Einführung


Einführung/ Andersdenkende, Oppositionelle, Widerstandskämpfer

„Der Widerstandskämpfer Julius Fucik, Redakteur einer illegalen kommunistischen Zeitung, richtete in seinen Notizen im Gestapogefängnis, die nach seinem Tode als „Reportage unter dem Strang“ veröffentlicht wurden, eine eindrückliche Mahnung an seine Landsleute, die sich gleichsam auch als Appell an den Historiker des Widerstandes verstehen lässt: „Um eines bitte ich: Ihr, die Ihr die Zeit überlebt: Vergeßt nichts! Vergeßt nicht das Gute und nicht das Schlechte. Sammelt geduldig die Zeugnisse über diejenigen, die nur für sich starben. Eines Tages wird das Heute Vergangenheit sein, und man wird von der großen Zeit und von den namenlosen Helden sprechen, die Geschichte gemacht haben. Ich wäre jedoch glücklich, wenn man erkennen würde, daß es keine namenlosen Helden gegeben hat. Es waren vielmehr Menschen, die einen Namen, ein Gesicht, die Sehnsüchte und Hoffnungen hatten. Der Schmerz auch des Letzten unter ihnen war nicht kleiner als der Schmerz des Ersten, dessen Namen erhalten bleibt.““
(Zitat bei Louis de Jong, Zwischen Kollaboration und Résistance, in: Andreas Hillgruber (Hrsg.), Probleme des Zweiten Weltkrieges, Köln 1967, S. 263.)

Den obigen Text habe ich der Zeitschrift „aus politik und zeitgeschichte“, der Beilage der Wochenzeitschrift „Das Parlament“, 17.11.1979, entnommen. Er entstammt dem Artikel „Gegner des Nationalsozialismus“ von Christoph Kleßmann.

„Hannibal ante portas!“ Mit diesem Satz in der Überschrift leitete im Mai 1947 ein Redakteur der Braunschweiger Zeitung seinen Artikel über den ersten Prozeß gegen den Wolfenbütteler SA-Standartenführer Wilhelm Hannibal ein, in dem er trotz dessen Anwesenheit bei „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ freigesprochen worden war. Proteste führten zu einem neuen Prozeß, in dem Hannibal schließlich doch verurteilt wurde.

Während einiger Wochen im Frühjahr und im Sommer 1933 haben die Nazis vor allem linke Andersdenkende im Land Braunschweig mit Hausdurchsuchungen, Vernehmungen, Drohungen, Einschüchterungen und Festnahmen überzogen. Einige Dörfer wurden regelrecht überfallen: Remlingen, Wittmar, Groß Denkte, Kissenbrück, Linden, Wendessen, Salder, Thiede, Geitelde und Schöppenstedt. Nicht alle der dabei begangenen Gräueltaten führten nach 1945 zu Gerichtsprozessen vor dem Braunschweiger Landgericht. Mit Akten des Staatsarchivs Wolfenbüttel ist es allerdings möglich, einige der Vorfälle zu dokumentieren.

Wolfenbüttel hatte mehrere Schwerpunkte des Nazi-Terrors gegen Andersdenkende: Die NSDAP-Kreisleitung in der Mühlenstraße, die ehemalige weltliche Schule in der Kanzleistraße und die in eine SA-Kaserne umgewandelte ehemalige „Seifenfabrik“ am Okerufer/Grüner Platz.

Ehemalige NS-Folterzentralen in der Kanzleistraße (rechts) und in der Mühlenstraße (links).

In der Nacht vom 6. – 7. Juli 1933 überfielen Wolfenbütteler SS-Männer unter der Führerschaft des SS-Hauptsturmführers Josef Keppels die Wohnungen aktiver Mitglieder und Funktionäre der KPD. Nach 23 Uhr drangen sie in die Wohnungen ein und nahmen die Männer mit, wie sie sie gerade vorfanden. Es waren die Wohnungen von: Albert Kwijas, Fritz Röttger, Alfred Perkampus, Fritz Fischer, Anton Steinki, Albert Stübig, Adolf Otte, Alfred Müller, Rober Haese, Karl Rönicke, Kurt Strupat, Robert Seeboth, Karl Heise und Willi Block. Alle „Verhafteten“ wurden in das Gebäude der NSDAP-Kreisleitung in der Mühlenstraße gebracht, mitten in der Stadt. Unter den Augen des damaligen Kreisleiters Lehmann vollzog sich eine Gewaltorgie. Alle Männer wurden brutal mit Gummiknüppeln und Ochsenziemern mißhandelt. Am folgenden Morgen transportierten die SS-Männer alle mit einem LKW in die zentrale Folterstätte im AOK-Gebäude in Braunschweig. Alfred Perkampus war bereits tot, Fritz Fischer und Alfred Müller waren bewußtlos. Ihre Leichen wurden auf dem Gelände des Naturfreundehauses in Helmstedt verscharrt und erst nach der Befreiung wiederentdeckt. Ihre letzte Ruhestätte fanden sie auf dem Friedhof an der Lindener Straße.

In Erinnerung an Fritz Fischer und alle anderen Opfer, die von den Schergen des Nazireiches zu Tode gemartert wurden, beschloß der Wolfenbütteler Stadtrat die Umbenennung der Nordstraße in „Fritz-Fischer-Straße“. Weitere Opfer der Gewaltherrschaft wurden Paul Pawelski, Hermann Müller, Fritz Röttger und Karl Strupat. Sie erlagen später den Folgen der Folterungen oder wurden umgebracht. Die Stadt Wolfenbüttel errichtete auf dem Friedhof eine Gedenktafel, an der seit längerer Zeit die SPD zum Antikriegstag eine Gedenkfeier veranstaltet. Am 26. und 27. Juli 1933 holten Braunschweiger SS-Männer zwischen 40 und 45 Männer und Frauen aus Wolfenbüttel in das Haus in der Kanzleistraße, in dem sich die Weltliche Schule befunden hatte. Einen kleinen Teil der Festgenommenen entließen die SS-Hilfspolizisten nach dem „Verhör““, die anderen transportierten sie in die Braunschweiger AOK.

An dieser Stelle soll an all die Frauen und Männer erinnert werden, die tatsächlich Nazi-Gegner waren, die z.T. schon lange vor dem 30. Januar 1933 begonnen hatten, Widerstand gegen die Nazis zu leisten. Einige wurden deshalb ermordet, andere gefoltert und inhaftiert. Die Erinnerung an diese wirklich mutigen Menschen würde ad absurdum geführt, würden wir uns nicht jetzt, ca. sieben Jahrzehnte danach, gegen Beschönigungen der Nazizeit und der Ernennung von Nazi-Mitmachern zu Opfern wehren.

Literatur:

– Ausmeier, Peter, Klagges, Verbrecher im Hintergrund, Ein Prozessbericht

– Beier, Frank, Geschichte der Stadt Wolfenbüttel 1933 bis 1945, Zeitzeugen – Fotos – Dokumente, Heft 11 der Reihe „Beiträge zur Geschichte der Stadt Wolfenbüttel“, Wolfenbüttel 2003, Seite 208

– Braunschweigische Landschaft, Frank Ehrhardt (Hg.), Topographie der Erinnerung, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus im Gebiet der Braunschweigischen Landschaft, Braunschweig 2004,
Anmerkung: Die Aussage auf Seite 134, die Folterungen hätten im „Keller der Kreisleitung“ stattgefunden, ist unzutreffend. Das Haus besitzt keinen Keller.

– Kommission zur Untersuchung der Lage der politischen Gefangenen, Terror in Braunschweig, Aus dem ersten Quartal der Hitlerherrschaft, Zürich 1933

– Landgericht Braunschweig, Im Namen des Rechts!, Urteilsbegründung zum Prozeß gegen Dietrich Klagges vom 5.4.1950, (erhältlich in der Stadtbibliothek Braunschweig)

– Ludewig, Hans-Ulrich/Kuessner, Dietrich, „Es sei also jeder gewarnt“, Das Sondergericht Braunschweig 1933 – 1945, Braunschweig 2000, Seite 84 ff

– Seeboth, Robert u.a., Beiträge zur Geschichte der Wolfenbütteler Arbeiterbewegung, Wolfenbüttel 1979

– Seeboth, Robert, Ein Überblick über die Tätigkeit der KPD in Wolfenbüttel in den Jahren 1919 – 1956, Typoscript, ca. 80 Seiten, unveröffentlicht

– Sohn, Werner, Im Spiegel der Nachkriegsprozesse: Die Errichtung der NS-Herrschaft im Freistaat Braunschweig, Braunschweig 2003

Beiträge in der Braunschweiger Zeitung:

17.06.1947, Chronik der Lessingstadt
20.06.1947, Ihr Geist soll Vorbild sein
20.06.2001, Noch heute höre ich die Angstschreie
08.07.2003, Die Wolfenbütteler Schreckensnacht