Geburtstag


Hitlers Geburtstag

Ist es nicht unglaublich? Nur 90 Tage nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler bejubelten Millionen von Deutschen diesen Mann bereits als Halbgott. Der Personenkult erreichte seinen ersten großen Höhepunkt. Was hatte er eigentlich Großes geleistet, um eine derartige Verehrung in der Bevölkerung zu verdienen, der sich nicht einmal alle deutschen Kaiser hatten erfreuen können?

Ohne Arbeit und Beruf; ehemaliger Frontkämpfer, fanatischer Antisemit, rechtsradikaler Revolutionär, Bürgerschreck, Buchautor, Redner-Genie, Anführer einer gewalttätigen politischen Bewegung, die zum Mord politischer Gegner aufrief, erstrangiger Propagandist, kompromißoser Politiker mit dem Ziel, den Parlamentarismus vollständig abzuschaffen, rassistischer Visionär einer großen Zukunft des Deutschen Reiches, usw. Waren das die Eigenschaften, die eine ständig wachsende Anzahl deutscher Bürgerinnen und Bürger von dem Mann erwartete, der die Richtlinien der zukünftigen Politik bestimmen und Deutschland in der Welt wieder einen gleichberechtigten Platz in der Familie der Völker sichern sollte? Sie müssen es gewesen sein, denn wie sonst ist es zu verstehen, dass nach nur neunzig Tagen im Amt Hitlers 45. Geburtstag bereits so frenetisch gefeiert wurde, wie es bisher keinem Staatsoberhaupt zuteil geworden war.

In seinem Kampf-Buch hatte Hitler zur „Nationalisierung der Massen“ die Richtung vorbestimmt, die sein Propagandaminister organisieren ließ: „Die Treibkraft zu den gewaltigsten Umwälzungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beherrschenden wissenschaftlichen Erkenntnis als in einem sie beseelenden Fanatismus und manchmal in einer sie vorwärtsjagenden Hysterie.“ (Seite 371) Propaganda müsse „volkstümlich“ sein und ihr geistiges Niveau auf die „Aufnahmefähigkeit des beschränktesten unter denen“ einstellen, „an die sie sich zu richten gedenkt“. (Seite 197) Die Kunst der Propaganda läge darin, die „gefühlsmäßige Vorstellungkraft der großen Masse“ zu begreifen. In „psychologisch richtiger Form“ müsse der Weg zur “Aufmerksamkeit und weiter zum Herzen der breiten Masse gefunden“ werden. Goebbels, der Hitler am Vorabend über alle deutschen Rundfunksender als den „Retter der Nation“ pries, baute daraus ein weiteres Meisterstück des aus dem Nichts entstandenen Personenkults.

Der äußere Eindruck der Spontanität war natürlich beabsichtig, aber durch die Strategen der Massenaufmärsche bis in viele Einzelheiten vorausgedacht. Eine unübersehbare Menge Deutscher muß in den Tagen vor dem 20. April damit befaßt gewesen sein, die Organisation der geplante Massenhuldigung in jedem Dorf und jeder Stadt vorzubereiten. Wieviel Beamte mögen allein in den staatlichen Behörden tagelang damit beschäftigt gewesen sein, auch die geringste Kleinigkeit nicht dem Zufall zu überlassen?

Straßen und Plätze nahezu aller deutschen Dörfer und Städte prangten an diesem Donnerstag im Festschmuck. Deutschland war bedeckt mit Hakenkreuzfahnen. Dass auch in Braunschweig zu Hitlers Geburtstag etwas Großes geplant sei, erfuhren die WZ-Leser bereits am 11. April: Auf einer Weihestunde auf dem Schloßplatz solle die gesamte Organisation der NSDAP teilnehmen, alle ihre Gliederungen und sämtliche vaterländischen Vereine – mit Ausnahme des Stahlhelm. Das Schloß werde auf seiner ganzen Breite in einer Festbeleuchtung prangen und davor solle ein Massenchor mit 1000 Sängern sämtlicher nationaler Gesangvereine singen. Ein Schauspieler des Staatstheaters werde einen Prolog sprechen und gleich fünf Musikkapellen würden für die musikalische Umrahmung sorgen. Nach der Festrede durch Minister Klagges habe man vor, mit einem Fackelzug durch die Stadt zu ziehen.

„Nein, so etwas hat Braunschweig, die Hochburg des Nationalsozialismus, noch nicht erlebt.“ begeisterte sich die Landeszeitung am Tag danach. „Aber Hitlers Geburtstag hat uns eines Anderen belehrt. Der Tag hat nahezu die gesamte Bevölkerung einer Großstadt dazu veranlaßt, der Idee der Volksgemeinschaft sinnfälligsten Ausdruck zu geben.“ Den Wehmutstropfen dieses Tages, der kein glänzendes Kaiserwetter bot, bog die Zeitung so um, als habe sich sogar die Natur diesen Tag im Kalender vorgemerkt: „Ein regenverhangener Tag, so recht geschaffen, den ernsten Hintergrund zu geben für ein Fest der aufbrechenden, stark gesammelten Freude. Millionen Augenpaare mögen an diesem Donnerstag zum Himmel aufgeblickt und nach dem Wolkenriß gespäht haben, durch den endlich die Sonne ihren Weg fände. Aber sie blieb aus. Aber sie hatte sich in Tausend und aber Tausend Symbolen schon seit dem frühen Morgen aufgemacht und die grauen Häuserreihen der Stadt in leuchtende Fronten verwandelt. So brach aus den Herzen des Volkes selbst hervor, was der Himmel dem Tag vorenthielt. Urgewaltig stand dieser sonnenfrohe Flaggenwald über unserer Stadt, hier aufbrausend wie ein Choral, dort stürmisch jauchzend wie eine Jubelhymne, anderswo wieder machtvoll bekennend wie ein Trutz- und Kampflied.“

In ihrer Begeisterung vergaß die Zeitung nicht, auch an die früheren Gegner Hitlers zu erinnern: „Welche Gefühle mögen heute jene Männer bewegen, die noch zu Beginn dieses Jahres an der Spitze marxistischer Demonstrationszüge marschierten und behaupteten, dass Braunschweig marxistisch sei! ..Welch eine herrliche Wendung vom Bösen zum Guten!“

In der Wolfenbütteler Lokalzeitung kündigten mehrere Anzeigen das große Ereignis an. Der Seifenfabrikant Schulz informierte: „3000 Wachsfackeln halte ich zu den bevorstehenden Umzügen vorrätig.“ Sein Konkurrent, F.L Schütz Nachf., bot „prima hellbrennende Wachsfackeln – in größeren Mengen vorrätig“ an. Wegen des Fackelzuges an Hitlers Geburtstag ließ die Stenografenschule den Unterricht ausfallen, und die vereinigten Militärvereine riefen zur Teilnahme an dem Fackelumzug „zu Ehren des Reichskanzlers Adolf Hitler“ auf, der sogar schon am Abend vorher stattfand. Die größte Anzeige hatte die SA-Standarte 46 geschaltet, die das Programm ihrer „Hitler-Geburtstags-Feier“ bekanntgab und alle Einwohner dazu „freundlichst“ einlud. Im Schauburg Kino an der Mühlenstraße lief noch der Film „Ein blonder Traum“ mit Lilian Harvey, Willi Fritsch und Willi Forst. Die Volkshochschule offerierte einen Kurs mit Mittelschullehrer Oppe zur Einführung in die „Rassenkunde des deutschen Volkes“.

Am Tag vor dem Ereignis annoncierte die Firma C.O. Bruns „Fahnenpapiere für Dekorationszwecke“ inmitten von 10 Anzeigen Wolfenbütteler Vereine, die ihre Teilnahme an den Hitler-Feierlichkeiten bekundeten und ihre Mitglieder über die Versammlungsorte vor dem Fackelzug informierten: Der Innungsausschuß und Kreishandwerkerbund forderte sämtliche Handwerksmeister zur Teilnahme auf; die Schützenbrüder sollten einen Anzug tragen oder die „Kleine Uniform“. Für die Kriegsopfer sei es Pflicht, sich zu beteiligen, der Männer-Turn-Verein rief zum Treffen in der Klosterstraße auf, der Keglerverband erwartete restlose Teilnahme aller Mitglieder, der Handlungsgehilfen Verband mahnte alle Kollegen zur Teilnahme, die Mitglieder des B.V. Germania sollten vollzählig im Hotel Kronprinz erscheinen, der Männer-Gesangverein wählte den Bayerischen Hof als Treffpunkt aus. Und die Stahlhelmer? Die waren von der Teilnahme an den Feiern ausgeschlossen. Da sie aber nicht als vollkommen ausgeschlossen gelten wollten, rief der Bund der Frontsoldaten zur eigenen „Hitler-Geburtstags-Feier“ im Versammlungslokal und Schmollwinkel Bayerischer Hof auf.

Bereits am Nachmittag begann die Einwohnerschaft, die Stadt zu schmücken. „Bald erblickte man überall die Flaggen in Schwarz-weiß-rot“, berichtete die WZ und erwähnte erst an zweiter Stelle: „…und diejenigen mit dem Hakenkreuz“. Und: „..auch die nationale Verbundenheit der alten, nunmehr wieder zu Ehren gekommenen Reichsflagge mit dem Symbol der Hitlerbewegung wurde sichtbar. Dazu trat als Neuling die Flagge des Arbeitsdienstes mit dem Spaten.“

Je näher der Beginn des Fackelzuges heranrückte, umso mehr schwoll auch die Zahl der Fahnen an. Wer sich keine Fahne leisten konnte, hatte sich bei Bruns mit dem entsprechenden Dekorationspapier eingedeckt, seine Fenster mit kleinen Fähnchen geschmückt und sogar Lichter aufgestellt. Pünktlich um 20.30 Uhr setzte sich der Zug der Tausenden vom Schloßplatz aus in Bewegung: „Buntfeuer flammte auf, Raketen stiegen beim Nahen des Zuges zum nachtschwarzen Himmel empor.“ Nach einem einstündigen Marsch durch die Stadt kehrte die Menge zum Schloßplatz zurück, um Pinkernelles SA-Kapelle zu lauschen, die den großen Zapfenstreich spielte, und Standartenführer Hannibal brachte auf den obersten Führer ein „Sieg Heil“ aus, das ein brausendes Echo fand. Die Veranstaltung endete nach dem Singen des Horst-Wessel-Liedes.

Die Geburtstagsausgabe der WZ war angefüllt mit Würdigungen des Reichskanzlers und großen Portraits. Auf einer ganzen Seite beschrieb ein Traunsteiner Autor, der ihn in jungen Jahren kennengelernt hatte, den Weg Hitlers vom „Bauernhof zum Reichskanzlerpalais“. Dabei beschränkte er sich hauptsächlich auf die Darstellung Hitlers als einfachen Mann aus dem Volke, der aufgrund seines spartanischen Lebens ohne Rauchen, ohne Wein, ohne Bier und ohne Sekt und mit Konzentration auf seinen Plan sein Ziel in der Reichshauptstadt erreichte. Hier eine Textprobe aus der Beschreibung einer Begegnung: „An was denken wir, als wir die Treppe zum Versammlungssaal hochsteigen und an Hitler vorbeiziehen. Ein gelblicher Gummimantel, ein abgefranster Kragen, eine etwas schief sitzende Krawatte, die Haare in Fetzen zur Stirn hereinhängend – so steht Hitler vor uns. Ohne Schlaf, seit mehr als fünfzig Stunden in der Arbeit, etwas bleich noch im Gesicht – der Filuo der Westfront hat in dieses Gesicht tiefe Furchen geackert – und trotzdem nicht müde. Nie, nie sahen wir Hitler müde. Nie abgespannt oder schlapp oder ausgekämpft. Und das war es, was ihm damals eine Jugend gewann, die bereit war, das Leben hinzugeben. Dieses Beispiel war das immer wieder anfeuernde. Er war immer mit uns, unter uns und um uns.“

Ganz aus unpolitischen Absichten und ohne schmeichelnde Verhimmelung hatte der Autor Hitler beschreiben wollen und dann Anekdoten geboten, aus denen die Leser die Grundlage für ihre Vergötterung beziehen konnten. Eine andere Seite der Lokalzeitung enthielt Nachrichten über Geburtstagsgeschenke und Glückwunschtelegramme an den Führer, der Berlin am Abend vorher verlassen hatte, um sich allen Kundgebungen an diesem Tag zu entziehen. Hindenburg schenkte ihm „ein Bild in silbernen Rahmen mit eigenhändigem herzlichen Glückwunschschreiben“. Der Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes, Dr. D. Kapler, sandte ihm „die wärmsten Segenswünsche“ und als besonderes Geschenk die Ankündigung, dass „von den Gotteshäusern die Flagge des Kirchenbundes wehen“ werde. Warum hannoversche Pferdezüchter ihm ein besonders wertvolles Pferd schenkten, wird wohl kaum noch herauszufinden sein. Den vierjährigen braunen Wallach, komplett gesattelt, schenkte ihm die Kreisgruppe der NSDAP Achim-Verden. Fünf Reiter brachten das Pferd per Bahn in die Reichshauptstadt und übergaben es in der Reichskanzlei.

Kurzer Ausflug in die benachbarte Kreisstadt Helmstedt: Dort hatte sich Baurat Wedemeyer mit einem Vorschlag ins braune Licht setzen wollen und vorgeschlagen, den von Fachwerkhäusern umgebenen Holzberg terrassenförmig auszubauen und die oberste Terrasse mit einem „Hitler-Brunnen“ zu krönen. Die Antwort der Kreispressestelle der NSDAP muß ihn tief getroffen und vielleicht auch geängstigt haben. Darin verwahrten sich die Helmstedter Nazis gegen den Mißbrauch des Namens ihres Führers für die Errichtung eines Bauwerks in einer Zeit, in der noch nicht die einfachsten sozialen Fragen gelöst seien. Hitler würde es sich verbitten, „dass man für ein Kunstwerk Unsummen augäbe, von denen für die Ärmsten der Armen die notwendigen sozialen Bedürfnisse bestritten werden könnten“. Der Führer sei keiner von jenen liberalen bürgerlichen Politiker, die glaubten, ihre Größe würde nach Ehrendoktortiteln oder Baudenkmälern beurteilt. Man könnte ihm aber ein Denkmal im Herzen der Armen setzen, wenn man die Sammlung für wohltätige Zwecke veranstalten würde. Der Baurat habe die Idee des Nationalsozialismus offenbar noch nicht genügend erfasst. In anderen Orten war man da schon weiter: In Berlin erbrachte die Hitler-Geburtstagsspende eine Summe von 90.000 RM und Nahrungsspenden in Höhe von 70.000 Mark. Wieviel in Wolfenbüttel zusammenkam, blieb unbekannt, die BTZ berichtete jedoch, dass 2000 Familien mit Lebensmitteln bedacht werden konnten.

Schon früh um sechs Uhr waren die Wolfenbütteler durch Pinkernelles SA-Musikanten geweckt worden. In den Schulen versammelten sich Lehrer und Schüler zu Weihestunden . Heinrich Bode sprach zu den Kindern und Jugendlichen „zu Herzen gehende Worte“ und „senkte ihnen den Mann in die Herzen, der für sie unser Vaterland einer besseren Zukunft entgegenführen wird“. Im Saal der Stadtverordneten im Schloß veranstalteten die beiden höheren Schulen eine gemeinsame Feier. Im Mittelpunkt standen die Ansprachen des Direktors Dr. Naumann und des Landtagsabgeordneten Kurt Bertram. Naumann würdigte die geschichtlichen Grundlagen des Dritten Reiches und feierte den „Reichskanzler als den weitblickenden, genialen Staatsmann, dessen Ziel die wirkliche Volksgemeinschaft ist“.

In der Kreisdirektion scharten sich die Beamten um ein „mit Blumen geschmücktes Bildnis des Kanzlers“ und lauschten einer Ansprache des Kreisdirektors. Die Geschichte habe gelehrt, so Hinkel, dass es in jedem Volke nach Zeiten des Niederganges auch wieder aufwärts gegangen sei, wenn das Nationalgefühl sich wieder durchgesetzt habe. Dass es heute erneut so sei und daß wir es miterleben durften, das hätten wir unserem Volkskanzler Adolf Hitler zu verdanken. Pflicht eines jeden Beamten sei es, nicht nur mitzumachen, sondern sich voll und ganz mit ganzen Herzen in den Dienst der großen Bewegung zu stellen.“ Danach spielte ein aus Beamten gebildetes Trompeter-Quartett das Musikstück: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ und ein Doppelquartett von Beamten sang „Deutschland, dir mein Vaterland“.
Auch hier sprach Kurt Bertram. Er forderte seine Zuhörer auf, zu geloben, „der Regierung treu zur Seite zu stehen“. Nach dem üblichen „Sieg Heil“ beschlossen wieder musikalische Beamte die Feier: „Das innig deutsche Lied“ „Ich kenn einen hellen Edelstein“ (gesungen von Herrn Neumann) und ein von dem Musikquartett gespieltes Heimatlied bildeten den Abschluß der würdig verlaufenen Feier.“

Als sich Zeitungsleser noch an den die Herzen rührenden Artikeln über den Reichskanzler aus dem Volke ergötzten – manche vielleicht auch nicht -, zogen massenweise Menschen zum Stadtmarkt, wo sie Heinrich Pinkernelle vor dem Rathaus nachmittags trotz des schlechten Wetters mit Musik empfing.
Den Abschluß der Feierlichkeiten für das 45jährige Juwel und den Alptraum von Millionen Menschen bildete eine Abendfeier in der Waldgaststätte Antoinettenruh, die zum Zentrum der Nazi-Jubelei aufgestiegen war. Die Gaststätte war so überlaufen, dass viele Gäste nur noch im Stehen mitfeiern konnten. Die „Jubel-Ouvertüre“ von Bach stimmte die Feiernden auf den Vorspruch des Lehrers Hans Wurm ein, der seine Worte dem Geburtstagskinde gewidmet hatte, und dann ein prächtiges lebendes Bild: „Der Kopf des Volkskanzlers inmitten frischen Grüns und umgeben von seiner treuen SA.“

Wilhelm Hannibal begrüßte zunächst die Prominenz: Kreisdirektor Hinkel mit einem Stab von Beamten, Vertreter der Stadtverwaltung und der Stadtverordneten, Major Ebeling mit den Offizieren der Garnison, Vertreter der Geistlichkeit und weitere Funktionsträger der staatlichen und städtischen Behörden. Stolz stellte der SA-Chef fest, dass bisher kein Geburtstag auf diese Weise gefeiert worden sei. Sie gelte nicht dem Führer der NSDAP, sondern dem Volkskanzler, der es verstanden habe, „sich die Liebe des deutschen Volkes zu erringen und der die schwere Aufgabe übernommen habe, das deutsche Volk zu erneuern.“ Nachdem alle das Horst-Wessel-Lied gesungen hatten, sprach Kreisdirektor Hinkel: „Man sei gekommen, weil man sich eins fühle mit den Zielen der SA, wisse und bereit sei, mit ihr zusammen zu arbeiten.“

Major Ebeling hob in seiner Rede hervor, „dass eiserne Disziplin und Pflichtgefühl der tapferen Mitstreiter Hitlers dazu geführt haben, trotz Schmach, Not und Tod das zu erreichen, was heute offenbar ist. Niemals darf es wieder ein Zurück geben, sondern die Losung ist: Vorwärts mit Gott. Der hitler- und gottesfürchtige Major, der sich 15 Jahre später als Kreistagsabgeordneter an diese Worte sicher nur ungern erinnern ließ, zitierte dann auch noch Friedrich den Großen: „Es ist nicht nötig, dass wir leben, notwendig ist, daß wir unsere Pflicht tun.“

Nach dem offiziellen Teil des Abends boten Hitler-Jugend, der Frauenchor und weitere Kleinkünstler Gedichte, Gesänge und musikalische Solovorträge. „Diese erste Geburtstagsfeier Hitlers als Reichskanzler“, so die WZ, „dürfte vielen eine blühende Erinnerung werden.“

Auch die jüngsten Wolfenbütteler mußten sich an den Huldigungen des Volkskanzlers beteiligen, dessen größte Tat eine Blutspur der Menschen war, die mit ihm nicht übereinstimmten. Die WZ veröffentlichte das Gedicht eines angeblich Zehnjährigen, an dessen Lyrik eher die Geisteshaltung seiner Eltern zu erkennen war und das kurz und bündig „Hitler“ hieß:

„Heil Dir im Festesglanz
Retter des Vaterlands,
Heil Hitler, heil!
Stolz füll‘ heut‘ Deine Brust,
Die sich des Glücks bewußt,
Kanzler des Volkes zu sein,
Heil Hitler, Heil!

Mit unserem treuen Gott,
Führ uns aus tiefster Not
Wieder empor,
Deutschland ist aufgewacht,
Dein Volk, es jauchzt und lacht
Dir nun begeistert zu,
Heil Hitler, Heil!

Treue zum Vaterland,
Schlinge das heil’ge Band,
Das Dich vereint
Mit Deines Volkes Gemüt,
Aus dem entgegenglüht
Dankbare Liebe Dir,
Heil Hitler, Heil!“

Wie sehr sich „unser Reichskanzler schon das Herz der Kleinsten der Kleinen erobert“ habe, dokumentierte die Lokalzeitung anhand einer „schlichten Feier aus dem Kindergarten“: Fröhlicher als sonst kamen die kleinen Mädchen und Jungen am Donnerstag in den Kindergarten. Wie strahlten ihre Augen, als sie in der Märchenecke einen richtigen Geburtstagstisch vorfanden, auf dem das Bild Adolf Hitlers stand, umgeben von Himmelschlüsselchen und einer großen Kerze im Leuchter.“ Die Kinder malten dann bunte Ostereier, andere legten schöne Sterne aus dem Mosaikspiel und stellten sie auf den Geburtstagstisch. Besonders rührend nahmen die Erwachsenen die folgende Begebenheit auf: Ein Junge spielte mit Holztieren. Plötzlich nahm er einen Löwen und stellte ihn zu dem Bild und sagte: „Ich schenke ihm den Löwen.“

Während des feierlichen Frühstücks stellte die Kindergärtnerin den Kindern einige Fragen „über Hitler und seine braunen Soldaten“: „Wie freute sie sich über die Antworten der Kinder, die schon so gut Bescheid wußten. Es war ja kein Wunder, denn manches Kind war darunter, dessen Vater schon lange in der SA kämpft.“ Nun sollten die Kleinen dem Herrn Reichskanzler ihre Wünsche sagen, wie sie das immer tun, wenn ein Kind Geburtstag hat. Da wünschte ein Mädchen, „dass er nicht krank wird“ und ein anderes „dass er nicht vom Auto überfahren wird“. Ein Junge rief darauf, „dass er nicht aus dem Flugzeug fällt“ „Nach all den Wünschen hätten die Kinder ein Hoch auf den Führer angestimmt und mit emporgereckten Armen das Horst-Wessel-Lied gesungen.“

Bei allem Pomp und Kitsch hatten die Nazis auch die andere Seite der autoritären Einmannherrschaft nicht außer acht gelassen und etwas Großherzigkeit gleich mitorganisiert: Aus den Strafanstalten Wolfenbüttel und Braunschweig entließen sie rund 100 Personen, die während der letzten Wochen in Schutzhaft genommen worden waren.

Trotz aller Glückseligkeit sah die Lokalzeitung allerdings auch die andere Seite des Freudentaumels. Sie veröffentlichte daher, weil sie sehr damit übereinstimmte, den Leserbrief eines Mannes, der sich gegenüber der Deutschen Allg. Zeitung wegen einiger unwürdiger Auswüchse beschwert hatte. Ihm gefiel es gar nicht, dass Menschen traditionsreiches Liedgut verballhornten: Jeden denkenden Christen müsse es doch verletzen, „wenn ein weit verbreitetes Trinklied mit Akkorden des Lutherliedes ausklingt und er aus den Kehlen anderer hört: „Ein Glück, dass wir nicht saufen“, gesungen nach einer Melodie, deren Vers lautet „Das Reich muß uns doch bleiben“. Die geistige Flachheit einiger Leute gehe sogar so weit, „dass sie gar nichts dabei finden, wenn sogar nach den Klängen des Deutschlandliedes getanzt wird“. Die unmittelbare Folge sei, „dass man Deutsche bei feierlichen Anlässen in Scharen findet, die beim Vorbeimarsch der Traditionsfahnen oder beim Spiel der Deutschlandhymne den Hut auf dem Kopf behalten“.

Was auch die Nazis veranstalteten, Fahnen oder Standarten durften nicht fehlen. Wenn Hitler innerhalb der ersten 100 Tage einen Erfolg mit Bestimmtheit verbuchen konnte, dann war es die Hochkonjunktur der Fahnenhersteller. Dieser Industriezweig muß im ersten Jahr der Diktatur unglaubliche Umsatzsteigerungen verbucht haben. Man schaue sich nur die Foto- und Filmreportagen über kleine und großen Ereignisse der Nazizeit an, aus denen man den Kult ermessen kann, den Hitler inszeniert hatte. Reichsparteitag in Nürnberg: Zehntausende von Menschen und fast ebenso viele Fahnen und Standarten. Und im Kleinen ist es in Wolfenbüttel nicht anders gewesen.

Die Urfahne des Nationalsozialismus, die Blutfahne vom Münchener Putsch, verlieh neuen Fahnen durch Berührung, die fast einer mythische Zeugung gleichkam, die emotionale Grundlage für die vollständige Identifikation mit dem Nationalsozialismus, den Hitler verkörperte. Baldur von Schirach, Reichsjugendführer, hatte ein Lied für die Jugend geschrieben, in dem die Fahne der einzige Lebensinhalt zu sein scheint:

„Unsere Fahne flattert uns voran,
unsere Fahne ist die neue Zeit.
Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit.
Ja, die Fahne ist mehr als der Tod.“

Ein anderes Lied des dichtenden Reichsjugend(ver)führers veröffentlichte die Lokalzeitung, dessen ersten zwei Zeilen von den durch das Land dröhnenden Trommeln der HJ kündeten. Im weiteren Text mußten die Jugendlichen Andersdenkende mit Tod bedrohen:

„Die Fahne weht in unsrer Hand –
Die Fahne ist das Vaterland,
Ihr Feind muß aufs Schafott.
Wir glauben fest an unser Los.
Heil Adolf Hitler, Dir!“

Hitler hatte als Ausdruck für sein auf 1000 Jahre geplantes Reich bewußt nicht die alten Symbole übernommen oder wiederbelebt. In „Mein Kampf“ hob er ausdrücklich hervor: „Die einstige Flagge paßte wirklich auch nur für das einstige Reich, genau so, wie Gott sei Lob und Dank die Republik sich die für sie passende wählte. Das war auch der Grund, weshalb wir Nationalsozialisten im Aufziehen der alten Fahne kein ausdrucksvolles Symbol unserer eigenen Tätigkeit hätten erblicken können. Denn wir wollen ja nicht das alte, an seinen eigenen Fehlern zugrunde gegangene Reich wieder vom Tode erwecken, sondern einen neuen Staat bauen.“

So war es auch zu erwarten, dass der Diktator des neuen Reiches gleich nach dem Tod des letzten Repräsentanten der alten Zeit, Hindenburg, die alten Fahnen aus dem Verkehr ziehen ließ und sie vollständig durch die nationalsozialistischen ersetzte. So wie das Kreuz die Stellvertreterfunktion für die christlichen Heiligkeiten erfüllt, schienen Hitlers Fahnen die Person des Führers zu vertreten. Und das Grüßen der Fahnen mußte natürlich auch neu geregelt werden. So berichtete die Lokalzeitung unter der Überschrift „Grußpflicht für Sturmfahnen“, der SA Stabschef habe eine Verfügung erlassen, in der er das Grüßen „sämtlicher Sturmfahnen der SA, SS, sogar noch des Stahlhelm und der Polizei, sowie alle Fahnen der alten Armee durch alle SA-Männern verordnete. Darüberhinaus seien auch diese Fahnen zu grüßen: die der politischen Organisationen der Bewegung, Fahnen der Hitler-Jugend, sofern diese im geschlossenen Zuge mitgeführt werden.“ Es muß schon ziemlich schwierig gewesen sein, diese Verfügung genau einzuhalten. Denn: Kommandoflaggen der SA, Wimpel des Bundes Deutscher Mädel und des Jungvolks waren hiervon ausgenommen. Kaum war der Geburtstagsschmuck entfernt, die Flaggen eingerollt und der Sinn auf den Alltag gerichtet, stand schon das nächste Propaganda-Großereignis vor der Tür. Zum 1. Mai mußte alles wieder hervorgeholt werden.

Quellen:
Heimatbuch des Landkreises Wolfenbüttel, 2008
DIE ZEIT vom 25. März 1988
Gehrke, Robert, Aus Braunschweigs dunkelsten Tagen, Braunschweig 1961
Wolfenbütteler Zeitung (WZ)
Braunschweigische Tageszeitung (BTZ)
Braunschweigische Landeszeitung (BLZ)
Kuessner, Dietrich, Die ev.-lutherische Landeskirche in BS und der Nationalsozialismus, Braunschweig 1982
Hitler, Adolf, Mein Kampf