiten „auf mindestens 10 Jahre bis zu 900.000 Mann eingesetzt werden“. Ein anderer mit Arbeitsbeschaffung beauftragter Organisationsleiter gab bekannt, dass bis zum 1. Juli 100.000 Mann, eventuell mehr, „in geschlossenen Arbeitsdienstlagern der NSDAP stehen“ werden. Darin stecke eine unendliche Mühe und Vorarbeit, z.B. mit den Gemeinderäten, um in einem Dorf „nur 100 Mann“ Arbeit zu beschaffen.

Die Lokalzeitung schlug vor: Angesichts des niedrigen Wasserstandes der Oker ließe sich z. B. anhand der den Wasserfluß hemmenden Schlammbänke erkennen, warum es nach schweren Regenfällen zu Überschwemmungen käme: „Wäre die Entfernung dieses Schlammes nicht eine dankbare Aufgabe für den freiwilligen Arbeitsdienst?“ Einen besonderen Vorschlag zur Arbeitsbeschaffung machte der Wolfenbütteler Friseur Adolf Friese, von dem die WZ ein Gedicht veröffentlichte:

„Wenn Du Arbeit hast und Brot, dann kennst Du keine bittre Not;
und hast Du volle Arbeitszeit, so leiste keine Schwarzarbeit.
Laß des Führers Werk gelingen, und kaufe keine Rasierklingen.
Beim Friseur laß Dich rasieren, Haare schneiden, Kopf massieren.
Auch’s Handwerk hat ein Recht zum Leben,
Du brauchst ihm dieses nicht zu nehmen.
Drum merke Dir dies Wort der Zeit und leiste keine Schwarzarbeit.“

Das Handwerk, das nach Ansicht des Führers des neuen „Reichstands des deutschen Hand-werks“, Dr. von Rentelen, für sich in Anspruch nahm, „zu einem großen Teil aktiver Träger der deutschen Erhebung gewesen zu sein“, sandte Hitler eine Ergebenheitsadresse und „gelobte dem Führer unlösbare Gefolgschaft und unwandelbare Treue.“

In Wolfenbüttel traf sich kurz danach die Friseur-Innung, um die Gleichschaltung vorzuneh-men. Zwar trat der Vorstand zurück, aber da der Obermeister den Nazis offenbar genehm war und er selber von einer weiteren Führung der Innung keinen Abstand nehmen wollte, hob man ihn wieder ins Amt. Vor Kollegen aus fast allen Orten des Landkreises pries er die neue Regierung, „die unter des großen Volkskanzlers Führung Verständnis für den gewerblichen Mittelstand zeige, indem der Führer Adolf Hitler ein Kommissariat für das Handwerk errichte“. Und nach seiner Wiederwahl betonte er, dass es ihm nicht nur eine Pflicht sei, son-dern eine Selbstverständlichkeit, mit aller Energie zur Durchführung zu bringen, was der Reichskanzler für das Handwerk Gutes zu tun gedenkt.“

1993 trafen sich im Wolfenbütteler Schloß die Mitglieder der Elektro-Innung, um das 60jährige Jubiläum ihrer Organisation zu begehen. Der seinerzeitige Obermeister Albert Ahäuser erläuterte, die Elektro-Innung sei Mitte 1933 gegründet worden. Sein Kollege, Kreishandwerksmeister Gerhard Bormann, schrieb dann die Geschichte um und bezeichnete die damaligen Elektromeister als tapfere Männer: 1933, in „einer Zeit der Auflösung von Parteien, Organisationen und Verbänden“, habe es Mut erfordert, eine Innung zu gründen. Eine Auslegung, die bar aller Realität ist.

Die Lokalzeitung berichtete im Oktober 1934: „Auf Grund des Gesetzes vom 29.11.1933 über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks usw. sind mit dem 1. Oktober im Kreise Wolfenbüttel, nachdem die bestandenen Innungen geschlossen sind, die folgenden Innungen errichtet.“ Es folgt die Liste der Innungen, darunter auch die Elektroinnung mit dem oben als mutig bezeichneten Obermeister Willi Schrader. Wer 1934 in Wolfenbüttel Innungsobermeister war, muß von der lokalen NSDAP schon als aufrechter Mitstreiter angesehen worden sein, und schon gar nicht mutig gewesen sein.

In einer Arbeitstagung des Handwerks im Januar 1935 erzählte der Vertreter des Handwerks-kammer-Präsidenten seinen Obermeistern, was sich die Führung unter einer Innung vorstellt: „Betrachten sie die Organisation niemals als Interessenvertretung, sondern als eine Organisa-tion, die lediglich den Willen des Führers auf dem ihr zugewiesenen Gebiet vollzieht und ihm an seinem Aufbauwerk zu helfen hat.“ Danach erhielten die Obermeister (zu diesem Zeitpunkt war Schrader auch noch Obermeister) die „Führerabzeichen“.

Doch zurück zu den Friseuren:.Was der Führer erwartete, setzten sie nun in praktische Arbeit um und veröffentlichten schon bald das „nationalsozialistische Arbeitsprogramm des deutschen Friseurs“: Der Friseur von heute sei verpflichtet, tätig und täglich für den Geist des neu erwachten Deutschland einzutreten. Wegen der unklaren Frage der zukünftigen Frisurgestaltung habe das Friseurhandwerk auf seinen letzten Tagungen in Dresden, Leipzig und Stuttgart Richtlinien erstellt, „Damit die Frau nicht in Konflikt gerät mit der nationalen Geistesänderung. Die Frau, hier reger und intensiver als der Mann, wolle und müsse sich der neuen inneren Situation anpassen. Das sei jedoch nicht rückwärts gemeint in Richtung einer Zopfknotenfrisur: „Schön, zweckvoll und deutsch soll die Frisur, soll die Mode ein Reich der Schönheit und der Zeckform werden, ein Reich, in dem Anmut herrscht.“ Keinesfalls aber kämen männliche Frisuren in Betracht, denn Frau Goebbels habe gesagt: „Die Männer sind sehr männlich in Deutschland, darum müssen die Frauen so weiblich sein wie nur irgend möglich.“

Ein paar Tage später konnten die Friseure den Leserinnen der WZ Genaueres mitteilen: „Die deutsche Frisur selbst stellt die Halslinie als eine weibliche Schönheitslinie heraus. (..) Die Seitenteile der Frisur werden wiewohl in in Wellenlagen gegliedert, anliegend gehalten, um einen schmalen Gesichtsausdruck zu unterstützen, der der deutschen Rasse im allgemeinen eigen ist.“ Doch die Friseure hatten nicht nur die Unterstützung ihres Führers im Auge, sondern auch ihr Geschäft: „gerade rechtzeitig zu Beginn der Herbst- und Wintersaison ist, wie die deutsche Kleidmode, nun auch die deutsche Frisurmode fertiggestellt worden. Die deutschen Friseure haben die Richtlinien und Modelle bereits in Händen, und es liegt nunmehr an der deutschen Frau, baldmöglichst für die Wintersaison, in der sie nach den Grundsätzen der „Deutschen Mode“ sich tragen wird, zum deutschen Kleid sich auch eine deutsche Frisur fertigen zu lassen.“

Trotz Deutschtums-Frisur nahmen Friseure auch an internationalen Wettbewerben teil. In der neuen Sprache hieß das dann so: „Und gilt es, Können und Fleiß im friedlichen Wettstreit gegen internationale Konkurrenz unter Beweis zu stellen, dann schickt es seine „Soldaten“ ins Feld – und siegreich kehren sie zurück, bereiten dem deutschen Handwerk Ruhm und Ehre.“ Der deutsche Frisuer, „dessen innige Verbundenheit mit dem Volke in der Natur der Sache liegt, ist der Gewährsmann für die Gestaltung echter deutscher Schönheit“.

Erst ziemlich spät, im August, hielt der Hausfrauenverein eine Hauptversammlung ab, um im Sinne der Gleichschaltung die Neuwahl des Vorstandes vorzunehmen. Alle Vorstandsmitglie-der traten zwar zurück, traten aber mit Ausnahme zweier Frauen zur Neuwahl an. Erste Vorsitzende wurde Frau Goeze, zur Stellvertreterin wählten die Frauen die Gattin des Kreisdirektors, Frau Hinkel. Anschließend hielt Frau Hindenberg-Dellbrück einen „fesselnden Vortrag über die engen Beziehungen der Hausfrauenvereine zum Nationalsozialismus“. Als Beispiel führte die Rednerein den seit langem geführten Kampfgegen die Warenhäuser an, das Einsetzen für den Mittelstand, für das Handwerk und für die Landwirtschaft“. Fazit der Referentin: „Wir befinden uns mit der NS-Frauenschaft in glücklicher Übereinstimmung.“

Den Friseuren standen die Fleischer nicht nach. Am 8. Mai 33 veranstalteten sie den 40. Bezirkstag der braunschweigischen Fleischerinnungen im Beisein der lokalen Prominenz. Der Bezirksvorsitzende, Obermeister Wilhelm Rollwage, betonte, national sei der Fleischer schon immer gewesen und habe stets Gut und Blut geopfert, wenn es das Vaterland verlangt habe: „Heute wollen wir wieder geloben, am Aufbau des deutschen Vaterlandes mitzuarbeiten und mit dem Volkskanzler durch dick und dünn gehen.“ Die Begeisterung wurde jedoch getrübt durch die bekanntgewordene Absicht, eine Schlachtsteuer einzuführen. Hierin sahen die Fleischer eine unzumutbare Belastung und verabschiedeten deshalb eine Entschließung, in der sie die Steuerabsicht als unsozial und existenzgefährdend bezeichneten. Und weil sie gerade dabei waren, auch für sich Vorteile herauszuholen, forderten sie in einer weiteren Stellungnahme die Senkung der gebühren für Gas, Wasser, Elektrizität und Vieh- und Schlachtgebühren auf das Niveau von 1914. Der gesamte Vorstand, der zurückgetreten war, konnte wiedergewählt werden, da alle Mitglieder der NSDAP beigetreten waren. Nach dem offiziellen Teil feierte man in Antoinettenruh bei guten Speisen und patriotischen Reden, Vorträgen des Frauenchors der Fleischer und Turnvorführungen des MTV, das Jubiläum. Rollwage zum Schluß: „So schön ist es noch nie gewesen.“

Nicht überall klappte die Gleichschaltung zur vollsten Zufriedenheit. Weil es bei den Ziegen-zuchtvereinen Probleme gab, trafen sich der Gleichschaltungsbeauftragte und Kreisausschußmitglied Flügge und der Landwirtschaftswart Dr. Veickt zu einer Besprechung in der Kreisdirektion. Die Kreisdirektion vermerkte am 8. Juni 1933: „In den Vereinen, wo nur Mitglieder des Stahlhelm, also keine Parteigenossen Mitglied sind, kann der Vorstand aus Mitgliedern des Stahlhelms bestehen. Nach Möglichkeit soll allerdings in Anlehnung an die Bestimmungen des Reiches versucht werden, einen Nationalsozialisten zum 1. Vorsitzenden zu machen. Wo man sich weigert, soll von der Behörde ein Kommissar eingesetzt werden, der aber nicht in das interne Vereinsleben eingreifen soll. Wenn zum Beispiel, wie im Falle Dettum, zum 1. Vorsitzenden ein ehemaliger Marxist gewählt ist, aber die anderen Vorstandsmitglieder Nationalsozialisten sind, so ist die Majorität durch die Nationalsozialisten vorhanden und der ehemalige Marxist kann Vorsitzender bleiben. Es ist allerdings Bedingung, daß auch der 1.Vorsitzende die Majorität wahrt, andernfalls er durch die Aufsichtsbehörde seines Postens enthoben wird.“ Der nationalsozialistische Staat gab sich – vielleicht im Sinne der Ziegen – kompromißbereit, wenn mindestens 51 % der Vorstandsmitglieder der NSDAP angehörten.
Der Ziegenzuchtverein Halchter konnte der Kreisdirektion am 26. Juni melden, dass er im obigen Sinne gleichgeschaltet worden sei; schwieriger war es schon im Nachbardorf Neindorf, wo der Verein neu gegründet werden sollte, da es nur noch einen einzelnen Bockhalter gab. In Wolfenbüttel dagegen konnte eine Wahl nicht stattfinden, da es unter den Mitgliedern nicht genügend NSDAP-Mitglieder gab.

Die Wolfenbütteler Zeitung versuchte, den Gleichschaltungsabsichten der Nazis in den deutschen Amtsstuben das Beamtenrecht aus dem Jahr 1873 entgegenzusetzen. In einem Kommentar auf der Titelseite gab sie einem Reichstagsabgeordneten der DVP die Möglichkeit, die Umwälzungen zu kommentieren. Er erinnerte an die Stabilität des Beamtentums nach den Umwälzungen, die dem Ende des Ersten Weltkrieges gefolgt waren: „Die Revolutionäre konnten die politische Macht erobern, konnten Minister und politische Beamte stellen – an die Verwaltung konnten sie nicht heran.“ Dieses allen Umwälzungen trotzende Beamtentum wollte der Abgeordnete nun auch unter Hitler bewahren. Die Naivität des Abgeordneten war unfassbar. Schon im April war das Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verabschiedet worden, mit dem alle missliebigen und vor allem jüdische Beamte aus ihen Positionen entfent werden konnten. Die Nazis durchsetzten die Verwaltungen mit Männern, die schon vor 1933 der NSDAP beigetreten waren. Etwa 30.000 Männer und Frauen mußten aufgrund des Gesetzes ihren Arbeitsplatz verlassen.

Quellen:
Wolfenbütteler Zeitung (WZ)
Braunschweiger Zeitung (BZ)
Braunschweigische Tageszeitung (BTZ)
Neuer Vorwärts
Zentner/Bdeürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches, München 1985
Rühle, Gerd, Das Dritte Reich, München 1934
Kuessner/Saul (Hrsg.), Die ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig und der Nationalsozialismus, BS 1982
Evangelisches Gemeindeblatt (Wolfenbüttel), Juli 1933
Pollmann, Klaus Erich (Hrsg.), Der schwierige Weg in die Nachkriegstzeit, Göttingen 1994 Niedersächsischer Erzieher, Nr. 1-2
Pohle, Willi, 75 Jahre Geschichte des MTV Wolfenbüttel, erschienen 1935
Kammer, Bartsch (Hrsg.), Jugendlexikon Nationalsozialismus, rororo-Taschenbuch 6288
Kamps neues Realienbuch für Schule und Haus, Bochum 1937