KZ Leinde


Aus der Braunschweiger Zeitung, ca. September 1989

„Das Konzentrationslager Leinde-Watenstedt entstand nur einen Katzensprung von Leinde entfernt– Ein erster Werkstattbericht

Häftlinge waren das letzte Arbeitskräftereservoir

Die ehemalige Landstraße Leinde-Watenstedt und die B 248 führten direkt vorbei. Am doppelten, elektrisch geladenen Zaun befanden sich elf Wachtürme. SS-Posten sicherten das Lager nach innen. Schilder drohten der Bevölkerung draußen: „Wer stehen bleibt, wird erschossen.“ Kindern wurden im Vorübergehen die Augen zugehalten, damit sie die unvorstellbaren Grausamkeiten hinter dem Zaun nicht sahen. Im Mai 1944 entstand einen Katzensprung von Leinde entfernt kein Lager für Schwerverbrecher oder Kriegsgefangene. Dies war nur die offizielle Version für die Einheimischen. Im Konzentrationslager Watenstedt-Leinde litten zeitweilig 3500 Männer und Frauen aus über 20 Ländern.

Sie waren gezwungen, in den Stahlwerken Braunschweig Munition und Bomben herzustellen, die nicht zuletzt gegen ihre Heimat gerichtet wurden. Selbst bei vorsichtigen Schätzungen starben während des knapp einjährigen Bestehens dieses Außenlagers vom KZ-Neuengamme weit mehr als 1000 Menschen.

Albrecht Materne und Helmut Strauch vom Arbeitskreis Stadtgeschichte trugen in mühseliger Kleinarbeit Daten zusammen, die die Geschehnisse und Zusammenhänge relativ unbekannten Lagers deutlich machen. Ihr Engagement wurde durch die schlechte Quellenlage erschwert. Nach dem Krieg fand kein Prozeß statt, wichtige Akten der Stahlwerke sind verbrannt. Erste Hinweise erhielten Strauch und Materne aus der Arbeit von Gerd Wysocki „Zwangsarbeit und Stahlkonzern“ und von der Historikerin Bernhild Vögel, die die Geschichte des Lagers skizzierte. Schließlich gaben aber ehemalige französische Häftlinge den Anstoß zu dieser Arbeit. Sie äußerten den Wunsch, daß eine Gedenktafel am authentischen Ort, die Stätte ihres Leidens nicht in Vergessenheit geraten ließe.

Gelegenheit böte sich dazu, denn ein Blick von den inzwischen entstandenen Halden der Firma Friedrich mit einer englischen Luftbildaufnahme in der Hand lässt Lagerbaracken, die Grundrisse des Krankenreviere, der Lagerstraßen und des nie fertiggestellten Krematoriums wieder Wirklichkeit werden. Einige Fundamente und Gebäudereste sind noch heute zu finden. In die andere Richtung geschaut lassen sich auf dem LHB-Gelände, obwohl sich dort heute ein Wäldchen erhebt, die Hallen 16 und 17 erkennen, in denen die Häftlinge Granaten, Bomben und Geschützrohre produzierten.

Das Konzentrationslager war das letzte Arbeitskräftereservoir für die Stahlwerke Braunschweig. Der für die Koordiniernation der Munitionsproduktion zuständige Mann, Generaldirektor und SS-Ehrenführer Edmund Geilenberg, forderte Häftlinge an. Für die Stahlwerke schloß er einen Vertrag mit dem KZ Neuengamme ab. Am 16. Mai 1944 wurden sich beide Parteien über den Einsatz und die Unterbringung der Häftlinge einig. Der erste Transport mit etwa 500 Menschen traf elf Tage später ein.

Die größten Häftlingsgruppen kamen aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich und den Niederlanden. Unter ihnen waren viele Wiederstandskämpfer und Juden. Nur wenige Deutsche saßen im KZ-Leinde -Watenstedt ein. Meist waren es kleine Kriminelle, Homosexuelle, aktive Christen oder Juden. Mit mehreren Transporten kamen kranke, jüdische Häftlinge von der Braunschweiger Firma Büssing.

Lager- und Arbeitsalltag waren geprägt von Gewalt – darin taten sich nicht nur die SS-Bewacher sondern auch die Kapos und Ältesten (Häftlingsselbstverwaltung) hervor, mangelhafter Ernährung sowie völlig unzureichender Bekleidung, Hygiene und medizinischer Versorgung.

Die entkräfteten, größtenteils kranken und unterernährten Häftlinge mußten erst in zwei, später in drei Schichten arbeiten. Der überwiegende Anteil der Männer war an den Pressen in Halle 16 eingeteilt. Bei der etwas weniger anstrengenden, aber ermüdenden Fertigbearbeitung der Rohlinge in Halle 17 waren auch Frauen zu finden. Die Häftlinge wurden von den Kapos bis zum Zusammenbruch angetrieben. Nicht selten waren schwerste Verletzungen die Folge. Bei Sabotage – meist Arbeitsverweigerung wegen Erschöpfung – drohte der Tod durch Erhängen direkt am Arbeitsplatz.

Im Dezember 1944 befand sich die Stimmung im Lager auf dem Tiefpunkt. Stundenlange Appelle im Schnee bekamen den Charakter einer Selektion. Die Zeit von Januar 1945 bis zur Evakuierung im April beschrieben Überlebende als ihren eigentlichen Leidensweg. Bei Bombenangriffe auf die Hütte wurden auch die Hallen 16 und 17 getroffen. Die Häftlinge mußten bei klirrender Kälte die Aufräumarbeiten bewerkstelligen. Zu dieser Zeit enthielt ihre tägliche Nahrungsration lediglich 400 Kalorien. Zwölf Männer mußten sich ein Vier-Pfund-Brot teilen, das mit zunehmenden Mengen von Sägemehl gebacken war. Das Frühstück entfiel, mittags gab es Wassersuppe mit wenigen Steckrüben, Gras oder Rübenblättern. Täglich starben 20 bis 30 Menschen.

Am 2. Mai erhielten die Überlebenden ihre Freiheit zurück. Viele starben jedoch noch auf dem Evakuierungstransport in Richtung Ravensbrück.“ (kh)