Brandstiftung


Der Reichstag brennt

Mit Hermann Göring bekam der Reichstag einen Präsidenten, der nie die Absicht hatte, neutral und unbestechlich die von der Verfassung hergeleitete Geschäftsordnung anzuwenden. Die Nazi-Abgeordneten verhielten sich im Parlament und seinen Ausschüssen nicht anders, als auf der Straße. So auch im „Reichstagsausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung“, den der SPD-Abgeordnete und vorherige Reichstagspräsident Paul Löbe leitete. Während einer Sitzung am 7. Februar randalierten die Nazi -Mitglieder gegen den Vorsitzenden, der im Lippeschen Wahlkampf Hitler als „Adolf den Slowaken“ bezeichnet haben soll. Da es Löbe nicht gelang, selber das Wort zu ergreifen, schloß er die Besprechung. Im Anschluß daran kam es im Sitzungssaal zu heftigen Tumulten, die Nazis überhäuften die Sozialdemokraten mit einer Flut von Beschimpfungen. Löbe schrieb daraufhin an Göring: „Die nationalsozialistischen Mitglieder des Ausschusses haben heute durch ununterbrochenes Schreien, Beschimpfen des Vorsitzenden und Drohung mit Gewalt, verhindert, dass der Ausschuß in seine Beratungen eintreten konnte. Sie haben ferner gedroht, jede neue Sitzung des Ausschusses unter meinem Vorsitz mit Gewalt unmöglich zu machen. Ich bitte Sie deshalb, auf Grund Ihrer präsidialen Befugnisse dafür zu sorgen, dass ich die Wiederaufnahme der Beratungen in einer neuen Sitzung durchführen kann.“ Göring habe ihm geantwortet, so die WZ, er wolle eine Vermittlung herbeiführen.

Mit ähnlichen Protestschreiben reagierten auch andere Parteien, so die DVP. Sie wähnten sich noch in demokratischen Verhältnissen. Göring warf die Eingaben wahrscheinlich in den Papierkorb und fuhr ungeniert fort, die Würde des Parlaments und seiner Mitglieder zu demontieren. Er führte sein Amt so, wie Hitler in „Mein Kampf“ das Parlament beschrieben hatte: „Denn daß Deutschland gestürzt wurde, ist nicht zum kleinsten Teile dieser Einrichtung zu verdanken; daß aber die Katastrophe nicht schon früher eintrat, kann nicht als Verdienst des Reichstages gelten, sondern ist dem Widerstande zuzuschreiben, der sich der Tätigkeit dieses Totengräbers der deutschen Nation und des Deutschen Reiches in den Friedensjahren noch entgegenstemmte. (…) Was der sogenannte Deutsche Reichstag hier gesündigt hatte, genügt allein, um ihn für alle Zeiten mit dem Fluche der deutschen Nation zu beladen. Aus den erbärmlichsten Gründen haben diese Parteilumpen der Nation die Waffe der Selbsterhaltung, den einzigen Schutz der Freiheit und Unabhängigkeit unseres Volkes, aus der Hand gestohlen und geschlagen.“ In den Abgeordneten sah der neue Reichskanzler nur „einen Haufen gewissenloser Streber und Stellenjäger die Bahn zu Ministerstühlen freizumachen.“ Solche „Kreaturen“ könne man „wirklich nur mit Worten wie Schuft, Schurke, Lump und Verbrecher“ bezeichnen: „Diesen Verrätern an der Nation gegenüber ist jeder Zuhälter noch ein Ehrenmann.“

Einen ähnlichen Brief schrieben auch die Braunschweiger Sozialdemokraten: Dr. Heinrich Jasper wandte sich für die Landtagsfraktion an den Landtagspräsidenten Zörner und beschwerte sich darüber, dass er den Landtag nicht einberief. Jasper stützte sich auf die Geschäftsordnung: „Wenn ein zwingender Anlaß vorliegt, muß der Landtag auf Antrag der dazu berechtigten Minderheit in kürzester Frist zusammentreten.“ Jasper warf Zörner vor, gegen „Sinn und Wortlaut der Verfassung“ verstoßen zu haben. Gegen dieses Verhalten legte er namens seiner Fraktion „ausdrücklich Verwahrung ein“.

Zur gleichen Zeit weideten sich die Sozialdemokraten an innerparteilichen Problemen der KPD. Deren Landtagsabgeordneter Ernst Winter war von seinem Mandat zurückgetreten. Dafür, dass er nach Ansicht des Volksfreund „jetzt, wo es gilt, einmal der Reaktion gegenüber den Rücken steif zu halten“, fahnenflüchtig wurde, erhielt er alle Häme, zu der die Zeitung in den letzten Tagen ihres Bestehens noch fähig war. Sie schreckte nicht einmal davor zurück, den profilierten KPD-Mann in die Nähe der Nazis zu stellen: „Auf Grund der guten Beziehungen, die offensichtlich zwischen Nazis und gewissen KPD-Leuten bestehen, kann die nationalsozialistisch ausgerichtete Braunschweiger Tageszeitung (BTZ) mitteilen, dass Winter zum sog. nationalen Flügel der KPD gehöre. (….) Und dieser Mann, der heute ohne ein Wort der Kritik im Lager der Reaktion zu finden ist, vorläufig von der politischen Bühne abtritt, konnte jahrelang die Sozialdemokratie in der unflätigsten Weise beschimpfen.“ Die SPD nahm nun Rache, bezeichnete ihn als „Salonkommunisten“, wies auf seine sich in gutbürgerlicher Wohngegend befindliche Wohnung hin und wußte zu berichten, dass er Arbeiter immer nur in seinem Korridor empfangen habe. Er habe niemals „eine Sowjetfahne aus seinem Fenster gesteckt, wahrscheinlich, um bei der hochfeudalen bürgerlichen Nachbarschaft seines Wohnbezirkes keinen Anstoß zu erregen“. Das Resümee aus dieser angeblichen Feigheit, die sozialdemokratischen Führern vollkommen fremd sei, zog der Volksfreund in der altbekannten Weise: „Wer es heute ehrlich mit den Interessen des sozialistischen Proletariats meint, der läßt ab von dem Bruderkampf und reiht sich in die Reihen der Eisernen Front ein, die den wirksamsten Wall gegen Faschismus und verfassungsfeindliche Anschläge darstellt.“

Sachlicher berichtete die bürgerliche Lokalzeitung: Winter „war ein leidenschaftlicher Gegner nicht nur der NSDAP, sondern auch der SPD, und er ließ keine Gelegenheit vorübergehen, um der SPD kapitalistische Neigungen und Verrat an der Arbeiterschaft vorzuwerfen. Die Annahme, dass er sich der SPD anschließen werde, ist wenig wahrscheinlich.“ Listennachfolger Winters, den die KPD nun ausschloß, war der bereits ausgeschlossene Fritz Fischer aus Wolfenbüttel. Er nahm das Amt nicht an und teilte dem Landtagspräsidenten mit: „Da ich nicht mehr Mitglied der kommunistischen Partei bin, muß ich auf die Übernahme eines Mandats als Landtagsabgeordneter verzichten.“

Im Gegensatz zur Meinung der Lokalzeitung, für die Ausschaltung der kommunistischen Mandatsträger gebe es keine verfassungsrechtliche Grundlage, begannen die Nazis selbstverständlich damit, linke Parlamentarier auszusperren. An erster Stelle standen die Kommunisten, deren Ausschluss, davon war auszugehen, weite Teile der Bevölkerung begrüßen würden. Gegen die SPD erließ Staatsminister Küchenthal am 26. März die folgende Anweisung: „Das Staatsministerium hat beschlossen, den Beamten, Angestellten und Arbeitern, die in den Staatsverwaltungen und in den staatlichen Betrieben beschäftigt werden, die Zugehörigkeit zur SPD und zur KPD zu untersagen. Angehörige der beiden Parteien haben sofort ihren Austritt aus der Partei zu erklären, den Austritt der vorgesetzten Dienststelle anzuzeigen und den Nachweis über den erfolgten Austritt in geeigneter Weise zu erbringen.“

Aus der Lokalzeitung konnten die Wolfenbütteler entnehmen, dass die Zerschlagung der linken Parteien bereits auf dem Weg war: Am 27. Februar erfuhren sie vom Verbot von bereits 13 Zeitungen, drei davon kommunistisch, drei sozialdemokratische und auch dem Zentrum und der katholischen Kirche nahestehende Blätter. Die Zeitung berichtete über die erneute Durchsuchung des Berliner Karl-Liebknecht-Hauses, der nationalen Zentrale der KPD am Bülowplatz in Berlin, das drei Tage vorher geschlossen worden war. In dem Haus seien unterirdische Gänge entdeckt worden, durch die bei der ersten Durchsuchung polizeilich gesuchte Personen entkommen waren: „Man entdeckte im sogenannten Wachraum, in dem eine kommunistische Wache lag, unter den Schlafpritschen der Wache eine Falltür, durch die man über eine Leiter in einen Kellerraum kam. Von diesem Kellerraum aus geht ein Labyrinth von Gängen nach allen Richtungen. Ferner schließt sich ein unterirdischer Gang zur Bartelstraße an, der dort in einem Hause endet und das unbemerkte Betreten und Verlassen des Karl-Liebknecht-Hauses ermöglichte. In den unterirdischen Räumen liegen viele hundert Zentner hochverräterischen Materials, das im Karl-Liebknecht-Haus gedruckt sein dürfte. Die gefundenen Geheimräume waren von den der Polizei bekannten Kellern des Hauses auf geschickte Weise getrennt worden. Man hatte sie mit verkleideten Türen, Regalen und großen Zeitungsballen verrammelt, so daß sie bei den zahlreichen Durchsuchungen des Hauses bisher nicht bemerkt wurden.“ Eine amtliche Verlautbarung behauptete, es seien Pläne für eine kommunistische Revolution aufgedeckt worden.

An diesem Montag brannte kurz nach 21 Uhr der Reichstag. Die Polizei nahm den holländischen Maurergesellen Marinus van der Lubbe fest, einen schwärmerischen Rätekommunisten, der mit diesem Fanal Deutschland vor der Faschismus habe retten wollen. Heinz Höhne berichtete im SPIEGEL: „Anfangs wollten die nationalsozialistischen Führer allerdings die Meldung vom Reichstagsbrand gar nicht glauben. Goebbels hielt die Nachricht für eine „tolle Phantasiemeldung“. Göring geriet vor Ort groß in Fahrt und vermutete den Beginn der kommunistischen Revolution. Im Schein der lodernden Flammen begann er, die offizielle Nazi-Version von der Brandstiftung durch die kommunistische Partei zu entwickeln und zu veröffentlichen.“ Die deutschen sowie die holländischen Kommunisten distanzierten sich von van der Lubbe. Der Volksfreund veröffentlichte eine Erklärung der holländischen KP, die zugab, er sei eine zeitlang ihr Mitglied gewesen; einem Ausschluß habe er durch freiwilligen Austritt vorgebeugt.

Während die Nazis aus einem holländischen Kommunisten eine ganze Bande KPD-gesteuerter Brandstifter machten, behaupteten die Kommunisten, die Nazis hätten den Reichstag selber angesteckt; Beweise dafür sind jedoch nie vorgelegt worden. Der SPD-Vorsitzende Otto Wels wies in einen Brief an Vizekanzler von Papen die Unterstellung zurück, seine Partei habe etwas mit der Brandstiftung zu tun: Die ganze Vergangenheit der Partei biete auch nicht einen Anhaltspunkt, dass sie etwas mit Leuten zu tun habe, die den Reichstag in Brand stecken. Vielmehr habe sie terroristische Akte jeder Art immer abgelehnt und ihre Anhänger hätten stets in jeder Beziehung eine vorbildliche Disziplin an den Tag gelegt: „Die Aussage eines Brandstifters als Beweis für ein Vorgehen gegen die Sozialdemokratische Partei anzunehmen und Maßnahmen zu ergreifen, die die Sozialdemokratische Partei auf das schärfste diffamieren, wird in der Welt kaum einen wirklich Gläubigen finden.“

Um Beweise für die Verstrickung der Kommunisten präsentieren zu können, kamen den Nazis die im Liebknechthaus gefundenen Propagandamaterialien gerade recht. Die Lokalzeitung berichtete: „Dieses Material, das gegenwärtig vom Oberreichsanwalt persönlich durchgearbeitet wird, stellt einen eindeutigen Beweis, daß systematische Terrorakte von kommunistischer Seite vorbereitet worden sind. (-) Man hat weiter bestimmte Pläne über die Festnahme von Geiseln gefunden. Vor allem handelt es sich dabei um die Frauen und Kinder bestimmter Persönlichkeiten. Ferner befinden sich unter dem Material ganz genaue Angaben über Brandstiftungen in öffentlichen Gebäuden und Auskünfte über bestimmte Terrorgruppe, die an bestimmten Plätzen eingesetzt werden sollen und die auch in Uniform von Polizei, SA und Stahlhelm auftreten sollten.“ Die Zeitung brachte ausführlich die Ergebnisse der amtlichen Untersuchungen, die von Göring getürkt worden waren: Aus dem Einzelgänger van der Lubbe hatte der eine Gruppe von zehn Pyromanen gemacht, die den Brand mit den kommunistischen Reichstagsabgeordneten geplant haben sollen. Und die Tatsache, dass nur van der Lubbe am Tatort festgenommen werden konnte, erklärte die Polizei ausgerechnet damit, seine Komplicenseien seien durch unterirdische Gänge entkommen, die zum „Wohngebäude des Reichspräsidenten?“ führten.

Soviel über den Reichstagsbrand und dessen Schuldtheorien, die in Wolfenbüttel natürlich ebenso wie anderen Orts das Klima gegen Links anheizten. „Wie die Sache auch immer gewesen sein mag“, faßte Allan Bullock zusammen, „die wahre Bedeutung des Reichstagsbrandes liegt in dem Gebrauch, den man von ihm gemacht hat.“ Ebenso sah es Golo Mann: „Der Brand, wer auch die Täter sein mochten, hatte doch seine Wirkung getan; man war die „roten Strolche“ los, Kommunisten und Sozialisten. Die letzteren verteidigten sich schwach: man dürfe sie doch nicht mit den Kommunisten in einen Topf werfen. Das sei alles eins, rief Göring ihnen höhnisch zu; die Kommunisten seien doch aus ihrem Topf gekommen.“

Otto Rüdiger beschrieb den Reichstagsbrand mit seinen eigenen Worten, die aber auch aus der Feder eines seiner kommunistischen Gegner hätten stammen können: „Am 27. Februar wurde der Reichstag von der Berliner SA unter Mitwissen von Göring in Brand gesteckt. Es war gute Arbeit geleistet. Das Haus brannte in hellen Flammen. Das Signal zum Niederwerfen der Arbeiterbewegung war gegeben. Der Attentäter, der Halbidiot van der Lubbe wurde gefaßt und verhaftet. Die Regie hatte tadellos geklappt. Anschließend wurden die gesamten SPD-Zeitungen in Preußen verboten. Das Verbot wurde mit der Begründung ausgesprochen, daß van der Lubbe vor dem Brand gewisse Verbindung mit der SPD gehabt habe. Jeder, der die Taktik der Nazi-Verbrecher kannte, schenkte dem keinen Glauben. Ein Halbirrer war nicht in der Lage, eine derartig wohldurchdachte Freveltat zu begehen. Doch der Zweck war erreicht.“

Wie die WZ ihre Leser über den Brand informierte, kann nicht mitgeteilt werden, weil die Titelseite der entsprechenden Zeitungsausgabe in dem Archivband fehlt. Das Archiv besitzt aber eine Unterlage, die belegt, wie schnell die Nazis das Feuer für ihre Maßnahmen gegen die Kommunisten benutzten: Bereits um 23.44 Uhr sandte die Berliner Polizei einen Funkspruch an alle Polizeibehörden und höhere Polizeiführer, der natürlich auch Braunschweig erreichte. Der Funkspruch sollte „noch heute Behördenchefs“ vorgelegt werden. Darin heißt es: „Es wird angeordnet, verstärkte Streifentätigkeit, Beschlagnahme sämtlicher kommunistischer Flugblätter und periodischer Druckschriften, Heranziehung von Hilfspolizei und örtliche Alarmbereitschaft für Bereitschaftspolizei. Überraschende gründliche Durchsuchungsaktionen bei allen kommunistischen Funktionären.“

Die Hitler-Regierung legte dem Reichspräsidenten bereits am Morgen nach dem Brand eine Verordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ vor, mit der Hitler und Göring jede beliebige Maßnahme gegen ihre Gegner treffen konnten. Aus ihr entstand, so Heinz Höhne im SPIE-GEL, „was der Historiker Hans Mommsen einen „entscheidenden Schritt hin zur unbeschränkten Diktatur Hitlers“ nennt“: Mit ihr verhängte Göring über Deutschland praktisch den Ausnahmezustand. Die Verordnung setzte sieben grundlegende Artikel der Verfassung außer Kraft: „Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechtes der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechtes, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.“ Paragraph 2 erlaubte der Reichsregierung, in die Souveränität der Länder einzugreifen. Wie persönlich einengend und gefährlich die Verordnung für jeden Menschen war, las man am 2. März, als bereits Tausende von Kommunisten gefangen genommen worden waren: „Todesstrafe für Landesverrat“. Der Text der Verordnung ist so gefaßt, dass sich auch unschuldige Unliebsame darin verstricken konnten: „Ebenso wird bestraft, wer Gegenstände oder Nachrichten, von denen er weiß, dass sie falsch sind, und deren Geheimhaltung vor einer ausländischen Regierung im Falle der Echtheit oder Wahrheit für das Wohl des Reiches erforderlich wäre, der ausländischen Regierungen bekannt macht oder öffentlich mitteilt, ohne sie als falsch zu bezeichnen. (-) Es macht keinen Unterschied, ob die Gegenstände oder Nachrichten echt oder falsch, wahr oder unwahr sind.“

Hitlers treuer Paladin in Braunschweig, Dietrich Klagges, hatte nun Rückenwind und brauchte kein hinderndes Reichsrecht mehr bedenken. Er verbot am 1. März für zwei Wochen „alle im Freistaat Braunschweig erscheinenden kommunistischen und sozialdemokratischen Druckschriften sowie Aufzüge, öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen und Mitgliederversammlungen der KPD und der SPD und der ihnen angeschlossenen Organisationen, wie Reichsbanner und Eiserne Front. Ferner ist die sofortige Beschlagnahme und Einziehung trotz dieses Verbotes erscheinender Druckschriften der genannten Parteien und Organisationen angeordnet worden.“ Die Weiterführung des Wahlkampfes war damit ausgeschlossen. Der ohnehin vom Amtsbonus bevorteilte Hitler konnte für seine Wahlkampagne erstmalig den Rundfunk benutzen und durfte von Mitte Februar bis zum Tag vor der Wahl fast jeden Abend und auf allen deutschen Sendern seine Ziele verkünden. Das ungeheure Trommelfeuer endete mit seiner Abschlußrede aus Königsberg, salbungsvoll abgeschlossen mit dem Geläut des Königsberger Domes und den Klängen des Niederländischen Dankgebetes, dessen Text die kommenden Ereignisse religiös verbrämend ankündigte:

Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten,
Er waltet und haltet ein strenges Gericht.
Er läßt von den Schlechten die Guten nicht knechten,
Sein Name sei gelobt, er vergißt unser nicht.

Im Streite zur Seite ist Gott uns gestanden,
Er wollte, es sollte das Recht siegreich sein.
Da ward, kaum begonnen, die Schlacht schon gewonnen,
Du Gott warst bei uns, der Sieg, er war Dein.

Wir loben Dich oben, Du Lenker der Schlachten
Und stehen, mögst stehen uns fernerhin bei,
Da Deine Gemeinde nicht Opfer der Feinde.
Dein Name sei gelobt! O Herr, mach uns frei.

SA-Kolonnen marschierten auf und entzündeten Freiheitsfeuer im ganzen Reich. Das Volk sollte gar nicht wählen, sondern nur noch bestätigen.

Im gesamten Freistaat Braunschweig, besonders in den Orten mit hohen linken Wahlergebnissen, hetzte die durch Hilfspolizei (gebildet aus SA, SS und Stahlhelm) unterstützte Polizei kommunistische und sozialdemokratische Funktionäre, von denen sich viele frühzeitig abgesetzt und versteckt hatten. In Braunschweig durchsuchte die Polizei 63 Wohnungen und fand angeblich eine große Anzahl „hochverräterischer Druckschriften“. Für den Wahlsonntag wurden mit Karabinern bewaffnete Polizeistreifen angekündigt; die Hilfspolizei, die ursprünglich nur 200 Mann betragen sollte, war auf 300 Mann verstärkt worden: „Sie wird vor allem für die Bewachung der öffentlichen Gebäude verwendet. Es handelt sich dabei durchweg um ausgesuchte, ruhige Leute.“ In Wolfenbüttel betrug die Stärke dieser rechten Bereitschaftstruppe rund 100 Mann. Sie trugen weiße Armbinden mit der Aufschrift „Hilfspolizei“ und dem Polizeistempel.

Quellen:
Volksfreund
Wolfenbütteler Zeitung (WZ)
Braunschweiger Tageszeitung (BTZ)
Bullock, Allen, „Hitler, Der Weg zur Macht“, Band 1, Frankfurt 1964
Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel
Artelt, Jork, „Das II Reich, 1933-1939“, Augsburg 1991
Hitler, Adolf, „Mein Kampf“
Rother, Bernd, „Die Sozialdemokratie im Land Braunschweig 1918 bis 1933, Bonn 1990“
Höhne, Heinz, „Warten auf Hitler“, SPIEGEL Nr 6/1983
Mann, Golo, „Deutsche Geschichte 1919 – 1945“, Frankfurt 1958
Rüdiger, Otto, „Das Wirken vom sozialdemokratischen Ortsverein der Stadt Wolfenbüttel“, unveröffentlicht