Hitler-Jugend, NS-Frauen und ein “Freiheitsheld“
Die Keimzelle der Braunschweigischen NSDAP war ein Haus gegenüber der Wolfenbütteler Hauptkirche. Die Organisation der Braunschweigischen Jungnazis, also der Hitlerjugend, wurde Ende Mai 1928 kurz vor der Reichstagwahl in Börßum gegründet. Die Gruppe, vom damaligen NSDAP-Bezriksleiter Kurt Schmalz gegründet, war die erste organisatorisch geordnete Hitlerjugend im Gau Hannover-Braunschweig. Sie gilt als beispielhaft für ganz Niedersachsen und hat den weiteren Aufbau inspiriert. Anfang August rief Schmalz die Hitlerjugend im benachbarten Thiede ins Leben. Am 15. August 1928 gründete er im Klubzimmer des Gasthauses Schneider (Husarenheim, “Saarplatz 19“) die Wolfenbütteler Hitlerjugend. Dabei waren die Brüder Bruno und Bernhard Milzer. Anläßlich einer Kundgebung in Lobmachtersen wurde ein erster Wimpel geweiht. Die Weihe erledigte der berüchtigte Pfarrer von Borkum und offizielle NSDAP-Redner, Pastor Münchmeyer.
Am 29. und 30. April fand in Wolfenbüttel eine Führertagung des Stammes Braunschweig-Wolfenbüttel-Land statt. Aus allen Teilen des Stammes trafen Stammführer in der Stammgeschäftsstelle ein. Der Jungzugführer Milzer begrüßte die Führer mit “passenden Worten“. Aus den folgenden Berichten der einzelen Führer ging hervor, “daß überall ein ungeheurer Zulauf zum Deutschen Jungvol besteht, der nur noch durch eine bis ins kleinste durchorganisierte Führerschaft zu bewältigen“ sei. Stammführer Kurt Borchert erinnerte daran, dass vor zwei Monaten nur ein kleines Häuflein bestanden hätte: “Heute aber ist daraus ein Stamm von 800 Jungen geworden und wir wollen in diesem Sinne weiterkämpfen und in wieder zwei Monaten darf es in unserem Stamm nur noch nationalsozialistisches Deutsches Jungvolk geben“. Den Abschluß der Tagung bildete ein “gewaltiger Propagandamarsch durch die geschmückten Straßen Wolfenbüttels“.
933 war der Wolfenbütteler Stamm der HJ in drei Fähnlein aufgeteilt. Stammführer war Fritz Warnecke. In einem Aufruf zum Eintritt in die Jugendbewegung des “nationalsozialistischen Volksstaats“ informierte die WZ im August 1933 neben dem “Lied der Hitler-Jugend“ über deren Struktur: “Da ist zunächst die Sturmjugend, die die Jungs zwischen 15 und 20 erfaßt. Für die Jungszwischen 10 und 15 Jahren ist das deutsche Jungvolk der Hitler-Jugend, der Bund des deutschen Jungen. Für die Mädel ist der Bund deutscher Mädel und in den Betrieben kämpfen die nationalsozialistischen Jugendbetriebszellen.“
„Das Lied der Hitler-Jugend
Es dröhnen Trommeln durch das Land,
Die Trommeln der HJ.
Die Fahne weht in unserer Hand –
Die Fahne ist das Vaterland,
Ihr Feind muß aufs Schafott.
Wir glauben fest an unser Los.
Heil Adolf Hitler, Dir!
Und gibt man uns den Todesstoß,
Wir machen dennoch Deutschland groß –
Wir Kameraden, wir.
Als Hitlerjungen schlug man tot
Die Besten der Nation,
Wir sind das letzte Aufgebot
Und tragen Fahnen, blutig rot
Für Deutschlands größten Sohn.“
Anfang Juni erlebte Wolfenbüttel den Aufmarsch des Jungvolkes. Die Hitlerjugend aus den Bezirken Wolfenbüttel und Helmstedt durchzogen Pfingsten Wolfenbüttels Straßen. Am Pfingstmontag fand bereits um 9 Uhr auf der Meesche ein Feldgottesdienst statt, an dem Pastor Kiel (Trinitatiskirche) eine Predigt nach dem Bibelwort hielt: “Sie sind meines Geistes.“ Er mahnte die Jugendlichen: “Einig sein, heiße stark sein. Wir sind auf dem besten Wege, ein Volk zu werden; der deutschen Jugend ist in diesem Bestreben ein großes Stück Arbeit zugewiesen.“ Dies zu erfüllen, habe sie nun gelobt. Gauleiter Kurt Schmal schritt später die „Front des Jungvolks“ und hielt auf dem Schloßplatz eine Rede und forderte die Frauen auf, ihre Söhne in die Organisationen der NSDAP zu schicken: “Wir haben nur einen Begriff, und der heißt Deutschland.“ Jungvolkführer Schievelhöfer legte ein Gelöbnis zu treuer Mitarbeit am “Aufbau des neuen Reiches“ ab: “Keine Macht wird imstande sein, uns von Adolf Hitler zu trennen, und wir wollen arbeiten und kämpfen für unser deutsches Vaterland, wie unsere alten braunen Kämpfer.“
Die Mütter, die ihre Söhne in die Hitlerjugend schicken sollten, erhielten im Nazireich eine besondere Aufwertung zur Lebensträgerin der Nation. Am Muttertag, dem 14. Mai 1933, stiftete die Braunschweigische Landessparkasse kinderreichen Familien Sparbücher mit einer Einlage von je 50 Reichsmark. Überall entstanden die NS-Frauenschaften, deren Wolfenbütteler Führerin zunächst Frau Milzer war. Sie begrüßte anlässlich des ersten großen öffentlichen Unterhaltungsabends ihrer Organisation Wolfenbütteler Frauen – jüdische Wolfenbüttelerinnen hatten hier natürlich keinen Zutritt – in Leistes Festsaal und gab gleich einige programmatische Hinweise, veröffentlicht in der WZ: “Jeden ersten Donnerstag im Monat etwa plane man einen solchen unterhaltenden Abend, zu dessen Mitwirkung durch künstlerische und andere Darbietungen geeignete Personen freundlichst gebeten seien. Auch die Frau könne auf diese Weise zu der vom Führer Adolf Hitler vorgezeichneten Volksgemeinschaft zweckst Überbrückung der Klassengegensätze ihr gutes Teil beitragen.“ Und das machten dann anschließend einige Damen aus Wolfenbüttel: “Nachdem Frl. Flores mit starker Empfindung ein von Annacker dem Volkskanzler gewidmetes Gedicht vorgetragen und der NS-Frauenchor unter Frl. Selwigs Leitung bekenntnisfreudig ein “Führerlied“ zu Gehör gebracht, hielt Frau Dr. Engeland auf Grund jahrelanger eigener Erfahrungen in Übersee einen anschaulich aus persönlichem Erleben genährten Vortrag über “Unsere Kolonien“.“ Mehrere Gesangsvorträge begleitete Frau Dr. Hinkel, Gattin des Landrates: “Aus dem reichen Born des des deutschen Volksliedes schöpfte der NS-Frauenchor, der jetzt schon über eine stattliche Anzahl verlässlicher Stimmen verfügt.“ Der Abend schloß mit einer Rezitation:“ Der Sprechchor des weiblichen Arbeitsdienstes gab in einer wuchtigen Zeitdichtung (“Die Not hat gehämmert ein hartes Geschlecht“) dem herben Freiheitsverlangen und der nationalen Sehnsucht der jungen Generation packend Ausdruck.“ Zur gleichen Zeit verschickte die NS-Frauenschaft 80 Wolfenbütteler Kinder für die Dauer des Monat Juli zur Erholung, dreißig im Landkreis Wolfenbüttel und fünfzig in den Landkreis Gifhorn: “Die Unterbringung geschieht völlig kostenfrei, lediglich für den Transport ist ein geringer Betrag zu entrichten. In erster Linie werden Kinder von Mitgliedern der NSDAP berücksichtigt, aber es kommen auch Angehörige von kinderreichen Familien, die nicht in die Partei eingeschrieben sind, in Betracht.“
Einige Wochen später hielt Kreisleiter Lehmann vor 400 Wolfenbütteler Frauen einen Vortrag und entwickelte die Aufgaben der Frau im nationalsozialistischen Staat: “Sie sind verpflichtet, deutsches Volkstum zu pflegen in der Erziehung der Kinder. Die Familie ist die Zelle des heutigen Staates.“ Die Frau solle auch wieder die “Göttin des Hauses“ sein, ein Vorbild für die heranwachsende Jugend, “indem sie den deutschen Frauen früherer Zeiten mit ihrem weichen Gemüte nachlebe.“
“Packende“ Reden mit nationalsozialistischem Ausdruck hielt bis zum Ende dieser furchtbaren Zeit in der Braunschweiger Region und weit darüber hinaus auch in Niedersachsen eine NS-Funktionärin (Gaupropagandaleiterin und Gauamtsleiterin), die aus Schöppenstedt stammte. Meta Mischka-Grahé, in einer von der Samtgemeinde Schöppenstedt 2005 herausgegebenen Chronik, wird hier als harmlose (weltberühmte) Opernsängerin vorgestellt. Der Autor, Ekkehard Thon, hat offenbar bewusst darauf verzichtet, ihre wirkliche Rolle als rassistische Frauenfunktionärin von 1933 – 1945 darzustellen. Dafür zitierte er allerdings einige zusammengestoppelte eindeutige Abschnitte aus ihrem 1983 erschienenen und dem Gauleiter-Stellvertreter Kurt Schmalz gewidmetem Erinnerungsbuch “Spiel es Lebens“. Auf Seite 33 beschreibt sie kurz ihren Besuch in einem Berliner Café am 2. August 1914: “Rund um mich sitzen Juden mit ihren Frauen und sprechen vom Geschäft, das Schaden nimmt. Hergott, ich möchte dazwischen hauen! Das Schicksal des Vaterlandes und seiner Millionen Menschen steht auf dem Spiele und diese Gesellschaft spricht vom Geschäft. Das halte ich nicht aus!“
Kritik an dieser vollkommen unkritischen Darstellung der Nazizeit lässt den Bürgermeister der Stadt Schöppenstedt, Karl-Heinz Mühe SPD, sowie seine Kollegin im Amt der Samtgemeindebürgermeisterin schon seit Jahren unbeeindruckt. (E. Thon hat schon mehrere Chroniken herausgegeben, in denen die Nazizeit beschönigt wird. Die Bürgermeisterin der Samtgemeinde Schöppenstedt, Ruth Naumann SPD, schrieb dem Autor im April 2006 nach einer Kritik an den Chroniken: “Herr Thon hat diesbezüglich das volle Vertrauen der Stadt.“) Zitat von Mischka-Grahé aus der BTZ 1935: “Die schwerste Zeit aber sei die nach dem Kriege gewesen, als unsere tapferen Heere ungeschlagen zurückkehrten. Der Krieg mit all seinen Leiden auch für die Frauen sei nicht so schwer gewesen, als die Schande der folgenden Jahre. Da hätten wir gebetet: Herr, gib uns einen Führer, der uns aus dieser Not hinausführt. Und dieses Gebet sei erhört worden. In Adolf Hitler sei uns der Retter geschenkt worden, einer der tapfersten und reinsten Kämpfer auch im Weltkriege.“
Von Mischka-Grahé stammt auch ein Aufruf zum Muttertag am 12. Mai 1935: “Mutter des Volkes. Mitten hinein in den lachenden Frühling hat das deutsche Volk den Tag der Mutter gestellt. Neues Leben bringt uns die Natur. Mutter Erde legt ihr Hochzeitskleid an, deutsches Land ist in jungfräulicher Blüte verschwenderisch geschmückt, selig bereit, sich einem neuen Leben zu erschließen.
Still, mahnend – wandert durch dieses ewig neu werdende Land eine ernste, heilige, zeitlose Gestalt, mit tausend Wunden bedeckt die sie durch Jahrhunderte trägt. Stolz und frei ist ihr Geist, groß und rein ihre Seele. Weit breitest Du Deine Arme aus, Dein Herz brennt in heißer Liebe zu Deinen Kindern. Viele Schmerzen trugest Du – Mutter Germania.
Durch Höhen und Tiefen bist Du mit Deinen Kindern gegangen – Mutter Germania.
Not, Elend, Schande, Schmach zerrissen Dir fast das Herz. Viele Deiner Kinder wollten nichts mehr von Dir wissen; Deine Seele litt tausend Qualen – Mutter Germania.
Still schreitest Du durch Dein Land, breitest den Mantel Deiner Liebe aus, die alle Deine Kinder umschließt.
Deinen Töchtern aber hast Du den Auftrag gegeben: Erbe zu hüten als Mutter des Volkes – Allmutter Tränen zu trocknen, Wunden zu heilen, Trost zu spenden, Liebe zu geben, Stolz zu zeigen, in Güte zu walten, Dein Deutschland.“
Eng verbunden mit der Hitler-Jugend war der von den Nazis zu einem ihrer Helden erhobene Leo Albert Schlageter, der am 26. Mai 1923 auf der Golzheimer Heide bei Düsseldorf von französischem Besatzungsmilitär hingerichtet wurde. Der Freikorpskämpfer, beteiligt an der Niederschlagung kommunistischer Aufstände in Schlesien und dem Ruhrgebiet, Mitglied des NSDAP-Ablegers Großdeutsche Arbeiterpartei, hatte durch Sabotageakte versucht, den Transport von Reparationswaren aus dem Rheinland nach Frankreich zu verhindern. Ein Spitzel in den eigenen Reihen verriet ihn an die französischen Besatzungsbehörden. Die Nationalsozialisten machten aus ihm einen Märtyrer und Volkshelden, zu dem ersten Blutzeugen des Dritten Reiches. (Hitler erwähnt Schlageter in seinem Buch “Mein Kampf“ bereits auf der zweiten Seite. Hanns Johst bezeichnet in seinem Drama “Schlageter“ den “Märtyrer“ als den letzten Soldaten des (Ersten)Weltkrieges und als den ersten des Dritten Reiches.)
Anläßlich des zehnten Jahrestages seiner Hinrichtung fanden beinahe im ganzen Deutschen Reich Erinnerungsfeiern statt, an denen auch die hohen Chargen der Nazis und der Reichsregierung teilnehmen. Im Wolfenbüttteler Lessingtheater führte das Landestheater das Schlageter-Heldendrama von Hanns Johst auf. Der Rezensent, Kurt Meyer-Rotermund sah in dem “ewigen Soldaten“ einen Nachfahren Hamlets, “deutsche Wehrhaftigkeit und den Willen zur volkhaften Selbstbehauptung“. Der Rezensent der BTZ schrieb: “Hanns Johst lässt in Schlageter die ganze Schwere der Verantwortung und Entscheidung jener Tage ringen, erlässt ihn vom heligen Feuer beseelt gleich einem Priester sein Opfer vollziehen, er erhebt ihn so über die Größe und Wirklichkeit seiner Tat hinaus in eine Sphäre mythischer Verklärung.“
Am 13. August wurde auf einer Waldlichtung der Lichtenberge bei Salzgitter ein Schlageterdenkmal geweiht. Die Amtswalter trafen sich um 10 Uhr zur Befehlsausgabe durch Kurt Schmalz, der die in München bekanntgegeben Richtlinien für den weiteren Kampf bekannt gab. Um 12 Uhr folgte ein Festgottesdienst mit Pastor Beye, dem zukünftigen Landesbischof. Dieser SA-Pastor zitierte Hitler: “Wer leben will, der kämpft, und wer nicht kämpfen will in dieser Welt verdient das Leben nicht. Wer Führer sein will, muß Charakter haben. Er schloß den Gottesdienst mit den Gebeten “Deutschland erwache“, “Herr mach uns frei“ und dem “Vater unser“.“
Um 14 Uhr schloß sich eine Fachversammlung von Bauern aus den Kreisen Wolfenbüttel, Helmstedt, Braunschweig und dem Amtsbezirk Bad Harzburg an. Nach dem Marsch zum Burgberg hielt Ministerpräsident Klagges vor den versammelten NS-Organisationen SA, SS, Amtswalter, Hitlerjugend Bund deutscher Mädel, der Standartenkapelle 46 und vielen anderen Menschen nach einem Liedvortrag (Der neunte Armeemarsch.) des Wolfenbütteler NS-Frauenchores eine Rede. Er zitierte den NS-Vorkämpfer General Litzmann, der von seiner Mutter im Kriege 1870/71 einen Brief mit dieser Aussage erhalten habe: “Daß Du wiederkehrst ist nicht notwendig, wohl aber, daß Du Deine Schuldigkeit tust.“
In Wolfenbüttel wurde Ende Mai im Schloß durch den Stadtrat und die Kriegsopferversorgung ein “Albert-Leo-Schlageter-Heim“ mit dem Zweck eingerichtet, Kriegerwaisen und Kindern von Schwerbeschädigten sowie von “verdienten Kämpfern“ ein um 40 % verbilligtes Studium am Technikum zu ermöglichen. Später wurde das Heim in das ehemalige Genesungsheim verlegt. In Flechtdorf war bereits 1932 ein Schlageter-Heim der Hitlerjugend eingeweiht worden. Der Volksfreund bezeichnte die Sprengstoffattentate der Leute um Schlageter als sinnlos und machte deutlich: “Teuflisches Gift in die Seelen der Kinder ist die Verherrlichung solcher gemeinen Verbrecher. (..) Wer hat noch den Mut, einen Landsknecht, der Mitglied der Fememordorganisation, Spitzel in polnischen Diensten und Attentäter war, als nationalen Freiheitshelden, als Vorbild für die Jugend hinzustellen?“
Schon bald nach der Erschießung Schlageters wurden an vielen Orten des Reiches Schlageter-Denkmäler errichtet. Das Schlageter-Denkmal in Schöppenstedt soll 1927 errichtet worden sein. Weil das darauf befindliche Malteserkreuz in ein Hakenkreuz umgewandelt worden war, soll der Findling 1945 an der Jasperstraße versenkt worden sein. Das Peiner Schlageter-Denkmal auf dem Luhberg war am 18. Oktober 1925 eingeweiht worden. Am 26. Mai 1989 legten hier Unbekannte einen Kranz mit der Aufschrift “Schlageter, von den Franzosen feige ermordet“ nieder. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Rechtsextremisten. Den Aufbau der Hitlerjugend im Gau und darüber hinaus in Norddeutschland beeinflußten vorrangig drei Männer: Kurt Schmalz, Karl Dincklage und Hartmann Lauterbacher.
Kurt Schmalz war von Beruf Konditor und 1906 in Frankfurt/Oder geboren. Er trat im Juli 1925 in die NSDAP ein, war SA-Mann, Ortsgruppenleiter in Kottbus und NSDAP-Bezirksleiter der Niederlausitz. 1928 kam er nach Wolfenbüttel und arbeitete in der Konditorei Lambrecht. Am 1. Mai wurde er Kreisleiter in Wolfenbüttel, später Bezirksleiter für Nordbraunschweig und 1930 Wahlleiter für den braunschweigischen Landtag und dessen jüngster Abgeordneter. Schmalz war Mitglied des Reichstages, von 1933 bis 1941 stellvertretender Gauleiter der NSDAP Hannover Süd-Braunschweig und danach Gauleiter des Gaues Wartheland. 1934 erschien bei Westermann in Braunschweig sein Buch “Nationalsozialisten ringen um Braunschweig“, das auch eine Liste der “alten Kämpfer“ der NSDAP dieser Region enthält – darunter 17 Namen allein aus Wolfenbüttel.
Schmalz war zeitweise ein enger Mitarbeiter des Gauleiters von Groß-Berlin, Joseph Goebbels, der auch mehrfach in Wolfenbütel zu Besuch war. Aufgrund seiner Aktiviäten um den Aufbau der NSDAP in der gesamten Region erhielt Schmalz den Spitznamen „Nazi-Häuptling von Braunschweig“. 1935 bekam er als erster Niedersachse das „Goldene Hitlerjugend-Ehrenzeichen“.
Hermann Bolm berichtete in seinem Hitlerjugend-Buch über Schmalz: „Wenn es in heftigen politischen Auseinandersetzungen auf den niedersächsichen Bauerndörfern oder in den damals roten Harzstädten nicht anders ging, nahm er die Faust zur Hilfe. In der Tat hat sich Kurt Schmalz nie gescheut, wenn es sein mußte, energisch dazwischenzuschlagen.“ An einer Schlägerei der Nazis im „roten“ Bergarbeiterdorf Wittmar hatten kurz nach der Reichstagswahl auch Mitglieder der benachbarten Börßumer Hitlerjugend teilgenommen. Nachdem aus Anlaß ausgerechnet des Lessing-Jahres 1929 die niedersächsische Hitlerjugend zu Ostern eine Sternfahrt nach Braunschweig organisiert hatte, marschierten am 2. Juni 60 Hitlerjungen durch Wolfenbüttel, die am ersten niedersächsischen HJ-Gautag teilnahmen.
Das o.g. Buch enthält eine spätere „wegweisende Rede“ dieses fanatischen Nazis. Einige Sätze sollen daraus zitiert werden: “Es ist, meine Kameraden, ein Glück gewesen für die nationalsozialistische Bewegung, daß die Jugend sich vorurteilslos einreihte in eine Gruppe von Menschen, die, mit Hitlers Gedanken beseelt, die Klassengegensätze zu überbrücken imstande war. Die Bewegung brauchte diese jungen Menschen, denn junge Nationalsozialisten werden immer, mit brutaler Rücksichtslosigkeit bis zum äußersten, der nationalsozialistischen Weltanschauung zum Durchbruch verhelfen.“
Schmalz geriet 1945 bis 1947 in britische Internierungshaft. Der Strafverfolgung entzog er sich 1950 durch mehrjährige Flucht. Er starb 1964 im niedersächsichen Krähenwinkel.
Mit Karl Dincklage besaß die hiesige NSDAP einen Mann, der sich bis zu seinem Tode uneigennützig und unermüdlich für die Neugründung und Stärkung der NSDAP im Lande Braunschweig – besonders in den Dörfern – eingesetzt hatte. Dincklage, Luftwaffenoffizier des Ersten Weltkrieges, “rackerte persönlich den ganzen Tag über in den Dörfern, klebte morgens Zettel, hielt abends Veranstaltungen in der Gastwirtschaft, übernachtete bei einem der Dorfbewohner und fuhr mit dem Fahrrad am nächsten Tag ins nächste Dorf.“ (Kuessner)
Er trug den Spitznamen“Rucksackmajor“. Als in Schöppenstedt am 26. Januar 1928 die NSDAP-Ortsgruppe gegründet wurde, war Dincklage dabei. Er hatte seine Propagandataktik dem Lebensrythmus der Landbevölkerung angepaßt: „Er begann seine Tätigkeit regelmäßig vor Tagesanbruch, weil er möglichst jeden Ortsbewohner ansprechen wollte. Dazu klebte er Plakate, die die Versammlungsankündigung enthielten, an zentralen Plätzen. Während des Tages bemühte er sich mit zahlreichen Einwohnern ins Gespräch zu kommen, wobei er wertvolle Informationen für seine abendlichen Vorträge erhielt. Als Versammlungsraum dienten ihm die Schankstuben der Dorfgasthöfe. Er sorgte sich nicht um Unterkünfte, sondern erbat regelmäßig nach Abschluß der Veranstaltung kostenfreie Aufnahme, die ihm bei der Gastfreundlichkeit der ländlichen Einwohnerschaft nicht versagt wurde. Auf diese Weise erfüllte eine einzelne Führungskraft ein billiges und sehr zweckmäßiges Werbeprogramm, das außerdem der NSDAP noch den Ruf der Volkstümlichkeit einbrachte.
Nach seinem Tod im Oktober 1930 machten die Nazis aus Dincklage einen niedersächsischen Helden. Das Parteimuseum der NSDAP in Hannover stellte sein Arbeitszimmer aus. Zum Erwerb des Hauses der Gauleitung, das seinen Namen tragen sollte, wurde eine Dincklage-Haus-Spende ins Leben gerufen. Schon mitten im Krieg 1940 gründete Gauleiter Lauterbacher das Karl-Dincklage-Werk als Hilfsinstitution für die Versorgung an der Front und im Land eingesetzter Soldaten und deren Angehörigen. Hitler kaufte für den Sitzungssaal der Gauleitung eine von dem Goslarer Künstler Bernd Günther bereits 1916 geschaffene Büste Dincklages. Kurt Schmalz rief alle Nationalsozialisten des Landes auf, im Zusammenhang mit Dincklage stehende Flublätter, Propagandaschriften, Fotos und sonstige Dokumente dem Gaupresseamt in Hannover zu überlassen.
Der Major starb am 7. Oktober 1930 in Davos. Die Urne mit seinen sterblichen Überresten wurde im Beisein Hitlers am 18. Oktober 1930 auf dem Braunschweiger Hauptfriedhof beigesetzt. Nachdem die hannoversche Standartenkapelle den Choral “Jesus meine Zuversicht“ gespielt hatte, hielt Pastor Jakobshagen eine “tief empfundene Grabrede“: “Seine echt deutschen, von tiefen religiösen Empfindungen durchwehten vom Herzen kommenden und zu Herzen gehenden Worte gingen aus von dem Pauluswort in dem Thimotheus-Brief: Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehabt.“ Der Volksfreund fragte in einem mit Hakenkreuzen versehenen Artikel und einem Foto mit Hitler vor der Friedhofskapelle, wie es sich zusammenreime: “Kirche und Hakenkreuz. Der bibelgläubige Kirchenchrist ist der meinung, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn (und nach der “heiligen Schrift“ von “Davids Stamme“) ist. Der moderne liberale Theologe hält Jesus für einen jüdischen Religionssrifter. Beide studieren und ehren die von jüdischen Schriftstellern verfassten 4 Evangelien. Die modernen Kirchendiener aber verbinden sich mit dem judengegnerischen Hakenkreuz! Wie reimt sich das zusammen?“ Sein Grab bedeckte ein “schwerer Findling aus niedersächsischer Heimat“. Nach dem Ablauf der Nutzungsrechte 1970 konnte das Grab 1973 neu belegt werden.
Neben dem Österreicher Adolf Hitler, dem Braunschweig die Deutsche Staatsbürgerschaft gewährte, stieg hier ein weiterer Österreicher auf vom Hitlerjugendführer zum fanatischen Gauleiter: Hartmann Lauterbacher, am 4. Mai 1909 in Reutte in Tirol geboren, engagierte sich schon sich schon ab 1923 als 14-jähriger im Sinne des Nationalsozialismus. In einer in der Nazizeit erschienen Kurzbiografie heißt es u.a.: “Auch an dem Geschick der reichsdeutschen Heimat nahm er lebhaften Anteil und verfolgte mit heißem Herzen zusammen mit der von ihm gegründeten “Jungen Gemeinschaft“ am Kufsteiner Gymnasium den Kampf an der Ruhr. Nach der Erschießung Schlageters beging diese kleine Kampfschar…
…eine Gedenkfeier, und unter dem Eindruck es Todes dieses Freiheitskämpfers entstand aus ihrer kleinen Gruppe die nationalsozialistische Jugerndorganisation “Deutsche Jugend“, die die Keimzelle wurde für die Hitlerjugend Österreichs.“ Im Rahmen seiner Drogistenlehre kam Lauterbacher dann 1929 an die Drogistenakademie in Braunschweig. Er stieg schnell auf zum HJ-Ortsgruppenführer, Bezirksführer und Gauführer. 1931 marschierten unter seiner Leitung Tausend Hitlerjungen durch Bad Harzburg. Die HJ spielte im Gau Süd-Hannover-Braunschweig eine für die Entwicklung im Reich bedeutsame Rolle. Hartmann Lauterbacher hatte aus der Hitlerjugend bereits eine schlagkräftige Nachwuchs-Organisation gezimmert, die Mitte Juni 1931 im Gau bereits aus 70 Ortsgruppen und mindestens ebenso vielen Stützpunkten bestand.
Hitler hatte in „Mein Kampf“ den Parteigenossen seine Erziehungsziele vorgesetzt. Aus der grundlegenden Absicht, gestählte Körper zu züchten, entstand die Grundlage nationalsozia-listischer Erziehung. Während Hitler Genies zugestand, seinen körperlichen Vorstellungen nicht zu entsprechen, so wollte er dem restlichen Volk eine körperliche Degeneration nicht erlauben, da sich daraus „nur höchst selten ein wirklich großer Geist erheben“ könne. Und wenn es doch vorkommen sollte, würde „das heruntergekommene Pack ihn entweder überhaupt nicht verstehen, oder es wird willensfähig so geschwächt sein, daß es den Höhenflug eines solchen Adlers nicht zu folgen vermag“. Darum „hat der völkische Staat in dieser Erkenntnis seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlußkraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als Letztes die wissenschaftliche Schulung.“ (Seite 452) Wahrscheinlich hatten die Verkünder der christlichen Religion die Hitler-Bibel der Nationalsozialisten gar nicht erst gelesen, denn sonst hätten sie erkennen müssen, daß Hitler auf Religion in seiner Pädagogik keinen Wert legte. Vielleicht hätte dieser Satz zu denken gegeben: „Es geht nicht an, die jungen Gehirne mit einem Ballast zu beladen, den sie erfahrungsgemäß nur zu einem Bruchteil behalten, wobei zudem meist anstatt des Wesentlichen die unnötigen Nebensächlichkeiten hängen bleiben, da das junge Menschenkind eine vernünftige Siebung des ihnen eingetrichterten Stoffes gar icht vorzunehmen ermag.“ (Seite 454)
Lauterbachers Aufstieg ging derweil kontinuierlich weiter: 1932 wurde er Gebietsführer von Westfalen-Niederrhein, danach Obergebietsführer West. Reichsjugendführer Baldur von Schirach verlieh ihm das goldene Ehrenzeichen der Hitlerjugend und erteilte ihm den Führerausweis Nr. 1 der Hitlerjugend zu – und ernannte ihn zu seinem Stabsführer.
Im Dezember 1940 ernannte Hitler Lauterbacher als Nachfolger Rusts zum Gauleiter Südhannover-Braunschweig. Zur gleichen Zeit bedankte sich Schirach bei Lauterbacher mit der Ernennung zum “Ehrenführer der Akademie für Jugendführung in Braunschweig“. Mit ihm als Gauleiter, so die BTZ, werde die Zukunft “die Verwirklichung neuer großer Pläne bringen“, die den Gau “ in die vorderste Reihe der deutschen Gaeue führen werde“. Lauterbacher war Mitglied des Reichstages, SS-Brigadeführer, SS-Obergruppenführer und ab 1.4.1944 als Oberpräsident der Provinz Hannover die höchste Autorität im hannoverschen Lande.
Aus öffentlichen Äusserungen Lauterbachers kann geschlossen werden, dass er wusste, dass die deportierten Juden nie mehr zurückkehren würden. Die widerliche Entwürdigung der jüdischen Hannoveraner und deren Zusammentrieb in den sogenannten Judenhäusern ist mit Lauterbachers Namen verbunden: “Aktion Lauterbacher“. Beschrieben hat diese furchtbaren Ereignisse Marlis Buchholz in ihrem 1987 erschienenen Buch “Die hannoverschen Judenhäuser“.
Ein anderes Ereignis ist gleichfalls mit ihm verbunden: Zum Kriegsende, am 6. April 1945 veröffentlichte die BTZ seinen Aufruf “Lieber tot als Sklav“. Während er, der Reichsverteidigungskommissar, aus Hannover in den Harz flüchtete, rief er seine “Niedersachsen, meine Volksgenossen und Volksgenossinnen“ zum “fanatischen Einsatz“ auf: “Wer nicht mit uns ist oder feige oder verräterisch die Hand gegen unsere gerechte Sache erheben sollte, wer weiße Fahnen hisst und sich kampflos ergibt, ist des Todes.“ Er schloß diesen Aufruf, mit dem er sich selber nicht angesprochen fühlte, mit den Worten: “Deutschland lebt in uns und unserem Führer – Im tiefen Glauben an seine Ewigkeit gehen wir in den Kamp.“
Lauterbacher entzog sich der gerechten Strafverfolgung seiner Verantwortung erneut durch eine feige Flucht. Anfang der achtziger Jahre berichteten Zeitungen über zwei seiner Wohnsitze in Deutschland und darüber, er sei “unter anderem Berater des Sultans von Oman in Jugendfragen.“ Aus seinem 1984 erschienenem Buch: “Erlebt und mitgestaltet, Kronzeuge einer Epoche – Zu neuen Ufern nach Kriegsende“ wird deutlich, dass er unbelehrbar nie von seinem Nationalsozialismus zurückgetreten ist. Die letzten Worte dieses Buches: Ein Rückblick in Trauer ist absurd und dumm. Ich schaue glücklich und stolz auf meine Vergangenheit zurück und auch auf die Zeit in den beiden Kontinenten.“
Quellen:
Grahé, Meta, Spiel des Lebens, Erinnerungen, Hannover 1938
Neue Peiner Woche
Wolfenbütteler Zeitung (WZ)
Braunschweigische Tageszeitung (BTZ)
Niedersächsischer Beobachter
Volksfreund
Braunschweiger Zeitung
Hannoversche Geschichtsblätter 1990
Männer im Dritten Reich. Hg.: Orientalische Cigaretten Kompagnie, Bremen 1934
Schmalz, Kurt, Nationalsozialisten ringen um Braunschweig, Braunschweig 1934
Buchholz, Marlis, Die hannoverschen Judenhäuser, Zur Situation der Juden in der Zeit der Ghettoisierung und Verfolgung 1941 bis 1945, Hildesheim 1987
DER SPIEGEL, Nr. 23/1971