NS-Widerstand-Leugnung in Wolfenbüttel

Kolonialismus und NS- Leugnung

Widerstand und Kolonialismus in der Lessingstadt Wolfenbüttel

Der „Braunschweig Spiegel“ brachte am 24. Juli 2022 unter dem Titel „Verzögerte Moral der Eliten“ einen kritischen Beitrag über das Thema „Ausgrenzung des Widerstandes (gegen den Nationalsozialismus) der „kleinen Leute“. (https://braunschweig-spiegel.de/verzoegerte-moral-der-eliten/)

Zusammenfassung:
„Widerstand des „kleinen Mannes“
„Die mutige Tat des „kleinen Mannes“ zählt nicht“. Hartnäckig ausgeblendet wurde der nicht zum bürgerlichen Lager zählende Widerstand bis 2002. Dabei versuchten die Widerständler aus dem Arbeitermilieu viel früher zu tun, wozu sich die Eliten in Militär, Adel und Großbürgertum nur mit verzögerter Moral entschließen konnten.“

Diesem Artikel beigefügt ist ein Interview aus der Süddeutschen Zeitung mit Elisabeth Ruge, der Enkelin eines von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers. Diese Frage beantwortete Frau Ruge: Sie haben kürzlich geschrieben, der deutsche Widerstand gegen die Nazis sei weitgehend vergessen. Wie kommen Sie zu so einem erschütternden Befund? Ständig erscheinen neue Bücher, sogar die Bundeswehr benennt Kasernen nach Widerstandskämpfern.

Antwort: „Das ist richtig, aber der Widerstand gegen Hitler spielt für die Identität unserer demokratischen Gesellschaft dennoch fast keine Rolle. Man gedenkt seiner auf eher routinierte Weise, aber nur wenige interessieren sich wirklich dafür. Das ist paradox, weil der Widerstand gegen das Nazi-Regime so vielfältig und eben nicht nur Sache einiger Offiziere gewesen ist. Diese Menschen laden zur Identifikation doch förmlich ein, aber wir kennen sie kaum. Denken wir nur an die vielen Gewerkschafter wie Wilhelm Leuschner, die Sozialdemokraten Julius Leber und Carlo Mierendorff, die Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jacob, an Liane Berkowitz von der „Roten Kapelle“, an Christen wie Elisabeth von Thadden oder Hans von Dohnanyi.“

Diese Aussage lässt sich in Teilen durchaus auch mit dem Umgang mit Widerständlern in der Stadt Wolfenbüttel in Verbindung bringen. So wurde 2017 bei der Einrichtung des neuen „Bürger Museum“s sparsam und zum Teil verharmlosend die Geschichte des „Dritten Reiches“ dokumentiert. Darin wurde der Lehrer und Soldat Werner Schrader, der sich im Zusammenhang mit seiner Beteiligung am 20. Juli 1944, um nicht verhaftet zu werden, das Leben genommen hat, dokumentiert und geehrt. Erst nach starkem Engagement von einigen Bürgern wurde ab Juli 2020 der von Nationalsozialisten 1933 ermordete Arbeiter Fritz Fischer ebenfalls dokumentiert. Diese bewusste Achtlosigkeit basierte offenbar auf der Äußerung der Museumsleiterin im Juni 2007: Es gab keine bedeutende Arbeiterbewegung in Wolfenbüttel. Es ist und bleibt eine bürgerliche Stadt. In Neukölln wäre die Arbeiterbewegung ein Thema für ein Museum gewesen. In Wolfenbüttel sind die Gärtner ein Thema. Diese Äußerung ist absurd und disqualifizierend für eine Historikerin.

Von Februar 1945 bis zum Befreiungstag im April hatte sich in Wolfenbüttel eine kleine Widerstandsgruppe gebildet, um das Leben einer Jüdin zu retten:

Ehrung unerwünscht

In Wolfenbüttel werden seit vielen Jahren vier Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus öffentlich geehrt: Nach Werner Schrader (1895-1944), Fritz Fischer (1891-1933), Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) und Joseph Müller (1894-1944) sind Straßen benannt worden. Nun stelle man sich vor, Verwandte eines dieser Widerständler erwarten von der Stadt Wolfenbüttel, dass eine weitere öffentliche und namentliche Ehrung nicht mehr stattfinden soll. Ein unrealistisches Verlangen? Nein, keineswegs! In Wolfenbüttel erwarten Verwandte einer Widerständlerin, dass ihr Name öffentlich nicht genannt, also verschwiegen wird. Es geht um den kleinen Widerstandskreis neben dem Wolfenbütteler Maler Otto Bücher (1895-1990). Bücher, kein Jude, war mit der Jüdin Elli Bücher, geborene Freudenthal (1888-1980) verheiratet. Im Februar 1945 erhielt Frau Bücher von der Gestapo die Aufforderung, sich nach Braunschweig zu begeben, um in das KZ Theresienstadt deportiert zu werden. Ihr Ehemann wollte das verhindern. Er fragte Ernst Koch (gestorben 1985), den bekannten Inhaber des „Kunsthauses Koch“ in der Langen Herzogstraße, ob er seine Frau verstecken könnte. Koch sagte mit Unterstützung seiner Mitarbeiterin Herta Pape (1914-2007) zu. So wurde Frau Bücher in einem fensterlosen Zimmer neben dem Büro von Frau Pape untergebracht. Frau Pape kümmerte sich täglich um Frau Bücher und erhielt Unterstützung von Wolfenbütteler Bekannten und ihrem Arzt. Als am 11. April 1945 amerikanische Soldaten Wolfenbüttel befreiten, ging Frau Bücher nach Hause; durch das mutige Handeln von Frau Pape, Ernst Koch und anderen Wolfenbüttelern hat Frau Bücher das „Dritte Reich“ überleben können. Im Januar 1997 wurde Frau Pape vom damaligen Bürgermeister Axel Gummert für diese mutige Tat geehrt. Ernst Koch, Elli und Otto Bücher waren zu der Zeit bereits gestorben.

Es gibt viele Veröffentlichungen zu dieser Rettungstat in Wolfenbütteler Büchern, in denen Frau Papes Name genannt wird. Der Historiker und wissenschaftliche Mitarbeiter der Stadt, Markus Gröchtemeier, weigert sich seit Jahren, in seinen Veröffentlichungen den Namen von Frau Pape zu erwähnen. Er beruft sich vor allem auf eine im Staatsarchiv Wolfenbüttel aufbewahrte Entschädigungsakte von Frau Bücher, aus der seiner Ansicht nach nicht hervorgehe, dass Frau Pape aktiv an der Rettung beteiligt war. Er gibt an, es gäbe keine klaren Belege für die Hilfe von Frau Pape und glaubt sogar, sie habe sich nur in den Vordergrund rücken wollen.
Aus meiner Sicht ist diese Aussage absurd, denn es gib einige Belege, zum Beispiel mein Tonband-Interview mit Frau Pape, usw. Durch drei klare Dokumente ist die aktive Beteiligung von Frau Pape belegbar. Der wissenschaftliche Mitarbeiter weigert sich, sie anzuerkennen. Es gibt offenbar einen anderen Grund, Frau Pape totzuschweigen: Nach Auskunft der Vorsitzenden des städtischen Kulturausschusses erwartet die lokale Verwandtschaft von Frau Pape von der Stadt Wolfenbüttel, ihren Namen nicht zu nennen. Die Gründe dafür sind unbekannt, aber auch nachfragbar.

In der Wolfenbütteler Stadtbücherei war im Mai 2022 begleitend zur Reinigung von Stolpersteinen die Wander-Ausstellung „Nichts war vergeblich“ – „Frauen im Widerstand“ zu sehen. Veranstalter: Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945.
Dort – und auch im Katalog – ist das Schicksal der Jüdin Hildegard Jadamowitz dokumentiert. Hier wird auch die Berliner „Baum-Widerstandsgruppe“ mit dieser Aussage erwähn: „Sie verbreitet Flugblätter und hilft Juden beim Untertauchen, um sie vor der Deportation zu bewahren.

Leider hatten die Wolfenbütteler Stadt-Historiker nicht die Idee, diese Ausstellung mit der Wolfenbütteler Widerstandsgruppe um Otto Bücher zu ergänzen. Ohnehin ist kaum ein Engagement dieser Historiker für die jüdische Erinnerungskultur in Wolfenbüttel zu erkennen. Von 2017 bis 2020 konnte man im Bürger Museum dagegen diese unglaubliche Aussage lesen: „Die Kriegsjahre bedeuteten für die nicht zur nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ zählenden Wolfenbütteler Juden zunächst Ausgrenzung, Auswanderung und ab 1942 Deportation und Tod.“

Aufgrund der verfahrenen Lage zu Frau Pape bat ich die Vorsitzende, Ulrike Krause (Grüne), und Bürgermeister Ivica Lukanic (parteilos) vor mehreren Monaten, einen unabhängigen Historiker oder eine Historikerin zu beauftragen, diesen Fall von Unterdrückung Wolfenbütteler NS-Geschichte intensiv zu recherchieren. Ich habe von beiden bis heute keine Antwort erhalten. (26.7.2022)

Es muss angemerkt werden, dass im „Bürger Museum“ seit 2017 – und immer noch – die ehemalige Braunschweiger „Herzogin Viktoria Luise“, die wahrlich keinerlei Verdienste um die Lessingstadt besaß, geehrt wird. Sie und ihr Ehemann sind bekannt als mindestens Sympathisanten des Nationalsozialismus, der „ehemalige „Herzog“ sogar als Profiteur der „Arisierung“ von Firmen jüdischer Unternehmer in Österreich.

Zurzeit wird immer noch der ehemalige Regent (bis 1913) des ehemaligen Herzogtums Braunschweig, „Johann Albrecht zu Mecklenburg“ durch Fotos und Text in dem Museum geehrt. Auch er besaß keinerlei Verdienste um Wolfenbüttel, gilt aber als der „Top-Lobbyist des deutschen Kolonialismus!“ während des Kaiserreiches. (Braunschweiger Zeitung, 7.9.202)

Die Tatsache, dass es am Wolfenbütteler „Hof“ mindestens 50 schwarze Sklaven gegeben hat (Braunschweiger Zeitung vom 24.6.2022) und dass einer von ihnen, Wilhelm Amo, zu einem bedeutenden Philosophen und Wissenschaftler geworden ist, wird weder im „Bürger Museum“ noch im Feudalmuseum des Wolfenbütteler Schlosses dokumentiert. Ich habe die Museumsleitung gebeten, im Magazin zu überprüfen, ob dort Exponate aufbewahrt, die im Zusammenhang mit geraubten kolonialen Gegenständen stehen könnten.

Ach ja: Er soll nicht vergessen werden: Weil der britische „Hinterhergeher“ Prinz Philip im Dezember 1966 zwischen 9 und 15 Uhr erstmalig und dann nie wieder in Wolfenbüttel sein Regiment „Queen’s Royal Irish Hussars“ besucht hat, wird dieser für Wolfenbüttel ebenfalls verdienstlose Mann im „Bürger Museum“ textlich und mit Bild geehrt. Es gibt viele Wolfenbüttelerinnen und Wolfenbütteler, an die hier erinnert werden sollte, das geschieht aber nicht. Eine Liste dieser Personen habe ich der Stadtverwaltung geschickt.

Fazit: Das gerade neu gegründete Wolfenbütteler „Museumsamt“ scheint Wolfenbütteler Geschichte schon seit Jahrzehnten eher von der Grundlage der „Lieben kleinen Herzogstadt“ schreiben zu wollen, als von der Gesamtheit der Bevölkerung.