Autorenhinweis

“6.0 Was noch gesagt werden muss“

Unter dieser Überschrift teilt Kiekenap seine Meinung über vergangene und aktuelle Diskussionen und Auseinandersetzungen über den Umgang mit der NS-Vergangenheit mit. Dieser Text, der erst am Schluß des Buches auf Seite 200 beginnt, hätte an den Anfang des Buches gehört. Dann könnten Absichten des Buches – und nicht zuletzt auch die des Autors – besser verstanden werden.

Mein ursprüngliches Vorhaben, daraus ausgesuchte Zitate zu präsentieren, war nicht zu verwirklichen. Es werden nun ganze Abschnitte sein. Zustimmung oder Ablehnung dieser Gedanken des Autors hängen davon ab, wie gut man selber über die NS-Zeit informiert ist und welche Meinung man selber zu dem hat, das laut Kiekenap hier noch gesagt werden muß. Der Leser soll sich seine Meinung selber bilden, aber nicht vergessen, kritisch zu hinterfragen.

Z.B: Diese für mich ungeheuerliche Aussage von den „selbsternannten und selbstgerechten Moralaposteln“. Was meint er denn damit? Muß man erst ernannt werden, um sich aus eigener Sicht mit der NS-Zeit zu befassen? Fühlt sich Kiekenap kompetent, die Ernennungen selbst vorzunehmen? Hätte ich mich zur Abfassung meiner Betrachtungen über sein Buch von ihm erst ernennen lassen müssen? Welche Kriterien würde er dafür anlegen?
Aber die wichtigste Frage ist: Wer hat denn den Hobby-Forscher Kiekenap ernannt, das Buch zu veröffentlichen? Oder ist man als Professor Dr. Ing. und ehemaliger Bauunternehmer automatisch befähigt, nicht nur die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, sondern auch der NS-Zeit sowie der des Dritten Reiches kompetent und vor allem wissenschaftlich zu bearbeiten?

Auszüge:
„In den gegenwärtigen Diskussionen über die „Schluss-Strich-Debatte“ wird offenbar, dass die schrecklichen Verbrechen der Nazizeit in großen Teilen unserer Gesellschaft zwar nicht in Frage gestellt werden, jedoch sind die Auffassungen über Schlussfolgerungen und künftige Verhaltensweisen weiterhin höchst unterschiedlich. Wichtige Denkanstöße in diesem Zusammenhang hat der im Jahre 1927 geborene Schriftsteller Martin Walser gegeben. Ausgehend von einem Vortrag des Friedenspreisträgers im Jahre 1998 in der Frankfurter Paulskirche und weiteren Aufsätzen und Büchern Walsers, musste dieser sich des Vorwurfs erwehren, er sei der „Phalanx der Schluss-Strich-Macher“ beigetreten.
Martin Walser war entsetzt über diese Beurteilung, wie er dem Spiegelredakteur Martin Doerry mit Brief vom 10. Dezember 2007 mitgeteilt hat: „Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum“, schreibt Walser, jedoch: „Etwas in mir wehrt sich gegen die Dauerpräsentation unserer Schande“.

Abgesehen davon, dass in unserem Land selbsternannte und selbstgerechte Moralapostel permanent versuchen, die Bürger wegen der Naziverbrechen einzuschüchtern und ohne Legitimation meinungsbildend für die gesamte Gesellschaft zu wirken, hat auch Martin Walser das Recht, so zu denken, wie er denkt – und viele Bürger werden sich seiner Meinung anschließen, ohne dass sie deswegen zum „Holocaust-Verleugner“ mutieren, oder die schrecklichen Verbrechen der Nazis relativieren wollen. Jedenfalls sind Medienbeflissene und Trendliebende Vordenker nach meinem Verständnis hier unerwünscht. Jeder muss sich bei diesen Verbrechen, die unsere Gesellschaft so sehr belasten, frei von Emotionen seine eigene „Wahrheit“ und Antwort suchen. Lässt er sich dabei von Historikern, kundigen Geistlichen oder auch von Schriftstellern, die mit dem Thema vertraut sind, durch das Lesen ihrer Veröffentlichungen beraten, dann kann das in der Regel nur der Wahrheitsfindung dienen. In diesem Zusammenhang sind einige neuere Veröffentlichungen über den Holocaust zu sehen, die suggerieren wollen, die vielfach benutzte Aussage: „Davon haben wir nichts gewusst“ müsse angezweifelt werden. (…) Im vorliegenden Buch ist viel über die SS, insbesondere über die Waffen-SS, berichtet worden. Tapferkeit und Todesmut, aber auch die schrecklichen Verbrechen von Teilen der SS sind ausführlich beschrieben worden. Fassungslos kann man nur die Ausführungen des SS-Generals Dr. Otto Ohlendorf aus Hoheneggelsen zur Kenntnis nehmen, er habe ein „geordnetes militärisches Töten“ der jüdischen Kinder, Frauen und Greise durch Erschießen angeordnet und an zwei Hinrichtungsaktionen „inspektionsweise“ (was immer das bedeuten mag!) teilgenommen.

Die überwiegende Mehrheit der Soldaten der Waffen-SS waren jedoch an der Bewachung der Konzentrationslager und an den Mord-Aktionen der SS-Polizeieinheiten nicht beteiligt, sondern standen – überwiegend an strategischen „Brennpunkten“ – im erbitterten Kampf an vorderster Front und hatten schwere Verluste an Toten, Verwundeten und Vermissten zu beklagen. Selbst im Führerhauptquartier war man wegen der relativ hohen Verluste der Waffen-SS beunruhigt. Diese kämpfenden SS-Truppen waren Soldaten, wie andere auch, wie Generaloberst Paul Hausser es formuliert hat. Die Bundeskanzler Adenauer und Kohl haben diese Auffassung weitestgehend akzeptiert (vgl. Anhang 7.1.9.1./2.) mit dem einschränkenden, aber selbstverständlichen Hinweis: „Soweit sie ausschließlich als Soldaten ehrenvoll für Deutschland gekämpft haben.“

Nach meinem Verständnis ist die Frage, wie wir mit unserer Schuld und den Verursachern umgehen sollten, auch ein religiöses Problem. Gleichfalls ist in diesem Zusammenhang unsere Schuldverstrickung auch aus allgemeiner, politischer Sicht von Bedeutung, wie die Auftritte der ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt und Gerhard Schröder in Warschau und in Nordfrankreich gezeigt haben. Insoweit besteht zwischen Kirche und Staat in der Behandlung und Lösung dieser Fragen eine gewisse Konkurrenz. Während der Staat in der Regel bei der Behandlung derartiger Probleme pragmatische („beliebige“) Lösungen bevorzugt, ist die Kirche eher ihrer Jahrhunderte alten Werteordnung verpflichtet und muss religiöse Begriffe wie christliche Nächstenliebe, Vergebung, Beichte, Buße und Gnade in ihre Überlegungen einbeziehen. Zur Sache können sich daher wegen dieser traditionellen Betrachtungsweisen durchaus unterschiedliche Antworten und Verhaltensweisen ergeben.

Willy Brandts Warschauer Kniefall am 7. Dezember 1970 war ja nicht nur ein Zeichen der Demut und ein Bekenntnis zur geschichtlichen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch eine Geste, die angesichts des Denkmals für den Aufstand im Warschauer Ghetto im Jahre 1943 insbesondere die Polen und die Juden um Verzeihung und – unausgesprochen – auch um Vergebung bitten wollte. Ähnliche Absichten gegenüber Frankreich verfolgte der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, als er anlässlich der Feierlichkeiten zum Jubiläum des Invasionstages im Juni 2004 den Soldatenfriedhof Ranville besuchte und das französische Volk wegen der Verbrechen in Oradour und anderen Orten, um Entschuldigung und Verzeihung bat. Der Präsident der Gedenkstätte Oradour, Jean-Claude Peyronnet, hat den würdigen Auftritt des deutschen Bundeskanzlers mit Genugtuung anerkannt. Er betonte in seiner Dankesrede: „Darauf hätten die Menschen in Oradour lange gewartet. Ich bin sehr bewegt und im positiven Sinne sehr beeindruckt.“

Zweifelsohne sind zahlreiche ehemalige SS- und Gestapoleute, die an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sind, in der Nachkriegszeit uneinsichtig und verbittert gestorben. Sie fühlten sich unschuldig und glaubten, sie hätten sich im Dienste für das Vaterland stets gesetzestreu verhalten. Sie waren weit davon entfernt, ihre grauenhaften Verbrechen zu bekennen, zu bereuen oder gar zu beichten. Den Übergang von der ordensähnlichen und elitären SS zum gewöhnlichen Normalverbraucher haben sie mental nicht geschafft.

Zweifellos hat jedoch die Mehrheit der früheren SS- und Gestapoangehörigen am Neuanfang und am Wiederaufbau nach dem Kriege teilgenommen, entweder unerkannt oder nach einer kurzen Haftstrafe. In der Regel sind sie überzeugte und wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft geworden und haben sich am Aufbau des deutschen demokratischen Staatswesens – trotz gelegentlicher Verdächtigungen und Denunziationen – aktiv beteiligt. Vielleicht haben sich einige sogar ihrer Verbrechen geschämt und sie bereut. Nur, gesprochen haben sie mit kaum jemand darüber!

Wer gegen Kriegsende im Jahre 1944 oder 1945 Verbrechen begangen hat, wird in der Regel mindestens 20 Jahre alt gewesen sein und hätte demnach heute ein Alter von wenigstens 83 Jahren erreicht. Es ist somit absehbar, dass von den damaligen Tätern demnächst keiner mehr am Leben sein wird.

Wie schwer diese Verbrechen auch zukünftig noch auf unserer Gesellschaft lasten werden, bleibt abzuwarten. Wir sollten jedoch ernsthaft darüber nachdenken, wie wir mit den Mördern, jenen, die am Schreibtisch saßen und jenen, die erschossen oder vergast haben, umgehen sollten. Wollen wir im Sinne christlicher Nächstenliebe uns der Probleme annehmen, oder sind wir mehrheitlich der opportunistischen Meinung, dass diese Fragen sich ohnehin durch „langes Liegenlassen“ erledigen werden?

Auch die grausamen Morde, Vergewaltigungen, Viehraub und Brandschatzungen dänischer Truppen in meinem kleinen braunschweigischen Heimatdorf im Jahre 1626 sind auf diese Art und Weise durch Zeitablauf „erledigt“ worden. Nie haben die Nachfahren etwa von Dänemark Schadensersatz gefordert, oder gar die Dänen schlecht behandelt, – wenn sie dann dazu Gelegenheit gehabt hätten. Die Frage ist jedoch, ob wir seit dem 30-jährigen Krieg etwas dazu gelernt haben? Es hat den Anschein, als würden die deutschen Schuldverstrickungen während der Nazizeit abermals durch Zeitablauf „erledigt“, und daran werden auch die zahlreichen Erinnerungsstätten, Denkmäler und die Holocaust-Literatur nichts ändern.“