Heinrich Wedekind


Mit so was
machen wir
kurzen Prozeß:

Rübe ab!

Flötentöne
Heil Hitler
Zackzack!

Volker von Törne, aus: Wolfspelz, Gedichte, Lieder, Montagen, Quartheft

Heinrich Wedekind wurde am 23.5.1894 in Wendhausen geboren. Nach dem Schulbesuch lernte er Schuhmacher.
Am 14.12.1918 mußte er Soldat werden. Sein Vorgesetzter an der Front war der jüdische Kaufmann Berthold Moses. Als Moses verwundet wurde, holte Wedekind ihn aus der Kampfzone. Dabei erlitt er am 13. Juni 1915 einen Lungensteckschuß. Moses und Wedekind lagen gemeinsam in einem Lazarett in Jaroslau, damals Polen. Die beiden Männer wurden Freunde über den Krieg hinaus. Nach dem Krieg machte Wedekind seinen Meister im Schumacherhandwerk. Sein Freund Moses eröffnete in Wolfenbüttel ein Schuhgeschäft. Wedekind erwarb 1928 ein Haus in der Stobenstraße, richtete hier seine Werkstatt ein und arbeitete auch für Moses, dessen Geschäft nicht weit entfern am Alten Tore lag.

Im August 1938 flüchtete die Familie Moses in die USA. Wedekind hätte das Geschäft von Berthold Moses gern weitergeführt, konnte es aber aus finanziellen Gründen nicht. Einige Jahre später eröffnete er in Salzgitter-Watenstedt eine weitere Werkstatt. Sein Sohn kämpfte an der Ostfront und geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft. In der Watenstedter Werkstatt hatte er als Mitarbeiter vier bis fünf ausländische Zwangsarbeiter, die er immer gut mit Essen versorgt haben soll. In der Werkstatt stand auch ein Radio, mit dem er verbotene ausländische Sender hörte, weil er sich wegen seines verschollenen Sohnes über die Frontverhältnisse informieren wollte. Einer der Zwangsarbeiter verriet ihn. Er hatte seinen 50. Geburtstag in der Werkstatt gemeinsam mit den Zwangsarbeitern gefeiert. Dabei wurde auch politisiert. Am Tag darauf verhaftete ihn die Gestapo und brachte ihn in das Braunschweiger Gefängnis Rennelberg. Wedekind ging davon aus, eine kurze Strafe zu erhalten und bald nach Hause zurückkehren zu können. Aus dem Gefängnis schrieb er seiner Frau zwei Briefe mit Ratschlägen, wie sie das Geschäft während seiner Abwesenheit weiterführen sollte.

Seine Hoffnung erfüllte sich nicht, er wurde in das Gefängnis Tegel gebracht und erhielt einen Prozeß vor dem Volksgerichtshof in Berlin. Von hier aus durfte er keine Briefe mehr schreiben. Auf die Frage, ob er bereue, soll er geantwortet haben: “Ich habe nichts zu bereuen. Ich habe nichts Schlechtes getan.“
(Die hier widergegebenen Zeitzeugenaussagen stimmen teilweise nicht mit dem Inhalt der schriftlichen Urteilsbegründung überein.)

Heinrich Wedekind wurde zum Tode verurteilt und am 27. November 1944 im Gefängnis Brandenburg/Havel hingerichtet. Seine Frau erfuhr vom Urteil und vom Tode ihres Mannes durch einen Brief des Gefängnispfarrers, der sie über die Hinrichtung informierte.

Heinrich Wedekinds Einsatz für sein Land als Soldat in I. Weltkrieg, aus dem er krank zurückgekehrt war, hat ihm in der Nazizeit nicht das Leben gerettet. Wegen einiger regimekritischer Aussagen wurde ihm sein Leben genommen.

Sein militärischer Werdegang:

14.12.1914: Diensteintritt
20.06.1915: als Musketier der 8. Kompanie Reserve Infanterie Regiment 232 in das Kriegslazarett 56 a, Jaroslau
26.06.1915: verlegt mit Lazarett-Zug – Verwundung am 13.06.1915/ Gewehrschuss rechte Brust.
28.06.1915: in das Res.-Laz. l Abt. Garnisonlaz. Frankfurt/Oder.
06.08.1915: verlegt in das Res.-Laz. Mantz Gerstenberger.
14.06.1917: als Musketier der 3. Komp. Res. Inf. Rgt. 77/2. Garde Res. Div. in das Armee Res. Feldlaz. 53, Cambrai, – Bluterguss im rechten Kniegelenk.
29.06.1917: verlegt in das Kriegslaz. 34, Le Quesnoy.
08.07.1917: als dienstfähig zur Etappen-Kommandantur 100.
01.08.1917: in das Kriegslaz. 36 A, Gent, – 31.07.1917 in Flandern – Leiden im rechten Knie.
04.08.1917: verlegt mit Laz.-Zug in ein Heimatlazarett.

15.09.1917: als kriegsverwendungsfähig zur Ersatztruppe

(Quelle: Krankenbuchlager Berlin)

Eine Mappe des Reichssicherheitshauptamtes mit streng vertraulichen Meldungen enthielt auch einen Hinweis auf Heinrich Wedekind: “Von der Stapostelle Braunschweig wurde de Schuhmacher Heinrich Wedekind – wohnhaft in Wolfenbüttel – festgenommen. W., der als alter Kommunist und Mitbegründer der KPD in Wolfenbüttel bekannt ist, hatte sich geäußert, Partisanengruppen bilden zu wollen, um gemeinsam mit im Reichsgebiet abgesetzten Luftlandetruppe zu kämpfen.“

Abschrift eines Dokuments:

Kammergericht, l. Strafsenat
Geschäftsnummer 10.0.Ja.2g.44
I m N a m e n d e s D e u t s c h e n V o l k e s

Strafsache gegen den Schuhmacher Heinrich Karl W e d e k i n d, geboren am 25. Mai 1894 zu Wendhausen/Braunschweig, wohnhaft in Wolfenbüttel, Stobenstraße 8. Nicht bestraft.

Der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin hat in seiner Sitzung vom 2. November 1944 in Braunschweig, an der teilgenommen haben:

Landgerichtsdirektor Triebel als Vorsitzender
Landgerichtsrat Dr. Jank
Amtsgerichterat Dr. Plath als beisitzender Richter
Staatsanwalt Berthold als Beamter der Staatsanwaltschaft

f ü r R e c h t e r k a n n t:

Der Angeklagte hat für den kommunistischen Untergrund Mundpropaganda gemacht und dadurch den Feind begünstigt. Er wird deshalb wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt und ist dauernd ehrlos. Er trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:
Der Angeklagte hat nach Besuch der Volksschule in seiner Heimatstadt das Schuhmacherhandwerk erlernt. Im ersten Weltkriege war er Soldat und ist einmal verwundet worden. Er besitzt das Frontkämpferehrenkreuz und das Verwundetenabzeichen. Im Jahre 1925 eröffnete er in Wolfenbüttel eine eigene Werkstatt. Seit dem l .Oktober 1942 arbeitet er daneben im Lager 23 in Watenstedt. Vorbestraft ist er nicht.

Im Jahre 1919 hat der Angeklagte mit anderen zusammen in Wolfenbüttel die Ortsstelle der KPD gegründet, in der er bis zum Jahre 1920 Kassierer war. Infolge politischer Streitigkeiten trat er aus dieser Partei im Jahr 1920 aus und ist seitdem niemals wieder politisch tätig gewesen. Er gibt an, in den folgenden Jahren im wesentlichen die SPD gewählt zu haben und räumt auch ein, bis zum heutigen Tage „sozialistisch“ eingestellt zu sein. Auch nach dem Umbruch ist er weder der Partei noch irgendeiner Organisation beigetreten.

Am 16. Mai 1944 sprach der Angeklagte in der Werkstatt mit dem tschechischen Verwaltungsführer des Lagers 23, dem Zeugen B., über die Invasion. Er sagte dabei etwa folgendes: „Wenn die Engländer und Amerikaner erst in Frankreich seien, dann sei es gut für uns. Dann schicken wir unsere Frauen fort und bildeten Partisanengruppen.“

Als der Zeuge ihm vorhielt, daß die Staatspolizei ja auch noch da sei, bezeichnete der Angeklagte diese als „Mörder“ und „Hunde“ und erwiderte: „Er werde diesen dann nicht, wie sie es machten, eine Kugel durch den Kopf schießen, sondern bei ihm würden sie langsam verbrannt.“

Weiter äußerte der Angeklagte:
„Er sei einmal bei der Gestapo gewesen. Wenn diese gewußt hätte, wer er sei, dann hätten sie ihn anders behandelt. Die, die nicht in der NSDAP seien, seien seine besten Freunde.“ Am 20.Mai 1944, einen Tag nach einem Terrorangriff, meinte er:
„Gestern haben sie Braunschweig bombardiert. Das deutsche Volk muss jetzt Krieg spielen auf eigene Knochen. Es war noch nie Krieg im deutschen Reichsgebiet; der Krieg hat sich immer in fremden Ländern abgespielt. Hoffentlich werden die Leute jetzt mehr Verständnis haben über den Krieg.“
Er setzte hinzu: „Sie, nämlich die Zehntausend, die oben sitzen, wollen uns alle doch nur kaputt machen.“

Mit Bezug auf den Lagerdolmetscher L., der zugleich Lagerpolizist ist, und den der Angeklagte für einen Russen hielt, sagte er:

„Er würde von seinen eigenen Landsleuten auf gehängt werden, wenn die Engländer und Amerikaner kämen.“

Dieser Sachverhalt beruht auf den glaubwürdigen und beschworenen Angaben des Zeugen B. Der Angeklagte bestreitet teilweise, derartige Äußerungen gemacht zu haben. Im einzelnen gibt er an, daß er eine Bemerkung über das Bilden von Partisanengruppen allerdings gemacht habe. Er habe jedoch gesagt, daß, wenn die Engländer und Amerikaner erst in Frankreich seien, Partisanengruppen für Deutschland gebildet werden müßten, mit denen er dann mitgehen wolle. Zugeben müsse er, die Stapo-Beamten als „Mörder“ und „Hunde“ bezeichnet und dem Zeugen B. gesagt zu haben, wenn das einmal anders komme, müßten die nicht erschossen, sondern verbrannt werden. B. sei nämlich gerade aus der Untersuchungshaft gekommen und habe ihm erzählt, daß er dort Schläge bekommen habe. Hierüber sei er, der Angeklagte, so wütend gewesen, daß er sich zu den erwähnten Äußerungen habe hinreißen lassen. Weiter habe er gesagt, daß er einmal bei der Stapo gewesen sei und daß diese ihn anders behandelt hätte, wenn sie gewußt hätte, wie er dächte.

Die Bemerkung, dass das deutsche Volk jetzt auf eigene Knochen Krieg spielen müsse, habe er gemacht. Ebenso gebe er zu, sich dem Lagerdolmetscher L. gegenüber so, wie angegeben, geäußert zu haben. Nicht gesagt habe er dagegen, dass die deutsche Regierung doch nur alle kaputt machen wolle. Vielmehr habe er geäußert, daß die feindlichen Flugzeuge doch noch alles kaputt machen würden.

Diese Einlassung ist soweit sie dem festgestellten Sachverhalt widerspricht, unwahr. Der Angeklagte wird überführt durch die klaren und eindeutigen Bekundungen des Zeugen B. Hinzu kommt, dass der Angeklagte nicht nur vor der Polizei am 22. Mai 1944, sondern auch in seiner richterlichen Vernehmung vom 26.Mai 1944 im vollen Umfange geständig gewesen ist. Wenn er heute erklärt, er habe in der Aufregung teilweise etwas Falsches gesagt, so ist das unglaubwürdig. Selbst wenn er im ersten Schreck vor der Polizei aufgeregt gewesen wäre, so bestand hierzu bei seiner richterlichen Vernehmung, die mehrere Tage später erfolgt ist, keine Veranlassung mehr. Die Bekundungen B.’s werden schließlich auch durch das jetzt noch erfolgte teilweise Geständnis des Angeklagten in der Hauptverhandlung gestützt; denn insoweit stimmen die Bekundungen des Zeugen mit den Angaben des Angeklagten überein.

Der Angeklagte hat mit seinen Äußerungen aus seiner marxistischen Ballung heraus Stimmung für einen kommunistischen Umsturz gemacht und zu erkennen gegeben, daß er sich bei der von ihm erwarteten Niederlage Deutschlands im Falle der Invasion aktiv für den Bolschewismus einsetzen werde. Er hat sich damit nicht nur der Vorbereitung zum Hochverrat, sondern zugleich der Feindbegünstigung schuldig gemacht (§ 85 Abs.2, Paragraph 91 b StOB.).

Der Angeklagte ist kein fanatischer Kommunist. Er hat früher einige Jahre dieser Partei angehört, ist aber schon im Jahre 1920 aus ihr ausgetreten und hat seitdem keiner Partei mehr angehört. Er hat sich auch niemals mehr politisch betätigt .Wohl aber gibt er zu, bis zum heutigen Tage ein Anhänger marxistischer Ideen zu sein. Der Angeklagte ist, wie die Zeugen K., B. und S. übereinstimmend bekunden, ein Pessimist, der mit sich und der Welt unzufrieden ist. Wenn er einmal zur Kritik herausgefordert wird, schließt er sich bedenkenlos an und steigert sich selbst in maßlose Schimpfereien hinein. Gerade der Anlaß, aus dem heraus die besonders schwerwiegende Bemerkung über die Behandlung der Stapo-Beamten nach einem Umsturz gefallen ist, ist bezeichnend für die Redensart des Angeklagten. Der Zeuge B. hatte in Haft gesessen und schimpfte dem Angeklagten gegenüber. Diese Gelegenheit benutzte Wedekind, um sich seinerseits in der geschilderten Art zu äußern.

Dem Angeklagten stehen einige strafmildernde Gründe zur Seite. Er hat im ersten Weltkriege seine Pflicht getan, in dem er einmal verwundet worden ist. Er ist nach dem Zeugnis seiner Arbeitskameraden stets ein fleißiger Arbeiter gewesen und mag in letzter Zeit unter schwerer seelischer Belastung gestanden haben, weil sein Sohn, der an der russischen Front stand, als vermißt gemeldet ist und weil er seit langer Zeit Sorge mit seiner ständig kranken Frau hat.

All diese Gründe müssen aber zurücktreten gegenüber der Tatsache, dass der Angeklagte Äußerungen getan hat, die an Niederträchtigkeit und Verwerflichkeit kaum zu überbieten sind. Gegen einen Mann, der im fünften Kriegsjahr, in einer Zeit also, in der für jeden erkennbar das deutsche Volk im schwersten Existenzkampfe steht, sich dazu hinreißen läßt, zu erklären, wenn der Feind in Frankreich stehe, „schicken wir unsere Frauen weg und bilden Partisanengruppen“, der die Stapo-Beamten als „Mörder“ und „Hunde“ bezeichnet und sagt, er werde, wenn es anders komme, ihnen nicht eine Kugel durch den Kopf schießen, sondern sie langsam verbrennen, ist die Annahme eines minder schweren Falles nicht mehr möglich, und es könnte für den Angeklagten nur eine Strafe geben, nämlich die Todesstrafe, auf die erkannt worden ist.

Selbstverständlich ist das Verhalten des Angeklagten besonders ehrlos, sodaß weiterhin auf Ehrverlust für Lebenszeit erkannt worden ist.
Die Kostenentscheidung regelt Paragraph 465 StPO:

gez. Triebel
Dr. Jank
Dr. Plath